Bannspruch der WHO gegen Würste und Fleisch wirft Frage auf, was denn nicht krebserregend ist.
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Wien. "Wenn wir all das aus unserer Ernährung streichen würden, was die WHO als krebserregend bezeichnet, können wir zurück in die Höhlen gehen." So spöttisch äußerte sich am Dienstag der australische Agrarminister Barnaby Joyce. Er bezog sich auf die Warnung der IARC, der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass Würstel, Schinken, Speck und anderes verarbeitetes Fleisch in die Kategorie der gefährlichen Krebserreger gehören.
In den 45 Jahren ihres Bestehens hat die IARC fast 1000 Agenzien unter die Lupe genommen und - je nach dem damit verbundenen Krebsrisiko - in fünf Gruppen eingeteilt. Es geht um Substanzen oder Tätigkeiten, bei denen man unter Umständen Krebsauslösern ausgesetzt ist. Etwa 120 Wirkstoffe fallen in die Gruppe "krebserregend", neben Asbest, Alkohol und Tabak unter anderem Arsen, bestimmte Viren, Formaldehyde, UV-Strahlen, radioaktive Substanzen oder Heilmittel aus der Aristolochia-Pflanze. Dieser Gruppe wurde nun verarbeitetes Fleisch hinzugefügt. Die IARC sieht bei allen diesen Agenzien das Krebsrisiko als erwiesen an, freilich nicht bei allen Substanzen in gleich hohem Maß.
Minister sprechen von "Farce"
Als "wahrscheinlich krebserregend" wurden bisher rund 75 Agenzien eingestuft. Hier sieht man den Nachweis durch Tierversuche als ausreichend erbracht an, nur in beschränktem Maß auch durch Erfahrungen am Menschen. In diese Gruppe gehören zum Beispiel androgene Steroide, wie sie zum Muskelwachstum eingesetzt werden, in Herbiziden verwendete Glyphosate, anorganische Bleiverbindungen, rotes Fleisch. Aber auch Tätigkeiten wie Schichtarbeit - durch ungesunde Schlafmuster - in der Frisier- oder Ölraffinierbranche, wo man vermehrt Schadstoffen ausgesetzt sein kann, erhöhen mutmaßlich das Krebsrisiko.
Fast 300 Agenzien fallen in die Kategorie "möglicherweise krebserregend, darunter Chloroform, Magenta-Farbstoffe, elektromagnetische Felder, eingelegtes Gemüse, Gingko-Extrakte, Tischlern und Schreinern sowie Tätigkeiten in der chemischen Reinigung oder in der Brandbekämpfung.
Die bei weitem größte Gruppe umfasst mehr als 510 Substanzen oder Aussetzungsrisiken, die als "nicht klassifizierbar" gelten. In der letzten Gruppe mit dem Titel "wahrscheinlich nicht krebserregend" findet sich übrigens nur eine einzige Substanz, der Kunststoff Caprolactam, der für die Produktion eines bestimmten Typs von Nylon verwendet wird.
Angesichts dieser Zahlen sind die heftigen Reaktionen auf die WHO-Warnung, natürlich besonders aus der Fleischbranche, aber auch von Politikern mit Verantwortung für die Ernährung, verständlich. "Würsteln mit Zigaretten zu vergleichen" sei eine "Farce", erklärte Barnaby Joyce aus Australien, einem Land mit einem Pro-Kopf-Konsum von mehr als 100 Kilogramm Fleisch pro Jahr.
Abnehmender Fleischkonsum
Von "Farce" sprach auch Österreichs Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. "Schinken auf die selbe Stufe zu stellen wie Asbest ist hanebüchener Unsinn und verunsichert nur die Menschen", schrieb er auf Facebook. In Österreich - hier hat sich erst am 16. Oktober die "Wiener Zeitung"-Beilage "Wiener Journal" ausführlich dem Thema gewidmet - liegt der jährliche Pro-Kopf-Fleischkonsum bei 65,2 Kilogramm, ist aber seit 1990 (69,5 Kilogramm) leicht abnehmend.
In zahlreichen Stellungnahmen hieß es, dass die WHO-Erkenntnisse nicht neu seien und Menschen zunehmend bewusst werde, dass einseitiger Fleischkonsum nicht gesund sei. Zugleich wurde vor Panikmache gewarnt.
Es gibt nämlich auch Studien, wonach Vegetarier zwar weniger oft Darmkrebs bekommen, aber häufiger an anderen Krebsarten, Asthma oder psychischen Krankheiten leiden als Fleischesser. Der Verzicht auf Fleisch allein verlängert noch nicht das Leben, wohl aber der Verzicht auf Alkohol und Tabak in Verbindung mit geringerem Fleischkonsum und körperlicher Bewegung: Laut einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums von 2014 lässt ein solcher Lebensstil Menschen statistisch bis zu 17 Jahre länger leben.
Was macht sicher nicht krank? Manchen fällt dazu Mark Twain ein: "Man kann die Erkenntnisse der Medizin auf eine knappe Formel bringen: Wasser, mäßig genossen, ist unschädlich."