Für Putin ist Erdogan nicht nur eine bekannte Größe, die man einzuschätzen weiß. Beide Männer eint auch die Verachtung gegenüber dem Westen.
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Ankara/Moskau. Das Verhältnis zwischen Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin war in den vergangenen Jahren oft schwierig gewesen. Als 2015 ein russisches Kampfflugzeug an der Grenze zu Syrien durch die türkische Luftwaffe abgeschossen wurde, verhängte der Kreml-Chef schmerzliche Wirtschaftssanktionen, in deren Folge die für die Türkei so wichtigen russischen Feriengäste mit einem Schlag ausblieben. Die Beziehungen verbesserten sich erst wieder, als der türkische Präsident sich nach vielen Monaten der gegenseitigen Vorwürfe bei Putin persönlich für den Abschuss entschuldige und der Familie des getöteten Piloten sein "tiefstes Beileid" aussprach.
In Syrien stehen sich die Türkei und Russland auch sieben Jahre danach noch als Unterstützer gegnerischer Parteien gegenüber. Dennoch hofft der Kreml bei der türkischen Präsidentenstichwahl am Sonntag darauf, dass Erdogan Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu besiegt. Denn für Russland ist der türkische Präsident ungeachtet der immer wieder zu Tage tretenden Probleme nicht nur eine seit 20 Jahren bekannte Größe, die man einzuschätzen vermag. In einer Welt, in der sowohl Moskau als auch Ankara der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Dominanz des Westens skeptisch gegenüberstehen, sehen sich Putin und Erdogan auch als quasi natürliche Partner. "Sie sind sich unglaublich ähnlich in ihrer politischen Mentalität, ihrem Stil und ihrem Verhältnis zur Außenwelt", sagt der unabhängige politische Analyst Arkady Dubnow gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. "Beide verachten die liberalen Werte des Westens zutiefst."
Mediator im Ukraine-Krieg
Kilicdaroglu, der Moskau in den vergangenen Wochen eine Einmischung in die türkische Wahl vorgeworfen hat, steht Russland dagegen durchaus skeptisch gegenüber. Sollte es der CHP-Chef am Sonntag entgegen allen Vorzeichen doch noch schaffen, Erdogan zu besiegen, dürfte die Türkei also nicht nur wieder stärker auf die EU zugehen, sondern auch in anderen Bereichen einen versöhnlicheren Kurs gegenüber dem Westen einschlagen. So rechnen Politanalysten vor allem damit, dass Kilicdaroglu versuchen wird, die Beziehungen zur Nato zu kitten, die vor allem darunter gelitten haben, dass Erdogan sich gegen den Willen der USA dazu entschieden hat, das russische S-400 Raketenabwehrsystem zu kaufen.
Bei einer Abwahl Erdogans würde allerdings auch der wohl einzige ernstzunehmende Mediator im Ukraine-Krieg verloren gehen. Nach dem russischen Überfall hatte sich Erdogan nie offensichtlich auf eine Seite gestellt, sondern eine Schaukelpolitik betrieben. Die Türkei weigerte sich, sich den westlichen Sanktionen gegen Moskau anzuschließen und half dem Kreml mit der Abnahme großer Mengen an Öl und Gas aus der Patsche. Gleichzeitig erlaubte die Regierung in Ankara aber die Lieferung von türkischen Kampfdrohnen an Kiew. Dass der Kreml die Türkei als nicht auf der Seite des Westen stehend wahrnimmt, erlaubte es Erdogan schließlich auch, gemeinsam mit der UNO jenes Abkommen einzufädeln, das der Ukraine die Ausfuhr ihres Getreides über die Schwarzmeerhäfen erlaubt. Damit konnte nicht nur eine in viele Länder ausstrahlende Nahrungsmittelkrise verhindert werden, sondern auch der völlige wirtschaftliche Kollaps der Ukraine.(rs)