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Der Krieg gegen die Frauen

Von Gerald Jatzek

Politik

Das Verfahren gegen einen Politiker beendet das Verschweigen von Sexualverbrechen


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Jahrelang wurde sexuelle Gewalt in Sierra Leone von den Behörden kaum verfolgt. So kam es bei rund 6600 Anzeigen von sexueller und häuslicher Gewalt in den ersten acht Monaten 2013 nur in sechs Prozent zu einer Verurteilung. Veränderung könnte ein Aufsehen erregender Fall bringen: Im September wurde der frühere stellvertretende Bildungsminister Mahmoud Tarawally von einer Studentin wegen Vergewaltigung angezeigt.

Tarawally, der das Opfer mit der Aussicht auf Unterstützung bei einem Stipendienantrag in sein Haus gelockt haben soll, befindet sich in Untersuchungshaft. Nach den 2012 in Kraft verschärften Bestimmungen zu Sexualdelikten drohen ihm bis zu 15 Jahre Gefängnis. Das Verfahren gilt als Test, ob die Regierung die Justiz ohne Beeinflussung arbeiten lässt. Was dafür spricht, ist die Tatsache, dass Tarawally aufgrund der Vorwürfe umgehend seines Amts enthoben wurde.

Noch vor dem Verfahren hat der Fall bewirkt, dass landesweit über die verbreitete sexuelle und häusliche Gewalt diskutiert wird, statt sie hinzunehmen. Die UN-Agentur IRIN zitiert in einem Artikel Sozialminister Charles Vandi, der die hohe Zahl der Verbrechen auf den Bürgerkrieg (1991-2002) zurückführt, bei dem die aufständische RUF ihre Reihen mit Kindersoldaten auffüllte: "Die Strukturen brachen zusammen, der Respekt vor menschlichem Leben, der Respekt vor dem Gesetz." Man könnte sagen, der Krieg war zu Ende, der Krieg gegen die Frauen ging weiter.

Die im Krieg weit verbreitete sexuelle Gewalt setzte sich im Frieden fort. Fortschrittliche Bestimmungen wie die Ahndung sexueller Gewalt in der Ehe bleiben wirkungslos, wenn die Opfer so lange unter Druck gesetzt werden, bis sie ihre Anzeigen zurückziehen. Oftmals werden die Zeugen so lange unter Druck gesetzt, bis sie sich weigern auszusagen. Dieser Druck umfasst oftmals auch die Androhung von magischen Ritualen und Verwünschungen. Parallel dazu, so war zu erfahren, wird den Opfern Geld angeboten. Vor allem in ländlichen Gebieten vertraut man dieser traditionellen Form der Genugtuung mehr als langwierigen Verfahren.

Lokale Initiativen sehen sich oft in einem Dilemma, da sie einerseits die Verurteilung der Täter erreichen wollen, andererseits aber nicht zusätzlichen Druck auf die Opfer ausüben wollen. "Eigentlich leistet jede Frau, die nicht aussagt, weiteren Vergewaltigungen Vorschub", fasst eine Sozialarbeiterin die Lage zusammen. Genannt werden will sie nicht. In einer Gesellschaft, in der zahlreiche Mädchen mit ihren Lehrern sexuelle Kontakte haben, weil sie sich das Schuldgeld nicht leisten können, wird die Akzeptanz männlicher Gewalt früh eingeübt. "Wir hören dann, dass es uns eben besser geht, und dass wir keine Ahnung haben, wie die Dinge hier sind", sagt die Sozialarbeiterin.

Das Recht sieht in Sierra Leone bislang keinen Opferschutz oder Zeugenschutz vor. Die Studentin, die Tarawally angezeigt hatte, musste ihre Aussage bei einer öffentlichen Verhandlung tätigen. Mehrere Zeitungen nannten entgegen den Vorschriften ihren vollen Namen, weshalb sie vor Drohungen in den Schutz einer Nichtregierungsorganisation flüchten musste.

Seit 2011 setzt die Regierung gemeinsam mit Vertetern des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) Maßnahmen, um die Hindernisse für ordentliche Gerichtsverfahren zu beseitigen. Dazu gehört die personelle Verstärkung der Gerichte und die und ein intensives Training der Polizei. Auch wurde die mit der Aufklärung von Sexualverbrechen befasste Sondertruppe FSU (Family Support Unit) besser ausgestattet.

Erste Auswirkungen sind spürbar: Die oben angeführten sechs Prozent Verurteilungen ergeben 399 Verurteilungen in den ersten acht Monaten. Im gesamten Jahr 2012 waren es 152. Und dass sich eine Studentin nicht nur traut, gegen einen Minister auszusagen, sondern auch seine Entlassung erreicht, macht vielen Frauen Mut.