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"Der lachende Mullah"

Von Ines Scholz

Politik

Noch zögert Irans Präsident Mohammad Khatami, seine Wiederkandidatur für die Präsidentenwahlen am 8. Juni zu akklamieren. Der reform-orientierte Geistliche war 1997 angetreten, das von konservativen Mullahs gegängelte Land nach innen wie nach außen zu öffnen. Doch der politische Frühling bleibt Schimäre.


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Mit einem regelrechten Vernichtungsfeldzug gegen Intellektuelle, Journalisten und liberale Politiker hat die theokratische Nomenklatura bisher jeglichen Befreiungsschlag gegen das Mullah-Regime im Keim erstickt. 31 liberale Zeitungen und Zeitschriften hat die gänzlich von den Gotteswächtern kontrollierte Justiz in den vergangenen eineinhalb Jahren verboten, weit über 100 Regimekritikern wurde der Prozess gemacht oder ein Verfahren steht unmittelbar bevor. Die Reformbewegung, die mit Khatami den Aufbruch in die Freiheit probte, verfügt kaum noch über ein Sprachrohr.

Im Jänner wurden der bekannte Journalist Akbar Ganji und sechs weitere Personen wegen "Gotteslästerung" und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Grund: Sie hatten im April des Vorjahres in Berlin an einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung zum Thema "Reformprozess im Iran" teilgenommen.

Der mächtigste Mann im Gottesstaat, Ali Khamenei, macht bei seinem Feldzug gegen Systemkritiker auch vor Khatamis Kabinettsmitgliedern nicht halt: Zu Wochenbeginn wurde Vize-Innenminister Mostafa Tajsadeh vor Gericht zitiert. Gegen den Leiter der Wahlbehörde laufen Ermittlungen wegen "Wahlbetrugs", weil er bei der Parlamentswahl im Vohrjahr eine Neuauszählung der Stimmen abgelehnt habe. Die Reformkräfte um Khatami hatten bei der Wahl 70 Prozent der Stimmen erhalten. Der Wächterrat, die oberste Kontrollinstanz der Gotteshüter, hatte daraufhin Ergebnisse immer wieder annulieren lassen, bis Khamenei die Aktion schließlich abblasen ließ und nolens volens das Resultat zur Kenntnis nahm.

Den größten Rückschlag erlitt Khatamis ohnehin sehr vorsichtiger Öffnungskurs durch den Rücktritt von Kulturminister Ataollah Mohadjerani. Der 47-Jährige war als konsequenter Verfechter der Medienfreiheit schon lange auf der Abschussliste der Mullahs. Auch er musste vor den Richtern erscheinen. "Die Bedingungen für Kunst, Kultur und intellektuelle Tätigkeit machen es mir unmöglich, meine Pflicht zu erfüllen", verabschiedete er sich höflich.

Die Gesinnungsurteile und Gängelungen haben vor allem ein Ziel: Khatami zu schwächen. Und das ist gelungen. Einer möglichen Wiederkandidatur sehen die Fundamentalisten um Khamenei, an deren Allmacht der Präsident scheiterte, daher gelassen entgegen. Das weiß Khatami, und zögert. Der gemäßigte Geistliche, dessen Vater mit Revolutionsführer Ayatollah Khomeini eng befreundet war, steht vor dem Dilemma, ob er sich ein zweites Mal zum liberalen Aushängeschild einer reaktionären Politik machen soll, gegen die er kaum etwas ausrichten kann. Vor zwei Monaten beklagte er sich höchst persönlich, dass er seine verfassungsmäßigen Pflichten, nämlich die Wahrung demokratischer Grundfreiheiten, nicht wahrnehmen könne.

Einige Proponenten der Reformbewegung sehen darin mittlerweile leere Worthülsen. Zu oft habe sich Khatami hinter den Klerus statt hinter seine Anhänger gestellt, zu leise seine Stimme gegen die Knebelung der Medienfreiheit oder die blutige Niederschlagung der Studentenbewegung erhoben. Geneive Abdo, geflüchtete Iran-Korrespondentin der "International Herald Tribune", nennt ihn "den lachenden Mullah". Letztlich sei Khatami ein Systemerhalter.