Während der letzten 50 Jahre hat sich das internationale Umfeld der Außenpolitik, die Strukturen sowie das Wertbewusstsein wohl mehr geändert als die 500 Jahre vorher. Neben der neuen Legitimation und den neuen Playern in der Außenpolitik wurden gerade während der letzten Jahre zahlreiche nationale Aufgaben auf eine internationale Ebene übertragen, wodurch eine Vermengung von Innen- und Außenpolitik entstanden ist. Vom neuen Wertbewusstsein kann man wohl insofern sprechen, als sich der Begriff der Souveränität geändert hat und der Krieg, zumindest bei uns, nicht mehr einfach als eine Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln angesehen werden kann. Der Krieg ist das Thema dieser Folge.
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Der Krieg war seit Menschengedenken ein Teil des menschlichen Lebens und Sterbens. Das alte Testament erzählt davon genauso wie die römische Geschichte oder die Sagen vieler Naturvölker. Gerade während der letzten Jahrhunderte waren Kriege Teil der nationalen Politik, Kämpfen und Sterben wurde mit Mannesmut und Tapferkeit gleichgesetzt. So hieß es beim nordamerikanischen Indianerstamm der Sioux: "War was an accepted way for a man to find wealth and prestige". Und Erich Ludendorff, deutscher Oberbefehlshaber im Ersten Weltkrieg, schrieb in seinen "Kriegserinnerungen 1914 bis 1918": "Das Erheben zum Sprung im feindlichen Feuer ist eine große Tat. Sie ist noch lange nicht die schwerste. Welche Verantwortungsfreudigkeit, welche ungeheure Entschlusskraft gehört dazu, sich selbst und andere in den Tod zu führen oder zu schicken".
Gewaltige Veränderung
Seit dem Zweiten Weltkrieg, besonders aber seit dem Ende des Kalten Krieges, ist es hinsichtlich der Haltung zum Krieg zu einer gewaltigen Veränderung gekommen, wobei sich folgende Dreiteilung der Welt feststellen lässt: Während in vielen Regionen der Krieg seinen traditionellen Stellenwert behalten hat und gekämpft wird wie eh und je, hat sich in den westlichen Wohlfahrtsstaaten die nationale Außenpolitik vom Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen losgelöst. Dies gilt sowohl für die Haltung der Regierungen, aber auch der starke Anstieg der Zivildienstwerber zeigt, dass für viele junge Menschen das militärische Engagement keine primäre Option mehr ist.
Die USA wiederum nehmen eine Sonderstellung ein. Dies einmal wegen ihrer gewaltigen militärischen Stärke, aber auch, weil Amerika immer wieder zeigt, dass es gewillt ist, diese Stärke zur Durchsetzung nationaler Interessen einzusetzen.
Wohlfahrtsstaaten: Nationale Außenpolitik ohne Krieg
In der berühmten Darstellung von Clausewitz wird der Krieg als "Verlängerung der Politik mit anderen Mitteln" gesehen. Damit war es eine Selbstverständlichkeit, dass nationale Interessen eben auch mit militärischen Mitteln verteidigt werden konnten, wenn der "Fürst" außenpolitische Interessen bedroht sah. Außenpolitik war mit der militärisch begründeten Machtpolitik zutiefst verbunden und diese Konzeption entsprach voll und ganz den Vorstellungen vom souveränen Nationalstaat. Manche betrachteten sogar den Krieg als "natürlichen Zustand", nur am Schlachtfeld konnte man Ruhm und Ehre erlangen. Für Friedrich II. von Preußen gehörte der Krieg zur Außenpolitik wie das "Salz in die Suppe".
Der Gewalt abgeschworen
Nun wurden auch zwischen l990 und 1996 zahlreiche Kriege mit mehr als tausend Toten geführt: im Nahen Osten 10, in Asien 32 und in Afrika gar 36. In Europa beschränkten sich die kriegerischen Auseinandersetzungen auf den Balkan. Was aber viel wesentlicher ist: Während in anderen Weltgegenden Kriege ihren "klassischen Charakter" beibehalten haben, haben die westlichen Wohlfahrtsstaaten der Gewalt zur Durchsetzung nationaler Interessen abgeschworen. So heftig die Kontroversen innerhalb der EU auch sein mögen, es ist "denkunmöglich" geworden, dass diese mit Waffengewalt ausgetragen werden.
