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Folterchef der Roten Khmer zu 35 Jahren Haft verurteilt. | Korruption unterminiert heutige Gesellschaft.
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Leap klopft auf seinen Unterschenkel. Es klingt hohl. Als er 13 Jahre alt war, hat ihm im Nordwesten Kambodschas eine Landmine das Bein weggerissen. Jetzt zeigt er rund 60 Kilometer weiter südlich in der Tempelstadt Angkor Thom den Touristen, wo sie gute Blickwinkel für schöne Fotos bekommen.
Er ist keiner von den staatlich geprüften Fremdenführern. Mit Hilfe eines einjährigen Englischkurses hat er sich aber genug Kenntnisse angeeignet, um von den Ausländern ein paar Dollar zu bekommen, um sich und seine Familie durchzubringen.
Hier, in der Gegend um Siem Reap, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, schlägt das Herz des kambodschanischen Fremdenverkehrs. Rund zwei Millionen ausländische Besucher kommen jährlich vor allem deshalb ins Land, um die spektakulären Überreste der alten Khmer-Zivilisation zu sehen, die vom 9. bis zum 13. Jahrhundert das mächtigste Reich der Region bildete. An vielen Zugängen zu den Tempeln und Palästen von Angkor, die über ein Areal von rund 100 Quadratkilometern verteilt sind, erklingt traditionelle kambodschanische Musik - dargeboten von Minenopfern.
Das Fehlen ihrer Gliedmaßen ist Folge eines 30-jährigen Bürgerkrieges, wie ihn die Einheimischen bezeichnen und dessen Geschichte nun durch die Verurteilung des Folterchefs der Roten Khmer, Kaing Guek Eav alias Duch, zu 35 Jahren Haft wieder in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit gerückt ist.
Der Krieg begann um 1968, als der immer wendige Prinz Norodom Sihanouk sich gegen die bisher mit ihm verbündeten Linken wandte. Gleichzeitig unterhielt er gute Beziehungen zu Vietnams Kommunisten, die im Nachbarland gegen die USA kämpften, ließ Waffentransporte und sogar Stützpunkte auf seinem neutralen Boden zu. Der Prinz wurde von einem US-freundlichen General namens Lon Nol weggeputscht und verbündete sich daraufhin mit den Guerilleros der Roten Khmer. Die Herrschaft Lon Nols wie auch die Bombardements der US-Amerikaner in den Grenzregionen zu Vietnam ließen die kommunistischen Rebellen erstarken.
Erinnerungen an die "Killing fields"
Diese zogen am 17. April 1975 siegreich in der Hauptstadt Phnom Penh ein und errichteten sofort eine Schreckensherrschaft, während der ein knappes Drittel der damaligen Bevölkerung ermordet wurde, verhungerte oder an Krankheiten starb.
In zwei Umsiedlungswellen wurden von den Khmer Rouge, wie sie von Sihanouk getauft worden waren, hunderttausende Kambodschaner aus ihrer Heimat vertrieben, Familien getrennt. Phath, heute Unternehmer in Phnom Penh, erlebte dies mit. Als 11-Jähriger wurde er von seinen im Osten des Landes lebenden Eltern getrennt und nach Westen in ein Kindercamp gebracht. Dort musste den ganzen Tag gearbeitet werden. Wenn es auf den Feldern nichts zu tun gab, wurden die Kinder zu sinnloser Arbeit gezwungen - "um uns zu brechen", wie Phath erklärt.
Auf der Fahrt von Battambang, der zweitgrößten Stadt des Landes, nach Phnom Penh kommt man an seiner Stätte des Leidens vorbei. Phath erinnert sich, dass vor der buddhistischen Pagode hunderte Menschen gelegen sind, gestorben an Hunger oder umgebracht. Ein "Killing field" bei Phnom Penh ist heute eine viel besuchte Gedenkstätte - an dieses hier erinnert heute nichts mehr.
Pol Pot, der Führer der Roten Khmer, starb 1998, und erst da kam nach Jahren des Guerillakrieges das Land zur Ruhe. Einige seiner Gefolgsleute sollen sich nun in Phnom Penh vor den "Extraordinary Chambers of the Courts of Cambodia" (ECCC) für die begangenen Verbrechen verantworten, einem von nationalen und - im Auftrag der UNO - internationalen Richtern besetzten Gremium. Gestern, Montag, sprach das Gericht das erste Urteil. Duch, der Leiter des berüchtigten Gefängnisses Tuol Sleng, wurde zu 35 Jahren Haft verurteilt. Absitzen muss der 67-jährige davon noch 19 Jahre. 11 Jahre der Strafe hat er bereits verbüßt, zudem wurden fünf Jahre abgezogen, weil er laut Richter zu Unrecht in einem Militärgefängnis einsaß. In Tuol Sleng wurden während des Regimes der Roten Khmer mehr als 12.000 Männer, Frauen und Kinder zu Tode gequält.
Komplizierter wird die Beweislage im Fall 2, in dem vier führende Köpfe der Roten Khmer angeklagt sind. Für die Hinterbliebenen der Opfer ist die Zahl der Angeklagten ohnehin zu klein. Gegen weitere Verfahren wehrt sich aber Ministerpräsident Hun Sen. Einst selbst ein Roter Khmer, ist er vor den mörderischen Säuberungen durch die eigenen Genossen nach Vietnam geflüchtet und mit vietnamesischen Invasionstruppen 1979 nach Phnom Penh zurückgekehrt. Nach langen Jahren des Boykotts seiner Regierung durch die USA und China verfolgte er in den 1990er Jahren einen Versöhnungskurs mit den Widerstandskämpfern. Heute sitzt er praktisch als Alleinherrscher fest im Sattel - und hat Verbündete in den Provinzen, die ein Aufrollen ihrer Roten-Khmer-Vergangenheit fürchten.
