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Der Lack ist ab

Von WZ-Korrespondent Tobias Käufer

Politik

Erkrankte Staatschefin erleidet Niederlage bei Kongresswahl.


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Bogota. Die einzige gute Nachricht des Tages überbrachte Sohn Maximo. Seiner Mutter gehe es wieder besser, versicherte der Stammhalter der Kirchner-Dynastie, als er gemeinsam mit Schwester Florencia seine Stimme bei den Kongresswahlen in Argentinien abgab. Das war aber auch schon alles was der bislang allmächtige Familienclan von Staatspräsidentin Cristina Kirchner vom Wahlsonntag in Argentinien mitnehmen konnte. Ihre Regierungspartei "Frente para la Victoria" ("Front für den Sieg" - FPV) hat eine schwere Niederlage erlitten. In der Hauptstadt Buenos Aires als auch in der bevölkerungsreichsten gleichnamigen Provinz Buenos Aires kassierte die FPV eine erdrutschartige Niederlage und fiel auf landesweit 33 Prozent. Mehr als 20 Prozent der Stimmen sind damit innerhalb von zwei Jahren verloren gegangen. Ihre Mehrheit behält die Regierungspartei trotzdem, weil in Argentinien alle zwei Jahre immer nur die Hälfte der Abgeordnetensitze vergeben werden und Kirchner von dem guten Wahlergebnis 2011 profitiert.

Cristina Kirchner erholt sich derzeit von den Folgen einer Operation, nachdem sich ein Blutgerinnsel im Kopf gebildet hatte. Ihre Ärzte haben ihr eine strenge Auszeit verordnet, seit mehr als zwei Wochen ist die Linkspolitikerin nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. "Ich kann nicht sagen, wann sie wieder zurückkommt, aber sie macht Fortschritte", erklärte Maximo Kirchner am Sonntag.

Die Amtszeit endet 2015. Die Wahl am Sonntag war auch eine Abstimmung darüber, ob Kirchner dann noch einmal antreten werde. Es wäre ihre insgesamt dritte Kandidatur in Folge. Dafür müsste allerdings die Verfassung mit Hilfe einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden, die ist jetzt vom Tisch. Nach dann insgesamt 12 Jahren Amtszeit des Präsidentenpaares Nestor (er verstarb vor drei Jahren) und seiner Frau Cristina wird die politische Landschaft in Argentinien dann neu aussehen. Die Wahlsieger des Sonntags bringen sich bereits in Stellung.

Erben bringen sich in Stellung

Einer von Ihnen ist Kirchners ehemaliger Mitstreiter Sergio Massa (41). Der jugendliche Bürgermeister von Tigre war von 2008 bis 2009 Kirchners Kabinettschef. Nun kämpft er mit einem eigenen Wahlbündnis "Frente Renovador" ("Front der Erneuerung" - FR) in eigener Regie. Mit einem Stimmenanteil von 44 Prozent in der bevölkerungsreichen Provinz Buenos Aires trug er den Wahlsieg davon und wird somit als ernsthafter Kandidat für die Nachfolge Kirchners bei den Präsidentschaftswahlen 2015 gehandelt. Dass auch der Filmemacher Fernando "Pino" Solanas als Kandidat eines linksliberalen Bündnisses in den Senat einzieht, gilt als weiterer Beleg für die Zersplitterung des Kirchner-Lagers. Er ist ein erbitterter Gegner des in Argentinien umstrittenen Vertrages mit dem US-Konzern Chevron, der mit dem verstaatlichten Konzern YPF Erdgas und Erdölvorkommen mit Hilfe von Fracking in Patagonien fördern will. Ein anderer Sieger des Abends hat sich bereits positioniert: Buenos Aires’ Bürgermeister Mauricio Macri und seine bürgerliche Partei "PRO" kamen auf knapp 35 Prozent der Stimmen. Noch am Wahlabend kündigte der erbitterte Gegner Kirchners, der in Buenos Aires sehr populär ist, seine Kandidatur an.

Mit dem sich abzeichnenden Ende der Kirchner-Ära setzt sich ein Trend des Machtverlustes der Linksregierungen in Lateinamerika fort. Venezuelas sozialistischer Präsident Nicolas Maduro konnte nach dem Tod des charismatischen und über die Grenzen beliebten Hugo Chavez nur noch einen hauchdünnen Wahlsieg über die Ziellinie retten, der bis heute umstritten ist. In Ecuador wächst der Widerstand der Basis gegen Präsident Rafael Correa nach dessen radikaler Kehrtwende in der Umweltpolitik und der Freigabe des artenreichen Yasuni-Nationalparks zur Rohstoffausbeutung. Und in Brasilien fegt Präsidentin Dilma Rousseff bereits seit Monaten ein Orkan des Protestes entgegen.

Lateinamerikas Linksregierungen, denen es gelang, erstmals die Armen in den Mittelpunkt ihrer Politik zu stellen und damit die Macht über ein Jahrzehnt zu sichern, fehlt eine Idee. Alle Regierungen bauen als Schlüssel einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik auf die Ausbeutung von klimafeindlichen Rohstoffen, eine nachhaltige Wirtschaftspolitik mit dem Aufbau einer eigenen unabhängigen funktionierenden Industrie, die die Länder von der Rohstoffpreisentwicklung unabhängig macht, fehlt aber. In Argentinien ist dies an der wieder einmal furchterregenden Inflation spürbar. Auch deshalb haben die Wähler Kirchner am Sonntag abgestraft.