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Die hohe Kunst des Paradoxes aus dem Geist des Dilemmas.
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Wenn man etwas leicht Anrüchiges tut, dann braucht man keine große Inszenierung, so Hans Rauscher. Gemeint war der Umgang der SPÖ mit der FPÖ. Eine große Inszenierung aber war es. Erst das lange Brüten, dann die große Enthüllung: der Kriterienkatalog, der die Vranitzky-Doktrin ablösen soll. Damit möchte sich die SPÖ nun neu definieren: nicht mehr gegen eine andere Partei, sondern durch eigene Inhalte. An die Stelle einer grundsätzlichen Entscheidung soll nun ein konkretes Programm treten. Die FPÖ könne nun nicht mehr sagen, sie werde ausgegrenzt.
Die Entscheidung gegen eine rot-blaue Koalition war aber keine Ausgrenzung (das war nur die FP Diktion), sondern eine Abgrenzung - also sehr wohl eine inhaltliche Positionierung. Zugleich aber ist die Reinheit der Sachfrage kein Ausweg. Denn in der Politik gibt es keine reinen Sachfragen. Die Konkretheit erwächst der Sachfrage nicht aus der Abwesenheit von Grundsätzlichem, sondern vielmehr daraus, dass sie eine Übersetzung von Grundsätzen ist. Da artikulieren sich Vorstellungen von Gerechtigkeit, von Frauenemanzipation - ein ganzes Gesellschaftsbild. Ein ganzes? Nein, ein Punkt, ein neuralgischer Punkt kommt nicht vor.
Kickls Antwort kam umgehend: Die SPÖ müsse sich erst "das Gütesiegel einer echten, patriotischen rot-weiß-roten Politik erarbeiten". Das bedeute, Österreich gegen die "Eurokraten in Brüssel" zu stellen. Und: eine klare Differenzierung zwischen Zuwanderung und Asyl. Hier ist er, der neuralgische Punkt, den die SPÖ umschifft hat.
Was aber sagt Kern? Er sagt nicht mehr: Keine Koalition mit der FPÖ. Er sagt: Ja, aber nicht mit dieser FPÖ. "Aus heutiger Sicht." Was insofern erstaunlich ist, als das Argument für die Revision des SPÖ-Standpunkts ja die Veränderung der FPÖ war. Inhaltlich und personell. Und es stimmt - die aus einem Putsch des rechten Flügels hervorgegangene Strache-FPÖ, die Burschenschafter-FPÖ ist nicht mehr die alte Haider-Partie.
Es ist nicht so, dass man Kerns Dilemma nicht verstehen würde - auch wenn man keinerlei Verständnis hat für das Begehren von Parteifunktionären nach der FPÖ.
In diese Gemengelage schreibt sich der "Kriterienkatalog" als die hohe Kunst des Paradoxes aus dem Geist des Dilemmas ein. Er legt fest, warum die SPÖ eine Koalition, die sie will, nicht machen könnte - und zugleich warum sie diese Koalition, die sie nicht will, doch machen könnte. Der "Kriterienkatalog" soll also Haltungen artikulieren, um gegensätzliche Strategien zu rechtfertigen.
Jeder Balanceakt aber braucht ein Ziel vor Augen. Was aber hat Kern vor Augen, welches Ziel leitet ihn?
Dient das Ganze einer Strategie - der Strategie, sich eine weitere Koalitionsoption zu eröffnen? Oder dient es der Vorbereitung von Rot-Blau? Bei Ersterem wäre die Inszenierung das, worum es geht. Zweiteres aber wäre das Anrüchige.
Selbst im "günstigsten" Fall aber bliebe ein Dilemma, das sich so nicht lösen lässt: Die strategische Möglichkeit ist nur dann eine solche, wenn die reale Möglichkeit tatsächlich real ist. Die SPÖ hat also nur dann eine weitere taktische Option, wenn Rot-Blau eine reale Option ist. Kurzum: Die Strategie frisst ihre Kinder.