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Unsere Gegenwart giert nach dem Neuen: der neuesten Technologie, dem jüngsten Trend, dem letzten modischen Schrei, einem brandaktuellen Posting, Liveticker, Nachrichten in Echtzeit, einer politischen Bewegung, die mit allen vorhergegangenen bricht. Neu steht für jung, für unverbraucht, für das Gegenteil von Stillstand, für Zukunft und Fortschritt. Die Lust des Menschen auf etwas, das er in diese Kategorie stecken kann, ist beinahe unerschöpflich. Schon allein das Etikett "neu", beliebig angeheftet an eine Idee, an ein Produkt, erzeugt einen Sog an Aufmerksamkeit. Etwas ist neu, daher muss es zwangsläufig besser sein als das Alte, als das, was bisher war. Das Neue und das Bessere sind zu einer einzigen, kaum noch trennbaren Kategorie verschmolzen. Neu ist gleich besser. Die Halbwertszeit, wie lange eine Neuerung als solche gilt, wird dabei immer kürzer.
Doch das Neue wird nicht nur immer schneller zum Alten - es hat selbst auch seine Konjunkturzyklen. Die aktuelle Verschmelzung erweist sich mitunter nicht nur als trügerisch, sie ist auch der Gipfel einer Entwicklung, die jederzeit wieder ins Gegenteil umschlagen kann. Je schneller sich das sich stetig beschleunigende Rad der Innovation dreht, ja sich scheinbar nur noch aus Selbstzweck, um des Neuen wegen zu drehen scheint, desto größer wird auch das Maß an Nostalgie, wird das Bewährte, die gute alte Zeit, als alles noch besser war, zum freudvoll wiederbelebten Sehnsuchtsort, wird plötzlich das Alte das Bessere und das Neue bedrohlich. Das Perfide an dieser scheinbaren Rückbesinnung: So einfach ist der wechselnde Zyklus der Idealisierung von Alt und Neu nicht.
Der Kulturphilosoph Boris Groys hat
vor einigen Jahren untersucht, wie die Mechanismen des Neuen funktionieren. In seinem Essay "Über das Neue" hat er dabei herausgearbeitet, was diese Kategorie für die Kunst bedeutet: die schlichte Aufwertung von bisher als wertlos Erachtetem zu Wertvollem. Innovation beschreibt er als die beständige Neubestimmung der Grenze zwischen einem Bereich des wertlos "Profanen" und der als wertvoll erachteten "Kultur". Siehe Joseph Beuys’ Fettfleck oder Marcel Duchamps Pissoir. Wobei etwas, das einmal Kultur war, auch wieder ins Profane absinken kann. Um wieder in die vermeintlich höheren Sphären der Kunst gehoben zu werden. Aus Neu wird Alt wird Neu. Eine Analyse des ewigen Kreislaufs des Neuen, die nicht nur für die Kunst gelten muss. Allzu oft erweist sich das vermeintlich Neue als das Althergebrachte. Nur, dass es eben ein neues Kleidchen geschneidert bekommen hat.
Für die Neujahrsvorsätze heißt das: Es muss sich nicht alles ändern, damit es besser wird. Oft reicht auch ein neues Kleid.