Österreichs Verfassungsgeschichte war schon im 19. Jahrhundert so kompliziert, dass sie semesterlange Uni-Seminare füllte. Alleine das Jahr 1848 brachte eine Vielzahl von Konstitutionen, welche erstmals die Grundrechte, etwa die Pressfreiheit, verankerten. Freilich stoppte dann Franz Josephs Neoabsolutismus diese Bemühungen. Bis er 1867 nach schweren Niederlagen Ungarn - und den Bürgern die ersehnten Freiheiten gewähren musste.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Damit könnte man die Verfassungsgeschichte fast abschließen. Denn seit 140 Jahren hat man sich in einem Eckpunkt nie mehr einigen können - nämlich bei den ideologisch sensiblen Grundrechten. Diese sind seither - abgesehen von internationalen Konventionen - lediglich um Einzelbestimmungen erweitert worden, etwa der "Freiheit der Kunst". Wobei aber typischerweise schon unklar blieb, was diese überhaupt bedeutet, ob sie mehr ist als die Meinungsfreiheit, und ob man "Kunst" juristisch greifbar definieren kann.
Schon in der Regierung Klaus hat es Anläufe gegeben, die auch schon betagte Verfassung aus 1920/29 um einen Grundrechts-Katalog zu ergänzen. Ab 1990 begannen dann Überlegungen über eine umfassenden Neubau des B-VG.
1992 kam es zum Perchtoldsdorfer Abkommen, in dem schon von einer Verwaltungsgerichtsbarkeit der Länder die Rede war (die auch jetzt wieder geplant ist) und von einer Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung (also vereinfacht: der Administration von Bundeskompetenzen und -gesetzen durch die Länder). Eine Geschichtsschreibung des weiteren Prozesses müsste insbesondere die Namen Fischer, Neisser, Kostelka, Khol und Fiedler enthalten.
Neben einer mühsamen, aber machbaren Bereinigung eines immer schwerer durchdringlichen Wildwuchses an Verfassungsbestimmungen in Sondergesetzen ist vor allem eine Konfliktzone schier unlösbar: der Föderalismus.
Hier dominiert auf der einen Seite der Eindruck, dass die Länder noch nie wirklich gespart haben, während das der Bund ständig muss - dessen Finanzminister via Finanzausgleich ja auch die Länder weitgehend finanziert. Auf der anderen Seite fürchten die Länder bei jeder Reform, vom Wiener Zentralismus überrollt zu werden. Mit dieser Furcht kann man in fast allen Bundesländern sogar Wahlen gewinnen. Was verständlich ist: Denn die Bürger verstehen unter Heimat halt besonders gern ihr Bundesland.
Zugleich gibt es aber auch eherne politökonomische Gesetze: Wenn ein (Landes-)Politiker nicht den Wählern direkt für die Steuerhöhe verantwortlich ist, wird er auch nie die Tugend der Sparsamkeit praktizieren. Bei allem Pochen auf die Macht der Länder sind deren Politiker aber meist durchaus froh, dass der Finanzminister alleine für die Steuern zuständig ist.
Daher wird wohl auch die jetzige Verfassungsreform - so es denn überhaupt eine gibt - Stückwerk bleiben. Bis eine echte politische oder wirtschaftliche Krise echte Reformen erzwingt.