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Der Kreml ging gestärkt aus den Duma-Wahlen hervor

Von Axel Reiserer

Politik

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Die Parlamentswahl in Russland von Sonntag hat eine völlige Umgestaltung der politischen Landschaft gebracht. Zwar werden die Kommunisten mit rund 25 Prozent der Stimmen wahrscheinlich die

stärkste Fraktion bleiben, aber erstmals werden die nicht-kommunistischen Kräfte gemeinsam eine klare Mehrheit in der Duma haben. Das überraschend starke Abschneiden der Gruppierungen "Einheit" und

"Union der Rechten Kräfte" bedeutet einen großen Erfolg für den Kreml und die Regierung.

Den Machthabern ist es in den vergangenen Wochen gelungen, einen völligen Umschwung der öffentlichen Meinung herbeizuführen. Der Krieg in Tschetschenien nach den verheerenden Bombenanschläge in

Moskau findet breite Unterstützung. Ministerpräsident Wladimir Putin wurde innerhalb kürzester Zeit von einem politischen Leichtgewicht zum aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von

Präsident Boris Jelzin. Seine öffentlichen Unterstützungserklärungen für "Einheit" verfehlten ihre Wirkung offenbar nicht.

Der großen Verlierer der Wahl ist das Bündnis "Vaterland-Ganz Russland" (OWR) des Moskauer Bürgermeisters Juri Luschkow und des ehemaligen Ministerpräsidenten Jewgeni Primakow. Sie mussten sich im

Wahlkampf einer gnadenlosen Diffamierungskampagne der staatlichen bzw. vom Kreml kontrollierten Medien erwehren. Beide hatten den Hass der Herrschenden auf sich gezogen, als sie versprachen, der

gigantischen Korruption ein Ende bereiten zu wollen. Mit der Wahl am Sonntag wurden nun ihre Grenzen klar aufgezeigt. Ob der 70-jährige Primakow trotz seiner Ankündigung, bei der kommenden

Präsidentenwahl kandidieren zu wollen, noch eine politische Zukunft hat, scheint ungewiss. Die Ambitionen des 63-jährigen Luschkow über Moskau hinaus die russische Politik mitzubestimmen, dürften

einen längerfristigen Dämpfer erhalten haben.

Der Sieg der Kreml-nahen Gruppierungen sollte der Regierung künftig die Zusammenarbeit mit dem Parlament erleichtern. Anlass zur Erleichterung ist er aber keiner. Nicht zu übersehen ist nämlich, dass

ihr Erfolg vor allem auf dem Krieg in Tschetschenien, der beispiellosen Diffamierung des politischen Gegners und des hemmungslosen Einsatzes politischer und wirtschaftlicher Macht beruhte. Damit

bedeutet das Ergebnis von Sonntag in Wahrheit eine bedrohlich Stärkung der radikalen Kräfte.

Der Propagandamaschine des Kreml ist es sehr geschickt gelungen, die Duma-Wahl zu einer Übung in patriotischer Gesinnung umzufunktionieren. Die politischen Gegner ergingen sich in

Unterstützungserklärungen an Putin und wagten höchstens milde Kritik an dem Krieg im Kaukasus. Dass die Kommunisten erneut die stärkste Fraktion stellen werden, muss die Machthaber nicht besonders

stören. Sie werden wegen des Zuwachs der Rechten geschwächt sein und haben sich schon bisher als zahnlose Gruppierung unter der Führung eines Mannes mit einem Verliererimage · Parteichef Gennadi

Sjuganow · erwiesen.

Der wahre Beweis für die Schwäche des liberalen, an den Werten einer westlichen Zivilgesellschaft orientierten gesellschaftlichen Lagers in Russland ist das äußerst schwache Abschneiden von Jabloko.

Als einziger bedeutender Politiker setzte sich Jabloko-Chef Grigori Jawlinski im Wahlkampf für eine Verhandlungslösung im Tschetschenien-Konflikt ein. Ausgerechnet im Westen als liberale Reformer

hoch geschätzte Politiker wie Anatoli Tschubais und Sergej Kirijenko brandmarkten Jawlinski daraufhin öffentlich als "Verräter".

Putin punktete in den letzten Wochen mit Härte gegen angebliche "Banditen und Terroristen" in Tschetschenien und einer zunehmend aggressiven anti-westlichen Rhetorik. Er konnte damit bisher auch

verbergen, dass seine Regierung etwa für die notleidende Wirtschaft bisher nichts geleistet hat. Für das nächste Jahr werden schon steigende Inflation, eine weitere Abwertung des Rubel und ein neuer

Produktionseinbruch befürchtet.

Ehe dies eintritt und der Bevölkerung ihre patriotische Hochstimmung vergeht, gilt es für den Kreml, Putin rasch als erklärten Wunschnachfolger von Jelzin im Kreml zu installieren. Nach der Wahl von

Sonntag sind seine Chancen dafür bedeutend gestiegen. Ebenso könnte nun auch der Druck auf Jelzin wachsen, vorzeitig seinen Platz zu räumen.