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Der Krieg drängt zum Äußersten

Von Heinz Gärtner

Gastkommentare
Heinz Gärtner ist Universitätsprofessor für Politikwissenschaft. Er ist Herausgeber des kürzlich erschienen Buches "Die Ukraine im Krieg" (LIT-Verlag).
© privat

Schon Carl von Clausewitz stellte fest: "Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen."


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Der preußische Generalmajor, Heeresreformer, Militärwissenschafter und -ethiker Carl von Clausewitz (1780 bis 1831) hat grundlegende Gesetzmäßigkeiten formuliert, die auch auf den russisch-ukrainischen Krieg angewendet werden können. Der Kriegstheoretiker des 19. Jahrhunderts beobachtete, dass jeder Krieg die "Tendenz zum Äußersten" in sich trägt, was die "Vernichtung des Gegners ganz oder teilweise (. . .) durch Tod oder Wunden oder was für eine andere Art" bedeutet. "Der Zweck aller Gefechte" ist es Clausewitz zufolge, "den Gegner wehrlos zu machen", ihn "niederzuwerfen" und zur "Erfüllung unseres Willens zu zwingen". Der Krieg ist also "ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen".

Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine scheint es nicht so zu sein, dass der Wille einer Seite auf absehbare Zeit gebrochen oder eine Seite niedergerungen werden kann. Der Krieg hat aber einen gewissen "Sättigungsgrad" erreicht, der keine kriegsentscheidenden Gebietsgewinne mehr zulässt. Allerdings führt die "unvollkommene Einsicht" des Feldherrn dazu, gewonnene Schlachten irrtümlich jeweils schon als Vernichtungsakt zu beurteilen. Clausewitz beobachtete, dass ein großer Teil von jenen Nachrichten, die man vom Krieg bekommt, widersprüchlich und der Unsicherheit und Ungewissheit unterworfen ist. Alles Handeln im Krieg wird demnach "gewissermaßen in einem bloßen Dämmerlicht verrichtet (. . .), was den Dingen einen übertriebenen Umfang, ein groteskes Ansehen gibt".

Die Theorie des "gerechten Krieges" kennt verschiedene Kriterien, die gegeben sein müssen, damit er diese Zuordnung tatsächlich verdient. Das sind vor allem ein "gerechter Grund" und eine "ehrliche Absicht". Es steht außer Zweifel, dass für die Ukraine beides vorliegt. Die Verteidigung gegen den russischen Angriff ist gerecht und rechtmäßig. Ihre Absicht, das zu tun, ist richtig und täuscht nicht versteckte Ziele vor.

Gleichwohl kennt die Theorie des "gerechten Krieges" auch das Kriterium der "Verhältnismäßigkeit". Die Aussicht auf einen Sieg oder eine militärische Beendigung des Krieges steht nicht mehr im Verhältnis zu Zerstörung und Tod, wovon vor allem die Ukraine, aber auch russische Soldaten betroffen sind. Wenn der Krieg zum Äußersten drängt, dann gibt es nur weitere Vernichtung ohne dazu im Verhältnis stehende Gewinne. Obwohl Clausewitz seinerzeit die extremste Waffe, die Nuklearwaffe, nicht kannte, würde er ihren Einsatz zweifelsohne als das Äußerste betrachten.

Das "Wehrlosmachen des Gegners" ist Clausewitz zufolge "nicht die notwendige Bedingung zum Frieden". Der Krieg wird durch ein politisches Motiv hervorgerufen, und er ist ein politischer Akt und ein politisches Instrument. Er kann auch durch "politischen Verkehr", also durch Friedensschlüsse, beendet werden. Ansonsten bestimmt die Logik des Krieges das weitere Geschehen.