Dass im Wiener Landtag Zusatzanträge zum Wahlrecht nicht zur Abstimmung gebracht wurden, wirft eine heikle Frage auf.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In der Sitzung des Wiener Landtags Ende März erklärte Präsident Harry Kopietz in der Debatte über Änderungen zur Gemeindewahlordnung Zusatzanträge für unzulässig und brachte sie nicht zur Abstimmung.
Die Entscheidung ist sensibel: Die Anträge zielten auf eine Änderung des Mandatsverteilungsverfahrens, die alle Fraktionen anstreben - mit Ausnahme der sozialdemokratischen Fraktion des Präsidenten.
Kopietz bedarf für seine Vorgangsweise daher einer soliden rechtlichen Grundlage, da ansonsten anzunehmen wäre, er habe einen Gesetzesbeschluss verhindern wollen, der ihm nicht passt. Eine solche Vorgangsweise wäre zweifellos eine besonders schwerwiegende Form des Amtsmissbrauchs, vergleichbar etwa der Fälschung von Stimmzetteln in großem Stil.
Zusatzanträge sind typische parlamentarische Instrumente, die in gleicher Weise vom Nationalrat bis hin zu den Gemeindevertretungen zum Einsatz kommen. Ihr Sinn ist im Wesen der parlamentarischen Beratung verankert, die der Suche nach der bestmöglichen Lösung dient. Das Ergebnis der Beratung kann durch Abänderungs- und Zusatzanträge in die Abstimmung und schließlich in den Beschluss einfließen.
Unstrittig ist daher, dass Zusatzanträge Neues enthalten, etwas, das im vorliegenden Beratungsgegenstand noch nicht enthalten ist. Die Zurückweisung eines Zusatzantrags ist nur dann zulässig - und notwendig -, wenn sein Inhalt nicht mit dem Gegenstand der Beratung zusammenhängt und die Abgeordneten aufgrund der Tagesordnung nicht damit rechnen konnten, mit den Inhalten des betreffenden Zusatzantrags konfrontiert zu werden.
War das im Wiener Landtag der Fall? Nach einer ersten sorgfältigen Prüfung keineswegs: Die Zusatzanträge bezogen sich unzweifelhaft auf dasselbe Gesetz wie die in der Tagesordnung angeführten Geschäftsstücke, in denen zudem ausdrücklich auch eine Änderung von Bestimmungen des Ermittlungsverfahrens vorgesehen war. Angesichts der intensiven Wahlrechtsdebatten der vergangenen Jahre wäre es absurd, in den Zusatzanträgen einen unzulässigen Versuch zu sehen, den Landtag zu überrumpeln, zumal der Inhalt dieser Anträge bereits seit langem bekannt war.
Bemerkenswert ist übrigens auch die ganz gegenteilige bisherige Interpretation des Begriffs "Zusatzantrag", die etwa im Jahr 2013 anlässlich der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit völlig sachfremde Ergänzungen zum Anpassungsgesetz zuließ, wogegen die Opposition zu Recht wegen mangelnder Vorbereitungsmöglichkeiten protestierte.
2001 hob der Verfassungsgerichtshof auf Antrag von Abgeordneten der SPÖ (!) das Pensionsreformgesetz unter anderem deswegen auf, weil Thomas Prinzhorn (FPÖ) als vorsitzführender Präsident einen Antrag von Peter Kostelka (SPÖ) nicht zur Abstimmung gebracht hatte (VfSlg 16151). Er verletzte damit, so der Gerichtshof, jene Regeln, die sichern sollen, dass die wahre Meinung des Nationalrats zum Ausdruck kommt. Wollte nun der Präsident des Wiener Landtags diesen daran hindern, seine wahre Meinung zum Ausdruck zu bringen? Es wird Zeit, dass er die rechtlichen Gründe für seine Vorgangsweise öffentlich darlegt.