Der Krieg macht auch vor seinen zivilen Propagandisten nicht Halt.
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Immerhin dies lässt sich zweifelsfrei über den Anschlag, bei dem Darja Dugina, die 29-jährige Tochter des russisch-nationalistischen Ideologen Alexander Dugin, getötet wurde, sagen: Die Tat ist ein politisches wie persönliches "Bekenntnis zur Gewalt", wie es der Sozialist Friedrich Adler für sich selbst in Anspruch nahm, nachdem er im Oktober 1916 im Speisesaal eines Wiener Hotels den österreichischen Ministerpräsidenten Graf Karl Stürgkh erschossen hatte. Und mit einiger Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass die Tat in Moskau ebenfalls die "psychologischen Voraussetzungen künftiger Massenaktionen" schaffen will, nur eben anders.
Ansonsten umranken Ungewissheiten, vorerst unbewiesene Behauptungen das Attentat per anonyme Autobombe. Noch ist nicht einmal klar, ob der Anschlag tatsächlich ein Attentat im klassischen Sinn war, weshalb auch die einer solchen Tat zugesprochene Symbolik und Wirkung (Althistoriker Alexander Demandt hat dazu ein lesenswertes Buch herausgegeben) in Frage steht.
Es spricht einiges dafür, dass der Vater, der sich für die Vereinigung aller russischsprachigen Territorien in einem neuen Imperium ausspricht, das eigentliche Ziel gewesen sein könnte und die Tochter nur ein Zufallsopfer war. Allerdings hat auch sie, wie der Vater, nicht nur die russische Invasion mit großer Vehemenz unterstützt, sondern auch der Ukraine das Recht auf Eigenstaatlichkeit abgesprochen.
Der Krieg macht auch vor seinen zivilen Propagandisten nicht Halt.
Zum Drehbuch gehört, dass nun der russische Geheimdienst die Ukraine für den Anschlag auf Dugina verantwortlich macht; eine vermeintliche Täterin, eine Ukrainerin, soll bereits identifiziert sein. Die Regierung in Kiew weist dies mit der Begründung zurück, die Ukraine sei im Gegensatz zu Russland "kein Terrorstaat", und vermutet interne Machtkämpfe in Russland hinter dem Anschlag.
Droht also jetzt eine weitere Entgrenzung des Krieges? Von Anfang an wucherte dieser Konflikt politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich aus: Erst nach Westen - vor allem Europa und in geringerem Ausmaß die USA -, dann nach Norden - also Russland, das Land des Aggressors - und schließlich auch nach Süden - das sind Syrien, Libanon, Ägypten und alle Staaten, die auf ukrainische Getreidelieferungen für leistbares Brot angewiesen sind. Kommt jetzt die Jagd auf die Lautsprecher und wirkungsvollsten Propagandisten der jeweiligen Gegenseite via Gift und Bomben?
Neu wäre das nicht, sondern durchaus konsequent. Sonst würde auch nicht mit der Unversehrtheit eines Atomkraftwerks bewusst gespielt werden. Krieg lässt sich auch im 21. Jahrhundert nicht domestizieren.