Europa empfängt Präsident Selenskyj mit offenen Armen - Russlands Krieg lässt wenig Spielraum für Zwischentöne.
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Nun also Europa: Der erste Besuch des ukrainischen Präsidenten seit Kriegsbeginn hatte noch nach Washington geführt, nun reiste er ins Vereinigte Königreich, nach Paris und Brüssel. Wolodymyr Selenskyj wird überall mit offenen Armen empfangen, am deutlichsten sichtbar im EU-Parlament. Menschenmassen haben sich am Donnerstag auf den Balustraden im zwölf Stock hohen Atrium versammelt, an dessen Fuß der rote Teppich endet, um Beifall zu klatschen. Auch im voll besetzten Plenarsaal gibt es mehrmals Standing Ovations - der Wille zur Unterstützung des vom Angriffskrieg so schwer getroffenen Landes steht in direkter Korrelation zum Eindruck, den der Präsident macht. Dieser Punkt geht an ihn; wie kaum ein anderer kann er als Person auf das Schicksal und die Bedürfnisse der Ukraine aufmerksam machen.
Selenskyj bringt von seiner kurzen, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfindenden Tour viel mit nach Hause, auch wenn er nicht über alles berichten kann. Mehrmals wird er in Brüssel zum Thema Kampfjets befragt, mehrmals weicht er aus. "Wir wollen ja den russischen Angreifer nicht informieren", sagt er dann und spricht über nötige Ausbildungseinheiten, Trainingsmissionen, für die es Zeit brauche. Und doch: Er habe gehört, dass man der Ukraine Waffen zukommen lasse, "auch die entsprechenden Flugzeuge", wie er es schließlich formuliert.
Tauziehen um EU-Beitritt
Kampfjets hat ausdrücklich die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, bei ihrer Begrüßung erwähnt. Entscheidend aber, so Selenskyj später im hoffnungslos überfüllten Pressesaal, seien die bilateralen Gespräche am Rande des Gipfels, zu dem die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag angereist waren. Das sieht auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen so: "Die EU hilft bei der Koordination, die Lieferungen selbst sind Sache der Mitgliedsländer."
Die Gespräche dauern bis in den späten Nachmittag, das Programm verschiebt sich permanent nach hinten. Österreich ist in einer Sechsergruppe mit Ungarn - Details werden zunächst nicht bekannt. Und Deutschland? Kanzler Olaf Scholz war am Mittwoch beim Treffen in Paris auf Einladung von Präsident Emmanuel Macron dabei, Berlin saß also mit am Tisch. Scholz sagte später, dass Deutschland sich für eine schnelle Lieferung von Kampfpanzern in die Ukraine einsetzen werde.
Bei aller Einigkeit sind am ehesten noch die unterschiedlichen Zugänge zu erkennen, wenn es um einen EU-Beitritt der Ukraine geht. Kommission und Rat, das Gremium der Länder, bleiben hier verhalten; im April gibt es eine erste Bewertung der Reformen durch die Kommission, bis Jahresende dann einen Evaluierungsbericht, mit dem sich danach der Rat beschäftigen kann. Selenskyj sieht das bereits als Startschuss für den Beginn der Beitrittsgespräche. Von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel zeigen sich zwar erfreut über den großen Reformerfolg in einigen der sieben festgelegten Verhandlungskapitel, betonen aber weiterhin, dass kein eindeutiger Zeitplan damit verknüpft sei. Von der Leyen: "Wir arbeiten gemeinsam daran - das ist alles leistungsbasiert und folgt keiner rigiden Zeitlinie."
Ruf nach weiteren Sanktionen
Selenskyj ruft die EU-Staats- und Regierungschefs zu weiteren Sanktionen gegen Russland auf und nennt ausdrücklich die Raketenindustrie, den Drohnen- sowie den IT-Sektor. Das zehnte Paket soll aber ohnedies noch vor dem Jahrestag des Kriegsbeginns in Kraft treten - es wird weitere Personen treffen, eine Ausweitung der Exportverbote im Rahmen von rund zehn Milliarden Euro sowie speziell "Propagandavertreter von Putin", wie es die Kommissionspräsidentin beschreibt. Vom Gipfel zeigt sich Selenskyj ermutigt und dankbar, "dass die EU an unserer Seite steht". Dankbarkeit hat er auch schon im EU-Parlament betont und die Aufnahme in die EU als großes Ziel hervorgehoben: "Für die Ukraine ist es der Weg nach Hause", so Selenskyj, der nicht wie sonst häufig im olivgrünen, sondern im schwarzen Pullover mit dem Schriftzug "United24" auftritt. Dies weist auf die von ihm gestartete gleichnamige Spendenplattform für die Ukraine hin.
Der totale Krieg, so formuliert es der Präsident, habe das Ziel, die ukrainisch-europäische Lebensweise zu vernichten, das dürfe man nicht zulassen. Im Parlament werden darauf hin die ukrainische und die europäische Hymne gespielt.