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Der künstliche Körper

Von Christina Mondolfo

Reflexionen

Die Nase ist zu groß, der Busen zu klein, die Oberschenkel zu dick - speziell Frauen sind besonders kritisch, wenn es um ihr Äußeres geht. Viele orientieren sich dabei jedoch viel zu sehr an von außen vorgegebenen Idealen.


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Langbeinig und dünn, ohne ein Gramm Fett an den Hüften, stöckeln sie über den Laufsteg oder lächeln uns von Plakaten und aus Zeitschriften an: Zu Rubens´ Zeiten hätte man sie wohl bemitleidet und sie liebevoll aufgepäppelt, doch heute verkörpern Models ein Schönheitsideal, dem ein Großteil der Frauen ein Leben lang (vergeblich) hinterher jagt. Um diesen Vorgaben aber zumindest einige Schritte näher zu kommen, gehört der Gang zum Schönheitschirurgen mittlerweile schon fast zum guten Ton. Dieser Trend fordert allerdings seinen Preis - und der ist in vielerlei Hinsicht oftmals zu hoch.

Immer jünger, immer extremer

Ein internationaler Kongress zu den gesundheitlichen Folgen von Schönheitsoperationen ergab jüngst, dass die Kunden derartiger ärztlicher Körper-Tunings immer jünger und die Eingriffe immer extremer werden. "Die gesellschaftlichen Normen sind bezüglich des perfekten Körpers sehr streng. Um diesen Normen gerecht zu werden, nehmen vor allem Frauen viel in Kauf - von chirurgischen Eingriffen, oft schon in jungen Jahren, bis zur permanenten, gesundheitsgefährdenden Diät oder der Körperformung durch sportliche Höchstleistungen", betonte Gesundheits- und Sozialstadträtin Sonja Wehsely im Rahmen der Fachtagung "Der gemachte Körper - Körperbild(er) zwischen Schlankheitswahn, Schönheitskult und Natürlichkeit". Dass Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters liegt, ist in diesem Fall fatal, denn das, was wir im Spiegel sehen, das heißt unsere eigene Wahrnehmung unserer selbst, ist in diesem Fall ausschlaggebend. Was andere von unserem Körper halten, wird nicht in Betracht gezogen. Eine gesellschaftliche Aufgabe liegt daher darin, den Frauen den Druck zu nehmen, sich an normierten und meist realitätsfernen Idealen orientieren zu müssen und dafür nicht nur oftmals auch gesundheitliche Schäden in Kauf zu nehmen.

Einer US-Studie zufolge können sich 60 Prozent der 16- bis 24Jährigen vorstellen, einen schönheitschirurgischen Eingriff an sich machen zu lassen. Jedes fünfte Kind zwischen neun und 14 Jahren wünscht sich einen verschönernden Eingriff, zeigte eine Untersuchung der Deutschen Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft.

Der Wunsch nach "Köperformung nach Maß" sei auch längst nicht mehr auf die "Klassiker" Nasenkorrektur, Faltenbeseitigung, Brustvergrößerung oder Fettabsaugung beschränkt, beobachtet die Schweizer Gesundheitswissenschafterin Ilona Kickbusch. Aus Russland kommt etwa ein Trend zu extremen Eingriffen: Um möglichst lange Beine zu bekommen, lassen sich vorwiegend junge Frauen die Unterschenkelknochen brechen und dann in langwierigen Prozeduren verlängern. Kickbusch: "Ein zunehmender weltweiter Trend sind auch so genannte Vaginalverschönerungen, Frauen lassen sich eine Designer-Vagina formen oder verengen, die Schamlippen verkleinern oder mit Eigenfett unterspritzen." Laut der "American Society of Plastic Surgery" ist Vaginalchirurgie das am schnellsten wachsende Segment der Fachrichtung. "Zur Sicherheit oder den Langzeitfolgen derartiger Eingriffe gibt es allerdings kaum wissenschaftliche Evidenz", kritisiert Kickbusch.

Stark im Trend

Das Thema Schönheitsoperationen beschäftigt immer mehr Österreicherinnen, wie Beate Wimmer-Puchinger, Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien, berichtet: "Acht Prozent der Frauen über 14 Jahre geben an, bereits einen schönheitschirurgischen oder kosmetischen Eingriff hinter sich zu haben", zitiert die Expertin eine aktuelle Gallup-Umfrage im Auftrag des Wiener Frauengesundheitsprogramms. Weitere 25 Prozent können sich vorstellen, eine solche schönheitsmedizinische Intervention machen zu lassen. Doch die gesundheitlichen Folgen unrealistischer Körperbilder sind oft erheblich - von Essstörungen, an denen rund 200.000 Österreicherinnen zumindest einmal in ihrem Leben erkranken, über Komplikationen bei schönheitschirurgischen Eingriffen bis hin zu massiven psychischen Problemen.

Faltenbehandlungen und Gesichtsstraffungen führen mit 54 Prozent die Liste der gemachten oder gewünschten Eingriffe an, dann folgen Nasenkorrekturen (18 Prozent), Fettabsaugungen (16 Prozent) und Brustvergrößerungen oder -verkleinerungen (15 Prozent).