Der romantisch-feudale Kriegerkult, verbunden mit einem persönlichen Ehrenkodex von Disziplin und Mut, der noch während der beiden Weltkriege bestimmend war, ist in Westeuropa nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges einer totalen Ernüchterung gewichen. Die Verwüstungen weiter Gebiete bei den Besiegten, aber auch bei den Siegern, hat gründlich die Vorstellung zerrüttet, man könne nationale Interessen mit Waffengewalt durchsetzen.
Einsicht in Europa
In Europa hat man viel mehr eingesehen, dass der Krieg eben nicht eine "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" ist, sondern eher eine Fortsetzung der Auseinandersetzungen mit einem ungeheuren industriellen Potential, das eine totale Zerstörung bewirken kann. Letztlich haben die Westeuropäer eingesehen, dass sie versuchen müssen, ihr Schicksal gemeinsam zu bewältigen, was dann auch zur Gründung der EWG geführt hat.
Seit Ende des Kalten Krieges gibt es die weltweite Ost-West-Konfrontation nicht mehr, die Welt kann vielmehr in Friedenszonen und Konfliktzonen eingeteilt werden. Die Friedenszonen findet man vor allem in den wirtschaftlich entwickelten Demokratien, die Konfliktzonen in der Dritten Welt. Das heißt nicht, dass es in den Friedenszonen - in Westeuropa, Nordamerika, Japan bzw. Australien und Neuseeland - in Zukunft keine Kriege mehr geben könnte. Dafür ist schon die nukleare Bedrohung immer noch viel zu präsent. Aber eines kann man sagen: Weite Teile der Bevölkerung sehen die größten Bedrohungen nicht mehr in einer militärischen Aggression von außen, sondern vielmehr in anderen Gefahren wie Arbeitslosigkeit oder Umweltzerstörung. Und: Der Einsatz der militärischen Macht war in Westeuropa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kein Teil der nationalen Außenpolitik, auch schwere Konflikte zwischen einzelnen Ländern wurden prinzipiell friedlich geregelt.
Europäische Eingreiftruppe
Sicherlich haben die Engländer in einer Defensivaktion tapfer die Falklandinseln verteidigt und beteiligen sich, zusammen mit den USA, am regelmäßigen Bombardement des Irak. Die Franzosen führen immer wieder militärische Aktionen in Afrika durch. Aber grundsätzlich wird die nationale Außenpolitik in Westeuropa ausschließlich auf diplomatischer Ebene geführt. Für den militärischen Bereich ist man dabei, mit der Schaffung einer europäischen Eingreiftruppe, die Konsequenzen aus diesen Veränderungen zu ziehen.
So wurden 1992 im Rahmen der westeuropäischen Union die sogenannten "Petersberg-Einsätze" beschlossen, benannt nach einem Schloss in der Nähe von Bonn, wo es zu diesen Beschlüssen kam. Dabei handelte es sich um humanitäre Einsätze und Rettungsaktionen, um Missionen zur Erhaltung und Durchsetzung des Friedens und andere Einsätze im Zusammenhang mit einem Krisenmanagement. Die folgende Untätigkeit der Europäer im Bosnienkrieg zeigte allerdings, dass man von einer wirkungsvollen europäischen Streitmacht noch weit entfernt war.
15 Brigaden bis 2003
Nachdem der Einsatz im Kosovo auch erst erreicht werden konnte, nachdem die Amerikaner die NATO mobilisiert hatten, beschlossen die Europäer, eine Streitmacht auf die Beine zu stellen, die stark genug sein sollte, um in Zukunft Europas Rolle beim Krisenmanagement zu unterstreichen: Bis 2003 soll ein Armeecorps, bestehend aus 15 Brigaden und 50.000 bis 60.000 Mann geformt werden, das innerhalb von 60 Tagen nach Ausbruch einer Krise mobilisiert werden könnte.
Wann und wo diese europäische Einsatztruppe tatsächlich, unabhängig von den Amerikanern, eingreifen könnte, wird die Zukunft zeigen. Fest steht, dass die militärische Macht der Amerikaner auch weiterhin der europäischen weit überlegen bleibt und dass das bisherige Zusammenwirken ganz gut funktioniert hat: Die Amerikaner haben ihre militärische Macht zur Verfügung gestellt, die Europäer die für einen Einsatz notwendige Legitimation auf breiter Basis. Nur so war etwa der Kosovo-Einsatz auch ohne UNO-Mandat möglich. Wesentlich für die Zukunft wird eines sein: Auch wenn in der europäischen Verteidigung die bestehende Kluft zwischen Rhetorik und Praxis geschlossen würde, zum Unterschied von den Amerikanern haben die Europäer nicht mehr den deutlichen politischen Willen, zur Durchsetzung ihrer Interessen irgendwo in der Welt Militär einzusetzen.
