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Der lange verdrängte Völkermord

Von Mirjam Mohr

Politik

Berlin - Ende März könnte Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, seinem Traum einen Schritt näher gerückt sein. Denn dann soll das Modell eines Berliner Mahnmals für die im Holocaust ermordeten Sinti und Roma fertig sein. Vorausgegangen war ein jahrelanger Kampf, der symptomatisch ist für den gesellschaftlichen Umgang mit dieser Minderheit. Denn dass die so genannten Zigeuner wie die Juden Opfer des Nazi-Rassenwahns waren, wurde im Nachkriegs-Deutschland lange verdrängt.


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Erst 1982 wurden die Verbrechen an den Sinti und Roma offiziell als Völkermord anerkannt, doch bis heute müssen Angehörige dieser Minderheit mit den Jahrhunderte alten Vorurteilen leben. Das lang umkämpfte Mahnmal soll daher als Ausdruck einer längst überfälligen Rehabilitation dienen. Ursprünglich war ein Mahnmal für alle Holocaust-Opfer geplant. Da der Zentralrat der Juden in Deutschland aus religiösen Gründen aber ein separates Mahnmal wollte, bot der Berliner Senat den Sinti und Roma ein Grundstück zwischen Reichstag und Brandenburger Tor an. Es habe definitive Zusagen des Senats gegeben, erklärt Rose. "Doch plötzlich hieß es, dies seien eher private als offizielle Aussagen gewesen."

Es folgte ein Jahre langer Streit um das zugesagte Grundstück. Während die rot-grüne Bundesregierung mehrfach versicherte, sie werde notfalls "an anderer prominenter Stelle" in Berlin ein Mahnmal errichten, stellte sich die Stadt als Besitzerin des Grundstücks quer. Erst im Juli vergangenen Jahres gab der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen nach.

"Ich denke, der Grund für diese Entscheidung war die öffentliche Diskussion auch auf internationaler Ebene", erklärt Rose. Denn einige Tage zuvor hatte der Zentralrat einen internationalen Appell veröffentlicht, den zahlreiche in- und ausländische Politiker und Prominente unterzeichnet hatten. Inzwischen gibt es einen Vertrag zwischen Berlin und dem Künstler Dani Karavan, der das Mahnmal entwerfen soll.

Mehr als eine halbe Million Sinti und Roma wurden in Hitlers "Drittem Reich" ermordet. 1997 erklärte der damalige Bundespräsident Roman Herzog, dieser Völkermord sei "aus dem gleichen Motiv des Rassenwahns, mit dem gleichen Vorsatz und dem gleichen Willen zur planmäßigen und endgültigen Vernichtung durchgeführt worden wie der an den Juden". Doch während nach dem Krieg die Verbrechen an den Juden thematisiert wurden, "sind die Verbrechen an uns untergegangen", klagt Rose.

Der "Antiziganismus" lebte fort: Erst zu Beginn der 80er Jahre wurden die "rassehygienischen" Unterlagen der Nationalsozialisten sichergestellt; bis dahin waren sie weiter wissenschaftlich ausgewertet worden. Leistungen aus dem Bundesentschädigungsgesetz blieben den Sinti und Roma häufig verwehrt. Grundlage war eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1956, wonach sie erst ab 1943 aus rassischen und nicht aus "kriminalpräventiven" Gründen verfolgt worden seien. Das Urteil wurde zwar 1963 aufgehoben, aber noch bis in die 90er Jahre mussten viele Betroffene um Wiedergutmachung kämpfen.

Diese Tradition lebt nach Ansicht Roses teilweise immer noch fort. So legt der Zentralrat regelmäßig Beschwerde beim deutschen Presserat ein, weil in Medienberichten immer wieder Beschuldigte als Sinti, Roma oder "Zigeuner" gekennzeichnet werden.

Seit 1994 verlangt der Zentralrat deshalb ein entsprechendes Diskriminierungsverbot im Beamten- und Presserecht der Länder, das von einem Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Helmut Simon gestützt wird. "Getan hat sich bisher nichts", sagt Rose. Dennoch ist der Zentralratsvorsitzende nicht völlig pessimistisch. Ein Teil der Bevölkerung sei inzwischen sensibler geworden und habe ein anderes Bewusstsein entwickelt. Dennoch bestünden viele Klischees und rassistische Vorurteile weiterhin. So ergab noch 1993 eine Allensbach-Studie, dass 64 Prozent der Deutschen keine Sinti und Roma als Nachbarn wünschen. Noch unbeliebter waren nur Drogenabhängige und Rechtsextremisten.