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Noch vor Ablauf des nächsten Jahres soll ein weiteres Symbol des alten Westberlin fallen: Der Flughafen Tempelhof soll gegen den Widerstand der Berliner geschlossen werden. | Vor 850 Jahren errichteten die Tempelritter hier eine Wehranlage, Kirchen und Siedlungen. Vor 85 Jahren entstand auf historischem "Tempelhofer" Boden der erste Verkehrsflughafen der Welt. Heute liegt dieses riesige Feld inmitten der Großstadt. Den gesamten 15. Wiener Gemeindebezirk, vom Gürtel bis zur Schmelz, würde man hier unterbringen, dann blieben immer noch 80.000 Quadratmeter frei.
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Tritt man nach der Landung aus dem Abfertigungsgebäude, sieht man sich unvermittelt im urbanen Trubel einer Millionenmetropole. Fünf Buslinien, eine S-Bahn- und eine U-Bahnstation sowie eine angrenzende Stadtautobahn sorgen für die verkehrliche Anbindung.
Der planerische Weitblick der Stadtväter war beachtlich. Zwischen 1937 und 1941 entstanden gigantische Flughafen-Anlagen. Auf vier Millionen Quadratmetern befindet sich neben zwei parallelen Start- und Landebahnen von rund zwei Kilometern Länge das weltgrößte zusammenhängende Flughafengebäude. Allein die Fassade dieses Kolossalbaus ist mehr als einen Kilometer lang! Zwar atmet die Architektur den Geist der Nazi-Zeit, doch die Nazis konnten sie nicht mehr nutzen.
Nach dem Krieg fiel es an die US-Streitkräfte - ein Glück für die Berliner, die während der Winterblockade der Sowjets 1948/49 aus der Luft versorgt wurden. In der stärksten Not landete alle 63 Sekunden einer der sogenannten "Rosinenbomber". Viele ausgebombte Familien fanden im Gebäude ein Notquartier, andere fanden Arbeit am Flughafen.
Die bombastische Architektur diente mehreren Hollywood-Filmen als beeindruckende Kulisse - unter anderem in "Eins, zwei, drei" von Billy Wilder und "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug".
Heute ist Tempelhof vor allem ein "Business-Airport", gerade wegen seiner günstigen Lage. Im vergangenen Jahr zählte man immerhin 600.000 Passagiere. Ausgelegt ist der Komplex sogar für 1,5 Millionen Fluggäste: Sieben Flugzeughallen, 60 Flugzeugabstellpositionen, eine Bordküche für die Bordverpflegung, Werkstätten, eine Kfz-Einstellhalle, Materiallager, Verwaltungsbüros, betriebsinterne Tankstellen, Werksfeuerwehr.
Der fast 40 Meter hohe Tower ist im Gebäudekomplex integriert. Die elegante Abfertigungshalle misst in der Länge 120 und in der Breite 50 Meter, beherbergt 25 Check-in-Schalter, Gepäckaufbewahrung, Flughafen-Information, Verkaufs- und Servicebüros der Luftverkehrsgesellschaften und Bodenverkehrsdienstleister, für lokale Sightseeing-Flüge, einen "Verkehrsinformationsverein", Snack-Bars, Einkaufsmöglichkeiten, Mietwagenanbieter, Wechselstube, Polizei und Zoll. Für Geschäftsreise-, Charter- und Taxiflugverkehr gibt es einen eigenen Abfertigungsbereich sowie einen Helikopter-Service.
Vor rund zehn Jahren einigten sich Berlin, Brandenburg und der Bund auf den Ausbau des Flughafens Schönefeld (in Brandenburg) zum künftigen Großflughafen. Im Gegenzug sollen Tempelhof und Tegel geschlossen werden, Tempelhof sogar schon im kommenden Jahr.
Doch gegen die Schließungspläne regt sich Widerstand. Moderne Tempelritter kämpfen für den Weiterbestand des "Zentralflughafens". Drei Viertel der Berliner wollen Tempelhof offen halten. Im April will man ein Volksbegehren starten. Unterstützung kommt aus berufenem Mund: "So etwas darf man nicht einfach preisgeben", mahnt der Londoner Architekt Norman Foster, "Tempelhof ist die Mutter aller Flughäfen!"
"Es gibt nur ein Flughafengebäude in Deutschland, ja in Europa, das vollständig und so konsequent auf seine eigentliche Funktion ausgerichtet wurde und heute noch ausgerichtet ist", sekundiert ihm Architekt von Gerkan.