Der Rest der Welt
Während also die westlichen Demokratien als "Friedenszone" betrachtet werden können, wird im Rest der Welt Krieg geführt: Aus Afrika wird immer wieder von Kriegen, Bürgerkriegen und Massakern berichtet, aus Asien von Kriegen in Kaschmir, Kriegsgefahr wie zwischen China und Taiwan oder Unruheherden wie Indonesien. Im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen im Kongo-Kinshasa, an der ein halbes Dutzend afrikanischer Staaten beteiligt war, schrieb die "New York Times" sogar vom "Ersten afrikanischen Weltkrieg".
Noch wie die Vorfahren
Wesentlich für den Beobachter der internationalen Beziehungen ist, dass in diesen Erdteilen die Anwendung von Gewalt sehr wohl noch als natürliche Fortsetzung der Politik, aber eben mit anderen Mitteln, erachtet wird. Da geht es um die politische Macht und um Stammesfehden, um Öl und Diamanten, um Drogen und Edelhölzer, um in der Religion begründete Glaubenskriege und darum, abtrünnige Provinzen gewaltsam besetzt zu halten, so wie auch in Europa hunderte von Jahren hindurch. Man könnte fast glauben, nicht alle Menschen, die heute leben, schreiben das Jahr 2000: Während die einen vielleicht schon den Standart des 22. Jahrhunderts erreicht haben, denken und handeln andere noch wie unsere eigenen Vorfahren in vergangenen Jahrhunderten.
Eine Sonderstellung nehmen zweifellos die Vereinigten Staaten ein. Dies sowohl wegen ihrer militärischen Stärke, aber auch deshalb, weil sie während der letzten Jahrzehnte immer wieder gewillt waren, diese entsprechend einzusetzen, von Vietnam bis zum Kosovo und von Nicaragua bis Somalia.
Diese Sonderstellung der Vereinigten Staaten wird auch sehr deutlich, wenn man die Verteidigungsausgaben betrachtet: In den ersten 5 Jahren der neunziger Jahre, also unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges sind die Verteidigungsausgaben in allen NATO Ländern im Durchschnitt um 30 Prozent zurückgegangen. Während dieser Rückgang in den europäischen NATO-Ländern angehalten hat, wurde er in den USA nicht nur gestoppt, in Amerika ist es auch wieder zu einer Erhöhung gekommen. So ist das amerikanische Verteidigungsbudget von 1999 auf 2000 um 6,9 Prozent gestiegen und beläuft sich in diesem Jahr auf die stolze Summe von 283,8 Mrd. Dollar. Das entspricht etwa dem gesamten österreichischen Bruttonationalprodukt (alle anderen NATO Mitglieder, die USA nicht gerechnet, geben zusammen für ihre Verteidigung 188 Mrd. Dollar aus). Die USA haben alleine für die Beschaffung für das Jahr 2000 53 Mrd. Dollar veranschlagt. Besonders ins Auge aber sticht das Militärbudget für Forschung und Entwicklung, das sich im Jahr 2000 auf 37,7 Mrd. Dollar beläuft. Im Vergleich dazu: Die Verteidigungsausgaben der 15 EU-Länder sind auch 1999 um 7 Prozent zurückgegangen, ihre Ausgaben für militärische Forschung belaufen sich mit 9 Mrd. Dollar gerade auf ein Viertel jener der USA.
10,5 Mrd. Dollar für NMD
Was noch mehr zählt, die USA haben stets den Willen gezeigt, ihre militärische Stärke auch zum Schutz der nationalen Interessen einzusetzen. Es werden auch die notwendigen Summen ausgegeben, um sich vor möglichen künftigen Angriffen zu schützen. So hat der amerikanische Kongress beschlossen, alleine für die Entwicklung eines Raketenabwehrprogrammes, der "National Missile Defence" (NMD) im Zeitraum von 1999 bis 2005 die beachtliche Summe von 10,5 Mrd. Dollar auszugeben. Wird fortgesetzt
Dr. Wendelin Ettmayer ist österreichischer Botschafter in Kanada.