Der unheilvolle 11. September 2001 war der Beginn des Zeitalters der Angst, in dem wir bis heute gefangen sind.
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New York/Wien. Am 11. September 2001 um 8.46 Uhr begann ein neues Zeitalter. In der 46. Minute der achten Stunde New Yorker Ortszeit kracht Flug American Airlines 11 zwischen dem 93. und 98. Stock in den Nordturm des New Yorker World Trade Center und reißt ein großes Loch in den Turm, der sofort in Flammen steht. 9.03 Uhr: United Airlines Flug 175 fliegt direkt in den Südturm. Die Einschlagstelle liegt zwischen dem 78. und dem 82. Stock. Angriff auf Amerika. Als dann um 9.39 Uhr ein weiteres Flugzeug, American Airlines Flight 77, ins Pentagon gesteuert wird, herrscht Chaos. 9.59 Uhr: Der Südturm stürzt ein. 10.03 Uhr: Flug United Airlines 93 stürzt bei Shanksville, Pennsylvania in ein Feld. 10.28 Uhr: Der Nordturm des World Trade Center stürzt ein. Die Bilanz des Tages: 2992 Menschen sterben.
Das Zeitalter der Angst, hat begonnen, der 11. September markiert eine Art verspäteter Jahrhundertwende.
Der Mega-Terror war das Werk des saudischen Al-Kaida-Terrorpaten Osama Bin Laden, der zu jener Zeit in Afghanistan bei den Taliban Unterschlupf gefunden hatte. Bin Laden - im Kampf gegen die Sowjet-Truppen in Afghanistan noch ein Verbündeter der USA - wollte mit seinem Terror die USA dazu bringen, ihre Truppen, die seit der Befreiung Kuwaits in Saudi-Arabien stationiert waren, aus dem Land der heiligen Stätten in Mekka und Medina abzuziehen. Schon zuvor, 1996 und 1998, war Bin Laden Drahtzieher bei Anschlägen gegen US-Ziele.
George Bush jun. suchte nach einer "Rücksendeadresse" - wie der US-Nahostexperte Fuad Ajami es ausdrückte. Er fand sie in Afghanistan. Am 7. Oktober 2001 schickte George Bush seine Soldaten gegen Bin Laden und seine Verbündeten, die Taliban, in den Krieg. Er meldete sich dreißig Minuten, nachdem die ersten Luftangriffe auf Ziele in Afghanistan begonnen hatten, aus dem Treaty Room des Weißen Hauses und versprach: "Wir werden nicht scheitern. Friede und Freiheit werden siegen." Die Operation "Enduring Freedom" begann 26 Tage nach dem 11. September 2001. Nachdem die "Rückadressaten" für den 11. September nach dem Ende der Schlacht von Tora Bora am 17. Dezember 2001 entweder tot, vertrieben oder untergetaucht waren, konnte Bush sich dem nächsten Feind zuwenden.
Erstaunlicherweise gelang es der Regierung, die amerikanische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass der Irak im Zusammenhang mit dem 11. September eine Rolle gespielt haben könnte: In einer groß angelegten Umfrage des Verlagshauses Knight Ridder waren 44 Prozent der US-Bürger der Überzeugung, dass entweder "die meisten" oder "einige" der Attentäter des 11. September Iraker waren. Die richtige Antwort lautet natürlich: null. Fünfzehn der neunzehn Attentäter waren Bürger Saudi-Arabiens, des - zumindest bis zum 11. September - nach Israel engsten US-Verbündeten in der Region. Der Nahost-Experte Fuad Ajami von der Johns Hopkins Universität: "Das waren ja keine Afghanen, die da in die Türme in Manhattan und ins Pentagon geflogen sind, sondern es waren Araber. Also suchte man nach einer Adresse im arabischen Raum. Nach Ägypten oder Saudi-Arabien zu gehen, war völlig ausgeschlossen, die Adresse, an die wir die Antwort schicken wollten, war in Bagdad - also schickten wir die Antwort nach Bagdad."
Es war ganz offensichtlich, dass die Administration Bush die Anschläge des 11. September als Chance, als Carte blanche ansah.
Am 20. März 2003 begann also der Einmarsch in den Irak. Es sollte ein kurzer Krieg werden: Nur 20 Tage später, am 9. April 2003 holte ein M-88-Bergepanzer der 3rd Battalion 4th Marines die Statue von Saddam Hussein in Bagdad vom Sockel. Am 1. Mai war der Spuk vorbei, die USA hatten den Irak erobert.
Doch nun beginnt der Krieg nach dem Krieg.
In einem grausamen Aufstand gegen die US-Besatzer und in einem immer weiter eskalierenden Bürgerkrieg sterben zehntausende Iraker, hunderttausende fliehen in benachbarte Länder. Auch der Terror breitet sich aus: Am 11. März 2004 sterben 191 Menschen bei Bombenanschlägen auf Züge in Madrid, am 7. Juli 2005 kommen 56 Menschen bei Bombenanschlägen in London ums Leben.
Terror soll terrorisieren
2011 tritt die Geschichte, die im Schatten der Türme ihren Lauf genommen hatte, in eine neue Phase. In der Nacht zum 2. Mai 2011 erschossen US-Soldaten eines US-Kommandos Bin Laden bei der von US-Präsident Barack Obama befohlenen Erstürmung seines Anwesens in Abbottabad, Pakistan. Ein Kapitel ging damit zu Ende. Doch ein anderes hatte kurz davor begonnen.