Trotzdem halten der illegale Fremdenführer Leap ebenso wie sein legaler Kollege Bunsam das Tribunal für ein gutes Zeichen. Und Bunsam hat auch Erklärungen für die Popularität des Premiers, die über sein Beziehungsgeflecht und sein Medienmonopol hinausgeht: Hun Sen gilt als der Mann, der Kambodscha ein zweites Leben gegeben hat. Auch Phath sieht trotz aller Kritik in Hun Sen einen Garanten für die Stabilität des Landes nach 30 Jahren Krieg - "die Menschen wollen endlich in Ruhe ihr Leben und ihr Land aufbauen", sagt er.
Hart getroffen von der Wirtschaftskrise
Die internationale Wirtschaftskrise macht viele Hoffnungen aber wieder zunichte. Nach zweistelligen Wachstumsraten in den letzten Jahren, schrumpfte die Wirtschaft 2009 um etwa ein Prozent. Vor allem die in den letzten Jahren von ausländischen Investoren aufgebaute Textilindustrie rund um Phnom Penh, die mit 70 Prozent den Großteil der Exporte des Landes ausmacht, ist schwer getroffen, einige Fabriken wurden geschlossen, zehntausende Arbeitsplätze gingen verloren.
Die Regierung setzt neben dem Fremdenverkehr ihre Hoffnung auf die Landwirtschaft und dabei vor allem auf den Reisanbau, der den Reichtum des Angkor-Königsreichs begründet hat und den Roten Khmer als Basis ihrer kommunistischen Gesellschaft dienen sollte. Dieser Sektor erwirtschaftet 32 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und bietet mehr als der Hälfte der acht Millionen Beschäftigten eine Einnahmequelle. Allerdings ist bisher die Produktivität gering, die Infrastruktur schlecht. Daher leben viele Bauern unter der Armutsgrenze von einem halben Dollar am Tag. Die meisten können sich aber zumindest von den eigenen Erzeugnissen ernähren und somit Hunger vermeiden, freilich steigt auch für sie jetzt die Bedrängnis: Viele gekündigte Fabriksarbeiter können ihre Familien in den Provinzen nicht mehr unterstützen, sondern müssen nach Hause zurückkehren. Familien nehmen ihre Kinder aus den Schulen, damit sie zum Einkommen beitragen können.
Die Kleinbauern haben zusätzlich noch mit mächtigen Gegnern zu kämpfen: Die Regierung verkauft Landkonzessionen an ausländische Investoren. Viele Bauern können keine Eigentumstitel vorweisen - eine Spätfolge des Regimes der Roten Khmer, die das Land kollektivierten und die alten Kataster vernichteten. Ganz gegen ihre Intentionen profitieren davon ausländische Unternehmen, aber auch die heimische Nomenklatura. Provinzherrscher und Regierungsbeamte beteiligen sich eifrig an der Bodenspekulation.
Posten werden durch Schmiergelder erlangt
Sie können sich auch teure Gegenden wie im Norden von Phnom Penh leisten, wo die Wohnungen einige 100.000 Dollar kosten. Kleinen Angestellten in Ministerien bleibt dies verwehrt. Die Laborantin Meta verdient dort nur 55 Dollar im Monat. Würde sie nicht nebenbei als Fremdenführerin mindestens 30 Dollar pro Tag erhalten, hätte sie die 30.000 Dollar für ihre Wohnung schwerlich aufbringen können.
Die hauptstädtische Regel, dass zwei Jobs zum Leben notwendig sind, gilt nicht für hohe Staatsbedienstete. In Phnom Penh läuft beispielsweise das Gerücht um, dass viele Richter nicht an das Tribunal berufen werden wollten, obwohl damit ein wesentlich höheres Salär verbunden gewesen wäre. Gleichzeitig hätten sie aber ihre Bestechungsgelder verloren.
Niedrigere Chargen von Justizbeamten wussten die höhere Bezahlung hingegen wohl zu schätzen und kauften sich Posten beim Tribunal. Die kambodschanischen Untersuchungen führten laut der "Open Society Justice Initiative", einer unabhängigen Gruppe von Tribunal-Beobachtern, nur zu der Schlussfolgerung, dass eine faire Verhandlungsführung dadurch nicht beeinträchtigt sei.
Dies verweist auf ein Problem, dass viele Kambodschaner für das drängendste des Landes halten: die allgegenwärtige Korruption. Sie ist eine der wenigen Ursachen für die triste Situation Kambodschas, die man nur mittelbar dem Pol-Pot-Regime anlasten kann - denn Korruption tritt am stärksten in den ärmsten Ländern auf, und sie hat auch schon unter Sihanouk oder Lon Nol grassiert.
Zur Erlangung eines Postens muss man Schmiergelder zahlen, ebenso, wenn man ein Auto kaufen möchte. Auch die zahlreichen internationalen Hilfsorganisationen, die Kambodschas relativ schmalen Branchentelefonbuch rund zehn Seiten füllen, sollen davon schon infiziert sein.
Und die Zeitung "Cambodia Daily" zitierte eine Studie, wonach Unternehmer die Korruption als größtes Hindernis für ihre Tätigkeit benennen: Demnach muss man sogar die Steuerbehörde bestechen, wenn man ordnungsgemäß Steuern abführen möchte.