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70 Jahre nach dem Bürgerkrieg sind die Wunden in Spanien noch immer offen. | Wien/Madrid. Seit rund zwei Monaten wird in den großen spanischen Tageszeitungen auf dem Seiten mit den Todesanzeigen offenbar, dass die Wunden aus dem Bürgerkrieg der Jahre 1936 bis 1939 noch immer offen sind.
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Begonnen hatte das, was man in Spanien mittlerweile den "Krieg mit den Todesanzeigen" nennt, am 17.Juli mit einem halbseitigen Inserat in der linksliberalen Zeitung "El Pais". Carlota Leret, die in Venezuela lebende Tochter des ehemaligen Kommandanten der spanischen Wasserflugzeugbasis Atalayon in Melilla, Virgilio Leret Ruiz, gedachte darin ihres Vaters und zweier seiner Untergebenen. Sie hatten sich am 17. Juli 1936 den Aufständischen entgegengestellt und wurden, nachdem sie sich ergeben hatten, in den Morgenstunden des 18. Juli ermordet.
"Bis heute ist nicht bekannt, wo ihre sterblichen Überreste begraben wurden. Als Produkt eines in jeder demokratischen Gesellschaft nicht annehmbaren Pakt des Schweigens steht Spanien noch immer in der Schuld der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der Erinnerung an die Opfer der aufständischen Gruppen", heißt es in der Todesanzeige siebzig Jahren nach dem ersten Racheakt der frankistischen Seite gegen republiktreue Militärs.
Einige Tage später erschien ebenfalls in "El Pais" eine Traueranzeige für den Bürgermeister, und die beiden Polizeichefs der Stadt Dos Hermanos, die am 24. Juli 1936 in Sevilla erschossen worden waren. "Siebzig Jahre danach hat das Grab ihres Mörders, des aufständischen Generals Gonzalo Queipo de Llano in der Kirche La Macarena in Sevilla noch immer einen Ehrenplatz und die Statue der Jungfrau von La Macarena trägt bei den Prozessionen noch immer seine Schärpe" klagen die Nachkommen der Opfer an.
Appell an sozialistische Regierung zum Handeln
Die sozialistische Regierung wird daran erinnert, dass sie die historische Gelegenheit, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht versäumen dürfe.
Die Siegerseite des Bürgerkrieges blieb nicht lange tatenlos. In den rechten Tageszeitungen "ABC" und "El Mundo" schaltete sie ihre Traueranzeigen, in denen den "roten Horden" und den "marxistischen Horden" ihre Morde am Beginn des Bürgerkrieges vorgehalten werden. Besonderes Aufsehen erregte die Anzeige einer 85-jährigen Frau, die sich "mit Horror an die drei Jahre des Terrors, die wir in Madrid erleben mussten" erinnert. Mit allen Details schildert sie in der Anzeige den Tod ihres Onkels, des Priesters Jesus Maria y Arroyo, nennt eine Frau, die ihn verraten haben soll, mit Namen, Verurteilung und Todesdatum.
Bruch mit der Politik des Schweigens
Der Krieg mit den Traueranzeigen ist ein offener Bruch mit der bisherigen Politik des Schweigens, die vierzig Jahre Franco-Diktatur und die nachfolgende Periode der Transition gekennzeichnet haben. Die Enkelgeneration der Opfer will Klarheit darüber haben, was mit ihren Großvätern geschehen ist.
Francisco Ferrandiz, Professor für Sozialanthropologie an der Universität von Extremadura, meinte gegenüber "El Pais", dass der Krieg der Traueranzeigen einen Prozess der Revision auf der Seite der Sieger des Bürgerkriegs zeige: "Sie merken, dass sie einen Krieg verlieren, den sie gewonnen haben." Ferrandiz hat auch die Sprache in den Traueranzeigen analysiert und deutliche Unterschiede konstatiert. Die nun erstmals erscheinenden Anzeigen der Nachkommen der im Krieg unterlegenen republikanischen Seite haben einen vorwiegend intimen Charakter. Auf Seite der Nationalisten hingegen finde sich eine immer wiederkehrende Wortwahl, die auch schon während der Franco-Jahre typisch war.
"Auch die Sieger haben Opfer zu beklagen, die ungerechterweise hingerichtet worden sind, aber sie konnten ihre Toten vierzig Jahre lang ehren, während die andere Seite diese Möglichkeit nicht hatte", meint der emeritierte Höchstrichter Antonio Martin Pallin. In vielen der Todesanzeigen wird darauf hingewiesen, dass man den Ort nicht kenne, an dem die von den Franco-Kräften erschossenen begraben wurden.
Ganz neu ist die Form der Traueranzeige als politisches Zeichen in Spanien allerdings nicht. Jeden 19.November seit 1937 erscheint für den an diesem Tag im Jahr 1936 hingerichteten Gründer der faschistischen Falange, Jose Antonio Primo de Rivera, eine Anzeige in einer überregionalen Tageszeitung. Und seine Anhänger besuchen sein Grab im Tal der Gefallenen, wo er Seite an Seite mit Franco ruht.