Denn am 15. März hatte der Arabische Frühling nach Tunesien, Ägypten, dem Jemen und Bahrain auch Syrien ergriffen. Das Regime von Bashar al-Assad schlug die Proteste blutig nieder, die Gewalt eskalierte bis in die zweite Hälfte des Jahres zum grausamen Bürgerkrieg.
Denn die USA hatten mit ihrem Angriffskrieg auf den Irak die Büchse der Pandora geöffnet. Abu Bakr al-Baghdadis sogenannter Islamischer Staat (IS), eine noch grausamere, tödlichere Reinkarnation von Osama Bin Ladens Al-Kaida und Abu Musab al-Zarqawis Al-Kaida im Irak, fand in den Bürgerkriegszonen des Irak und in Syrien einen fruchtbaren Boden. Daesh, wie IS auf Arabisch genannt wird, überrannte in einem wahren Blitzkrieg von 2013 bis Sommer 2014 irakische, syrische und kurdische Sicherheitskräfte und schaffte es, sich im sogenannten sunnitischen Dreieck zu etablieren. Bis heute kontrolliert der IS Städte wie Raqqa in Syrien oder die Millionenstadt Mosul im Norden des Irak.
"Isis repräsentiert eine neue Welle des Dschihadismus. (...) Al-Kaida hatte weniger als 3000 Kämpfer und kein eigenes Territorium. (...) Isis fordert Al-Kaida heraus und die imperialen Ambitionen zeigen, dass wir es mit einer Organisation zu tun haben, die als bedeutender Player der Region ihren Willen aufzwingen will - und zwar als De-facto-Staat, den der IS nun einmal darstellt", schreibt der Terrorexperte Fawaz E. Gergez in seinem Buch "Isis - A History".
Zurück zur Retro-Utopie?
Die Wirren in Syrien haben schließlich zur Flüchtlingswelle des Sommers 2015 beigetragen.
Eine Million Menschen aus der Region machten sich auf den Weg nach Europa, nachdem mehrere Millionen zuvor bereits in den Libanon und nach Jordanien und in die Türkei geflüchtet waren. Der Krieg in Syrien ist längst zu einem zynischen Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien mutiert, dazu kommt ein ungustiöses militärisches Schaulaufen Russlands, der Türkei und der USA.
Seit den Terroranschlägen vom 7. Jänner 2015 auf die Redaktion der Satirezeitung "Charlie Hebdo" und vom 13. November in Paris auf die Konzerthalle Bataclan, das Stade de France, die Bar Le Carillon, das Restaurant Le Petit Cambodge, das Café Bonne Bière und das Restaurant La Casa Nostra, die Bar La Belle Équipe und das Café Comptoir Voltaire, bei dem insgesamt 130 Menschen getötet wurden, ist Frankreich im Ausnahmezustand. Frankreich war im Innersten verwundet.
Die bittere Erkenntnis der Banalität des Bösen: Der Zweck von Terror ist es, zu terrorisieren. Und wenn Angst und Schrecken um sich greifen, haben die Terroristen ihr Ziel erreicht.
Am 14. Juli 2016 fuhr ein Attentäter einen Lkw durch eine Menschenmenge in Nizza und tötete 86 Menschen. Den Franzosen war klar: Es gibt einfach keine Sicherheit im Land, auch wenn die Polizei erst in der Nacht auf Freitag südlich von Paris drei Frauen festgenommen hat, die offenbar wild entschlossen waren, einen Anschlag zu verüben: "Die drei Frauen sind 19, 23 und 39 Jahre alt, sie waren radikalisiert und fanatisch. Sie haben wahrscheinlich gewaltsame Aktionen geplant, und zwar in unmittelbar nächster Zeit", sagte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve.
Nachdem der IS im Irak und in Syrien weiter an Boden verliert, befürchten die französischen Sicherheitsbehörden, dass viele der französischen IS-Kämpfer nach Frankreich zurückkehren, um dort Anschläge zu verüben. Der Chef des Inlandsgeheimdienstes hatte erst vor kurzem erklärt, dass Attentate mit Autobomben zu befürchten sind Und so scheint es, als würden die Terroristen ihr Ziel erreichen: Die Gesellschaft - nicht nur in Frankreich - ist höchst verunsichert, in der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit scheint es, als seien viele Bürger westlicher Demokratie angesichts der Bedrohung willens, die Freiheit auf dem Altar der Sicherheit zu opfern.
Der polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zymunt Baumann erzählt in einem Interview im aktuellen "Spiegel" von seinem neuen Buchprojekt "Retrotopia", einem Ort der Utopie - genauer - der "Retro-Utopie". Seine Sätze lassen erahnen, dass mit der Retro-Utopie die Zeit vor dem 11. September gemeint sein muss: "Wir träumen von einer verlässlichen Welt, einer Welt, der wir trauen können."
Doch am 11. September 2001 stürzten die 415 Meter hohen Türme in Manhattan in sich zusammen und begruben Sicherheiten, Gewissheiten und hoffnungsvolle Utopien unter Tonnen von Trümmern, Schutt und Staub. Die Schatten der Türme ragen freilich bis ins Heute, in die Gegenwart von Krieg, Chaos und Terror, eine Gegenwart, die an jenem unheilvollen Tag ihren Ausgang nahm.