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"Wir werden die Verantwortlichen für die Terroranschläge finden, sie in ihren Löchern ausräuchern, sie herausjagen und vor Gericht stellen" kündigte der amerikanische Präsident George W. Bush wenige Tage nach den Anschlägen von New York und Washington im September 2001 an und nahezu die ganze Welt war an seiner Seite, als im Oktober desselben Jahres der Krieg gegen Afghanistan begann, dessen Taliban-Regime Osama bin Laden und seiner El Kaida-Organisation Unterschlupf geboten hatte. Die Taliban sind von der Regierung verdrängt, machen aber noch immer Schwierigkeiten und Bin Laden hockt noch immer in seinem Loch, vermutlich irgendwo im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet.
Ziel des Bush-Krieges Nummer zwei war dann der Irak, wo der Vater des amtierenden Präsidenten nach der Befreiung Kuwaits im Jahr 1991 vor einem Marsch auf Bagdad zurückgeschreckt war, im Wissen um all die Risiken, die mit einem solchen Schritt verbunden waren. Bush Junior zögerte nicht und bereitete den Krieg, der heute vor einem Jahr begonnen hat, mit einem Trommelfeuer an Propaganda ein Jahr lang vor. Dass man mit der Wahrheit dabei - milde ausgedrückt - sehr selektiv umgegangen ist, weiß heute die ganze Welt. Mit Hilfe korrupter italienischer Agenten wurde vorgetäuscht, Saddam Hussein habe sich in Niger Uran für den Bau einer Atombombe besorgt. Die Dokumente hielten nicht einmal der ersten Überprüfung stand, aber die Kriegstrommeln des Pentagons verkündeten unüberhörbar, das irakische Arsenal an Massenvernichtungswaffen bedrohe die ganze Welt. Als Saddam nach massivem internationalen Druck endlich wieder die UNO-Waffeninspektoren ins Land ließ, wurde denen von Bush und seinen Kriegsalliierten nicht die Zeit gelassen, das festzustellen, was ein Jahr nach dem Krieg auch jeder weiß: Es gab diese Waffen nicht mehr.
Der Krieg drängte nicht nur die UNO in eine Zuschauerrolle, sondern spaltete auch die NATO und die Europäer, die in ihrer überwiegenden Zahl den Waffengang ablehnten, bevor die ersten Bomben gefallen waren. Bush konnte zwar die Regierungen in den ehemaligen Ländern des europäischen Ostens auf seine Seite bringen und die Regierungschefs wichtiger westlicher Staaten vereinnahmen - darunter Großbritanniens sozialdemokratischen Premier Tony Blair und die konservativen Premierminister Spaniens und Italiens, Jose Maria Aznar und Silvio Berlusconi, doch die Bevölkerung in diesen Ländern stellte sich in einer überwältigenden Mehrheit gegen den Krieg, am stärksten wahrscheinlich in Spanien, wo neun von zehn Bürgern gegen den Krieg waren. Indirekt verhalf Bush im Vorfeld des Krieges der rot-grünen Koalition in Berlin im September 2002 noch einmal zu einem Wahlsieg, an den angesichts der nicht gerade glänzenden Bilanz einige Wochen zuvor schon niemand mehr geglaubt hatte.
Die Kriegsgegner in aller Welt hatten nicht nur ihre Zweifel an der US-Argumentation mit den irakischen Massenvernichtungswaffen, sondern auch daran, dass Bin Ladens El Kaida in Saddam Hussein - so unerfreulich dessen Regime war - ihren Paten hätten und sie argumentierten auch damit gegen den Einmarsch im Irak, da dadurch dem internationalen Terrorismus ein neuer Auftrieb gegeben werden könnte. Die Monate seither haben diese Befürchtungen - leider - bestätigt. Es vergeht nahezu kein Tag im Irak ohne neue Anschläge, deren Opfer die Besatzungskräfte und neuerdings immer öfter die irakischen Zivilisten werden. Der Terror in islamischen Ländern - neben dem Irak Pakistan, Saudiarabien, Marokko, Türkei, um nur die wichtigsten zu nennen - ist heute stärker und gefährlicher als je zuvor. Der Terror palästinensischer Fundamentalisten in Israel, deren finanzielle Unterstützung man Saddam angekreidet hatte, hält an. Und die Anschläge auf vier Pendlerzüge in Madrid in der Vorwoche haben der westlichen Welt, deren gesellschaftliche und demokratische Errungenschaften den islamistischen Fundamentalisten als besonderes Feindbild gelten, deutlich gemacht, wie verwundbar sie ist. Dass unter den Toten und Verletzten von Madrid vermutlich die Mehrheit den Irak-Krieg abgelehnt hat, zeigt den Irrsinn dieses Terrorismus in seiner letzten Konsequenz. Dass die Regierung Aznar durch plumpe Versuche, die Wahrheit nicht vor dem Wahltag an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, selbst ihre Abwahl besiegelt und tagelang auch ihren Verbündeten die falsche Spur zur ETA gelegt hat, lässt für die künftige Terrorbekämpfung das Schlimmste befürchten. Alle sind sich einig, dass man verstärkt international zusammenarbeiten und neue Wege bei den Nachrichtendiensten einschlagen muss. Die Terroristen, wo immer sie auftreten und wer immer hinter ihnen steht, dürfen kein Umfeld mehr haben, in dem sie agieren können, Geldflüsse zu ihren Gunsten müssen radikal trockengelegt werden, und wir alle müssen darauf achten, dass die Freiheitsrechte nicht aus Angst beschnitten werden.
Dass Saddam Hussein aus seinem Loch bei Tikrit gezogen wurde und vor Gericht gestellt wird, ist der einzig erfreuliche Aspekt des Irak-Krieges. Sicherer ist die Welt damit aber nicht geworden.