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Zywanjuk im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". | "Veteranen sind gebrochene Männer." | Minsk. Wladimir Zywanjuk hat es überstanden: "Slava Bogu!" - Gott sei Dank. Der sportliche Mann, dem man seine 62 Jahre nicht ansieht, sitzt heute in seinem Büro in der weißrussischen Hauptstadt Minsk und leitet die Administration der größten Klinik für psychisch Kranke in Europa.
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Vor 29 Jahren steckte er in einer weniger komfortablen Lage: Zywanjuk war sowjetischer Offizier - und als solcher von 1981 bis 1983 in Afghanistan im Einsatz, wo die Sowjetarmee 1979 einmarschierte und auf Widerstand islamischer Aufständischer, der "Mudjahedin", stieß. Fotos aus der Zeit zeigen ihn mit seinen Kameraden im Kolonialstil - in Uniform, mit Gewehr und einem Cowboy-ähnlichen Panamahut, wie er bemerkt.
"Ich hatte Glück, dass ich nicht schießen musste - und dass ich nicht getroffen wurde", sagt Zywanjuk. Der damals 33-Jährige war als Baumeister im Einsatz, in allen sowjetischen Garnisonen: "Ich war in Kabul, Djalalabad, in Kandahar im Süden, in Herat im Westen und in Kunduz, wo heute die Deutschen sind", sagt er. Er baute Unterkünfte für die sowjetischen Soldaten - "anfangs wohnten wir ja in Zelten".
Wenn Zywanjuk von den Gefahren des Einsatzes erzählt, wird der immer freundliche Mann eindringlich: "Es gab keine Front, die Gefahr lauerte überall - der Gegner war ja quasi unsichtbar. Jeden Tag haben wir unser Leben riskiert", meint er. Dass es den Nato-Truppen heute anders ergeht, glaubt er nicht: "Damals hatte man, wahrscheinlich ebenso wie heute, dumme Fehler gemacht - etwa kulturell und topographisch völlig unvorbereitete Russen in einen Gebirgseinsatz gegen die Mudjahedin, die dort zuhause sind, geschickt. Das wurde dann korrigiert: Als vermehrt Soldaten aus den zentralasiatischen Republiken für Leitungsaufgaben herangezogen wurden, wurden die Verluste geringer", sagt der Ex-Offizier. Dennoch: "Dieser Krieg war nicht zu gewinnen", meint Zywanjuk heute. "Man kann dieses Volk nie besiegen. Das ganze Land kämpft". Warum das so sei, wisse er auch nicht. "Es ist ein Land extremer Gegensätze - auf der einen Seite stecken sie mitten im Feudalismus, auf der anderen Seite gab es doch auch japanische Fernseher - und heute genug Computer, nehme ich an." Er zeigt auf eine Fotographie, die einen Melonenhändler zeigt: "Das ist so: Am Tag verkauft er seine Melonen, in der Nacht schießt er auf Dich. Und schießen können sie sehr gut!" Als vermehrt italienische Minen, amerikanische und englische Maschinengewehre und - gegen die Sowjet-Hubschrauber - US-Raketen vom Typ "Stinger" bei den Mudjahedin auftauchten, sei die Situation unhaltbar geworden.
Schreckensbilder
"Ich habe viel gesehen", sagt Zywanjuk. Tote, Verwundete. "Ich war damals noch jung, 33 Jahre, da steckt man noch mehr weg. Aber heute träume ich oft vom Krieg", sagt der robuste Mann. "Es ist wie ein Kinofilm: Man sieht die schrecklichen Bilder und wacht schweißgebadet auf. Dann sucht man sich zu beruhigen: Es war nur ein Traum, bleib ruhig - nur ein Traum." Und er setzt hinzu: "So etwas vergisst man nicht. Das ist eine Wunde im Herzen." Zywanjuk besucht oft das nahe seinem Arbeitsplatz gelegene Kloster: "Ich danke Gott, dass ich noch lebe. Viele Veteranen sind an diesem Krieg zerbrochen, haben zu trinken angefangen oder wurden sonstwie krank."
Dass der Afghanistan-Krieg für das ganze Land eine bleibende Wunde darstellt - Luftlandetruppen aus Weißrussland waren die Ersten, die 1979 in Kabul landeten -, sieht man auch daran, dass den Soldaten ein geschmackvolles Denkmal im Zentrum von Minsk gewidmet ist. Die Anlage, die ein wenig an eine Moschee erinnert, hat nichts Heroisches. "Man soll kein Volk bekriegen", sagt Zywanjuk.