Elf Prozent sind unzufrieden

In scharfem Kontrast zur Popularität von Schönheitsoperationen steht jedoch die Zufriedenheit mit deren Resultat. Das Risiko, eine Operation auf sich zu nehmen, führt häufig nicht zum gewünschten Ergebnis, wie die Studie zeigt. Elf Prozent der Befragten, die bereits einen einschlägigen Eingriff hinter sich haben, sind "sehr unzufrieden", das sind mehr als jene zehn Prozent, die "sehr zufrieden" bilanzieren.

Auslöser dafür kann sein, dass ein Eingriff am Körper als Lösung für ein psychologisches Problem gesehen wird. Menschen, die eine plastisch-chirurgische Operation wagen, müssen daher mit sich selbst "im Reinen" sein und sich im eigenen Körper wohlfühlen. Umfragen zufolge würde sich jede dritte Frau für den Partner einer Schönheitsoperation unterziehen. Der Wunsch einer Veränderung sollte aber von der Person selbst kommen und nicht durch den Einfluss anderer. Wichtig ist auch die umfassende Aufklärung des Patienten vor dem Eingriff. Dabei muss geklärt werden, ob die Erwartungen des Patienten erfüllt werden können. Unrealistische Vorstellungen führen dazu, dass Patienten mit dem Operationsergebnis häufig nicht zufrieden sind. Letztendlich ist auch die Arztwahl ausschlaggebend. Manfred Frey, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC), setzt sich für mehr Aufklärung ein: "Oberstes Ziel der Gesellschaft ist die Sicherung eines hohen Qualitätsstandards. Denn in Österreich gibt es bislang kein Gesetz, das selbst ernannten Schönheitschirurgen verbieten würde, ästhetisch-chirurgische Eingriffe durchzuführen. Alle Mitglieder haben eine spezielle Ausbildung zum Facharzt für Plastische Chirurgie abgeschlossen. Vorsicht ist bei alleinigen Bezeichnungen wie Schönheitschirurg oder ästhetischer Chirurg geboten, da diese Titel alleine nicht den Vorgaben und Anforderungen der ÖGPÄRC entsprechen." Für den Fall der Fälle hat die ÖGPÄRC ein "Serviceprojekt für verunsicherte Patienten nach ästhetischen Eingriffen" eingerichtet, bei dem man sich entsprechend informieren kann.

Internationaler Druck

Die Frage, ob es bei Schönheitsoperationen Grenzen geben oder immer der individuelle Wunsch von Frauen respektiert werden soll, polarisiert: Je die Hälfte der Befragten vertritt - allgemein gefragt - jeweils die eher regulierende oder eher freizügige Auffassung. Die konkrete Forderung nach einer Altersuntergrenze für Schönheitsoperationen hat allerdings eine klare Unterstützung: 77 Prozent der Frauen treten für eine solche ein, unter den jüngeren Frauen unter 30 sind es sogar 86 Prozent.

Allianzen und Partnerschaften zwischen Politik, Gesundheitsexperten und Modeindustrie, wie sie im Rahmen von S-O-Ess in Wien initiiert wurden, würden zunehmend von der Politik in ganz Europa etabliert, betont Kickbusch. Auch sonst reagiere die Politik verstärkt auf die ungesunden Schönheitstrends - von der Debatte über untere Altersgrenzen für schönheitschirurgische Eingriffe bis hin zum kürzlich beschlossenen strengen französischen Gesetz, das die Anstiftung zur Anorexie unter Strafe stellt. "In einer Reihe von Ländern werden auch die Einführung einheitlicher Qualifikationen für Ärzte, die Schönheitseingriffe vornehmen, sowie einheitliche Qualitätskriterien für derartige Interventionen, diskutiert." Dies sei schon deshalb bedeutsam, weil das Milliarden-Geschäft mit der Schönheit längst grenzüberschreitend geworden sei, so Kickbusch. "Immer mehr Operationswillige, vor allem aus Westeuropa, nehmen günstige Pauschalangebote für Operationsreisen nach Ungarn, Tschechien oder entfernte Destinationen wie Malaysia oder Thailand wahr." Neben den häufig fehlenden einheitlichen Qualitätsstandards gehöre zu den ungelösten Problemen dieses Trends auch die Frage, wer die Kosten der Behandlung von Komplikationen, die nach der Rückkehr ins Heimatland auftreten, trägt.

Schuldenfalle Schönheits-OP

Was die nicht unerheblichen Kosten des Eingriffs selbst betrifft, ortet Kickbusch einen anderen alarmierenden Trend: "Es sind keineswegs nur die Reichen, die sich unter das schönheitschirurgische Messer begeben, sondern immer öfter auch einkommensschwache Menschen, die das Geld für die kostspieligen Eingriffe kaum aufbringen können." Eine immer häufigere Konsequenz ist die Schönheit auf Pump. Vor allem in den USA bieten spezialisierte "plastic surgery loan companies" an, Fettabsaugungen, Brustvergrößerungen und Co. zu finanzieren. Aber auch in Europa, zum Beispiel in Deutschland, haben Kreditinstitute die Marktlücke Schönheits-Kredit bereits entdeckt. "Wer Schönheit auf Kredit finanziert, kann rasch in der Schuldenfalle landen", warnt Kickbusch, "insbesondere dann, wenn Komplikationen oder Misserfolge weitere Behandlungskosten erfordern."

Info

Essstörungshotline: Tel. 0800 20 11 20

www.plastischechirurgie.org

Aufklärungsbroschüre des Wiener Programms für Frauengesundheit zu den Risiken bei Schönheitsoperationen: www.diesie.at