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Der Krieg verändert Europas Sicherheitslage

Von Gunther Hauser

Gastkommentare

Russlands Aggression in der Ukraine und ihre geopolitischen Ursachen.


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Die Ursachen des Ringens zwischen Russland einerseits und den USA sowie der EU andererseits um die geostrategische Zugehörigkeit der Ukraine liegen bereits mehr als 30 Jahre zurück. Russland bezweckt in diesem Konflikt eine Verhinderung der Ausdehnung der Nato- und EU-Erweiterung an seine Grenzen. Gerade eine Erweiterung der Nato um die Ukraine - also um eine von Russland beanspruchte geopolitische Kerneinflusszone - würde gemäß russischen Strategiepapieren seit 1993 die Sicherheit des Landes bedrohen.

Das geht auch aus der heuer am 31. Juli in Kraft getretenen neuen russischen Militärdoktrin für die Kriegsmarine hervor. Westliche Einflüsse müssen demnach auch in postsowjetischen Staaten und Gebieten noch stärker zurückgedrängt werden. Das Kernland Ukraine unter der Führungsmacht Russland gilt es folglich komplett zu reintegrieren.

Georgien als Präzedenzfall

Russland hat im Fall Georgien 2008 bereits aufgezeigt, welche Auswirkungen westliche Erweiterungspolitiken in den postsowjetischen Raum haben können: 2008 stellte die Nato auf ihrem Gipfel von Bukarest der Ukraine und Georgien eine Aufnahme in das Bündnis in Aussicht. Georgien wollte kurz darauf die seit spätestens 1992 abtrünnigen Landesteile Abchasien und Südossetien militärisch zurückgewinnen, russische Truppen konnten jedoch einen Sieg Georgiens verhindern.

Russland präsentiert sich seither als Schutzmacht dieser beiden vom Kreml als "unabhängig" anerkannten Landesteile. Auf die "Euromaidan"-Revolution 2014, den anschließenden Regierungswechsel in Kiew und den EU-Annäherungsprozess der Ukraine reagierte Russland mit der Annexion der Krim, bald darauf verlor die Ukraine die Kontrolle über Donezk und Luhansk - mit dem Krieg heuer nun auch über die südöstlichen Gebiete und manchen südlichen Landesteil. Am 22. April verkündete der stellvertretende Kommandant des zentralen russischen Militärbezirks, Generalmajor Rustam Minnekajew, die weiteren Kriegsziele Russlands: Diese umfassten die vollständige Kontrolle des Donbass und der Südukraine; die Landverbindung zur Krim sollte somit ausgebaut und verstärkt werden. Auch eine russische Landverbindung nach Transnistrien (dieses Gebiet gehört völkerrechtlich zur Republik Moldau) sollte entstehen.

Ähnlich wie im Fall der Ukraine wird seitens der russischen Führung die Rechtfertigung für einen (möglichen) Einmarsch propagandistisch ausgeschlachtet: Während es sich beim Krieg gegen die Ukraine aus Sicht Moskaus um eine "spezielle Militäroperation" zur "Entnazifizierung" der Ukraine und zum "Schutz der russischen Bevölkerung" im Donbass handelt, sieht Minnekajew im Fall Moldaus einen möglichen Einmarschgrund darin, ebenso die dort lebende russische Bevölkerung (etwa ein Drittel der Bevölkerung Transnistriens bekennt sich zur russischen Ethnie), die laut seiner Diktion "schikaniert" wird, zu "befreien".

Folgen für die Ukraine

Das oberste Ziel des Kreml in diesem Raum ist es, die ukrainischen Häfen - auch Odessa - unter russische Kontrolle zu bringen. Die Taktik der "Nadelstiche" kleiner mobiler ukrainischer Einheiten, die auch mithilfe von Panzerfäusten und tragbaren Flugabwehrraketen aus dem Westen anfangs wirksam eingesetzt wurden, würde für diesen flachen Raum im Süden des Landes jedoch nicht mehr ausreichen.

So werden sukzessive von den USA und den Verbündeten zunehmend modernere schwere Waffen an die Ukraine geliefert - und nicht nur Waffen aus sowjetischer Produktion, mit denen die ukrainischen Streitkräfte vertraut sind und die sie somit ohne größere Ausbildungsmaßnahmen einsetzen können. So lieferten die Slowakei Anfang April ihr einziges aus russischer Produktion stammendes S-300-Flugabwehrraketensystem sowie Polen und Tschechien T-72-Kampfpanzer. Der Westen lieferte der Ukraine bereits tausende panzerbrechende Waffen und Systeme des Typs Himars (High Mobility Artillery Rocket System).

Folgen für den Westen

Seit der russischen Krim-Annexion 2014 haben die USA und die Nato ihre militärischen Fähigkeiten an der Ostgrenze des Bündnisses ausgebaut - zunächst in Estland, Lettland, Litauen und Polen, seit Ende Februar 2022 auch in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Mit dem Krieg gegen die Ukraine fühlen sich die bis dahin noch bündnisfreien EU-Staaten Finnland und Schweden verstärkt von Russland bedroht. Schon im Jänner 2022 sprachen sich zunächst Abgeordnete der finnischen Grünen für den Nato-Beitritt aus, danach auch die Mehrheit der Abgeordneten in Finnland und Schweden.

Die Nato beschloss auf ihrem Gipfel von Madrid Ende Juni die Aufnahme der beiden Länder. Bis Ende 2022 beziehungsweise Anfang 2023 soll das Bündnis dadurch auf 32 Mitgliedstaaten anwachsen. Als letztes EU-Land wurde zudem das Nato-Mitglied Dänemark aufgrund des Referendums vom 1. Juni 2022 Mitglied der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Die Ukraine hatte sich im Dezember 2014 - also nach der Annexion der Krim durch Russland - für die Aufhebung ihres damaligen blockfreien Status entschieden, seither gibt es die strategische Zielsetzung der ukrainischen Regierung, Nato- und EU-Mitglied zu werden.

Russlands Krieg gegen die Ukraine stellt einen klaren Bruch des Völkerrechts gemäß Artikel 2 (4) der UN-Charta dar. Präsident Wladimir Putin hat dadurch im Westen erreicht: Nato und EU sind so einig wie nie zuvor gegenüber Russland. Deutschland erklärte sich erstmals bereit, schwere Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, nämlich Gepard-Flugabwehrpanzer aus früheren Bundeswehr-Beständen, die auch im Kampf gegen Bodenziele eingesetzt werden können. Die Nato wird zudem durch die Aufnahme Finnlands und Schwedens wesentlich gestärkt, die GSVP der EU ist durch die Aufnahme Dänemarks aufgewertet. Ein Kalter Krieg mit der Möglichkeit regionaler Eskalationspotenziale ist nun eingeleitet. Die UNO warnt vor einem Einsatz russischer Atomwaffen "aus Versehen".

Der vorliegende Text ist auch im "105er", der Zeitschrift des Wiener Cartellverbandes, erschienen.