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Der Krieg im Cyberspace

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die USA rüsten sich für Angriffe im virtuellen Raum - die Strategie ist aber noch nicht ausgereift. | Ohne viel Aufsehen stellt das Pentagon gerade eine neue Strategie fertig, die den virtuellen Raum als potenzielles Kriegsgebiet behandelt und auch auf Angriffe eingeht, die theoretisch das gesamte Transport- und Handelswesen der USA lahmlegen könnten.


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Wenngleich es sich dabei eindeutig um ein Problem des 21. Jahrhunderts handelt, fühlt man sich doch an den Kalten Krieg erinnert: Die engsten Verbündeten der USA sind Teil eines Frühwarnsystems, die Privatwirtschaft soll zu einer Art Zivilschutz mobilisiert werden, und die Militärbefehlshaber sollen automatisch auf elektronische Eindringlinge reagieren.

Statt auf Vergeltungsmaßnahmen gegen Angreifer, deren Herkunftsland ja nicht immer bekannt sein muss, wird hier auf das Konzept der Abschreckung gesetzt, darauf, dass die Infrastruktur der USA robust und weitläufig genug ist, jeden Angriff zu überstehen. Das Heimatschutzministerium soll die geplante Abhärtung überwachen, unterstützt vom Geheimdienst.

Der stellvertretende US-Verteidigungsminister William J. Lynn III. erläuterte mir sein Vorhaben, das intern "Cyber-Strategie 3.0" heißt. Die Pläne reizen zum Widerspruch: Die Strategie kann teuer werden und beinhaltet Gefahren, die die Öffentlichkeit nicht ausreichend kennt, nicht einmal jene Unternehmen, die typische Ziele für Cyber-Angriffe sind. Das oberste Gebot sollte also lauten, erst einmal zu informieren, denn jeder muss die Risiken eines Angriffs kennen, die Kosten und die Vorteile, dagegen mobilzumachen.

Besonders auffallend ist die Kluft zwischen dem Bild, das Verteidigungsexperten vom Cyberspace haben, hauptsächlich als mögliche Quelle lähmender Angriffe, und jenem, das die Bevölkerung vom Internet hat als einem im Großen und Ganzen gutmütigen Begleiter. Auch wenn Lynn vom Cyberspace als einem Gebiet spricht, das man schützen kann wie den Luftraum - der Vergleich mit dem Sauerstoff, den wir atmen, liegt doch näher.

Das Pentagon rekrutiert bereits Verbündete für sein Konzept der Cyber-Sicherheit. Lynn pflegte bereits Gedankenaustausch mit den langjährigen Partnern der USA in Sachen Nachrichtendienst: Großbritannien, Kanada, Australien. Ein Treffen mit einem erweiterten Kreis von Nato-Partnern ist geplant.

"Sensor, Wachdienst, Scharfschütze" - das sind die Komponenten des neuen Verteidigungsplans. Sensor und Wachdienst sind unumstritten, aber was soll der Scharfschütze? Werde ein Angriff entdeckt, erläuterte Lynn, werde er unter Quarantäne gestellt und dorthin umgeleitet, wo er keinen Schaden anrichten könne. Die Herausforderung dabei sei allerdings, Kollateralschäden, etwa eine Störung des Welthandels, zu verhindern.

Über die Angriffswaffen der USA im Cyberspace wollte Lynn nicht viel sagen: "Wir haben eine große Bandbreite an Möglichkeiten entwickelt." Die USA sind für solche Angriffe wahrscheinlich verletzlicher als andere Länder, weil ihre mehr vernetzt ist.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Verantwortlichen die Gefahren einer Militarisierung im globalen Highway für Wirtschaft und Kommunikation erkennen. Natürlich möchte sich jeder gegen Bedrohungen schützen, aber wie bei den Krankheitsviren, die den Menschen bedrohen, entziehen sich bösartige Computerviren in der Quarantäne oft all unseren Anstrengungen. Eine neue (und sehr teure) zwanghafte Beschäftigung mit Cyber-Sicherheit ist jedenfalls sicher nicht das, was die kriegstraumatisierten USA jetzt brauchen.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".