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Seit Jahren sind die globalen Lieferketten gestört. Funktioniert jetzt alles wieder? Wir haben den Weg eines Smartphones nachgezeichnet.
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Als der Einzelhändler im niedersächsischen Langenhagen ein Smartphone orderte, dürfte er schon das Schlimmste geahnt haben. Wochen- und monatelange Verspätungen hat die Wirtschaftswelt über die vergangenen Jahre immer wieder beklagt. Aber wenn eine Endverbraucherin ein Smartphone wünscht, muss ein Händler eben alles tun, um es schnellstmöglich zu beschaffen. Also gab er noch am 11. November, als die Kundin aus dem norddeutschen Nienburg an der Weser ihren Kaufwunsch äußerte, die Bestellung auf.
In Zeiten, als die Lieferketten noch weitgehend reibungslos funktionierten, dauerte so ein Prozess deutlich weniger als zwei Monate. Seit Beginn der Pandemie sind es manchmal mehrere Wochen zusätzlich gewesen. Nun aber beteuern Smartphonehersteller, dass die einstigen Probleme größtenteils behoben seien. Mit Daten von Project 44, einem Unternehmen, das weltweite Transportwege überwacht, dokumentieren wir hier, inwieweit dies zutrifft.
Lockdowns, zu wenig Personal, Wassermangel
Bei den Angaben handelt es sich um anonymisierte "End-to-End-Testdaten", die sich in einem echten Produkt orientieren. Demnach sieht der Weg eines Smartphones über den Globus derzeit in etwa folgendermaßen aus: Da das Gerät bereits hergestellt ist, kann der Händler aus Deutschland durchatmen. Sein Klient in der Fertigungsmetropole Shenzhen im Süden Chinas hat das Produkt vorrätig und muss es nur noch nach Europa schicken. Wobei beide Seiten längst wissen: "Nur" ist ein Begriff, der in den vergangenen drei Jahren eine neue Bedeutung erhalten hat.
Es ist viel zusammengekommen. Da waren nicht nur die Auswirkungen des anfangs unbekannten Coronavirus, das weltweit Lockdowns erzwang, sodass es an Hafenpersonal mangelte, das die Schiffe hätte entladen können. In Halbleiterfabriken in Ostasien kam es zudem zu Bränden, heiße Sommer sorgten dann noch für Wassermangel, was die Chipherstellung bremste.
Vor allem für diverse Tech-Produkte, deren Wertschöpfungskette in hohem Maß globalisiert ist, sind die Auswirkungen solcher Vorfälle fatal. "Natürlich bleibt lauter Ladung stehen", erklärte Ende des vergangenen Jahres ein Manager des Hamburger Hafens. "Wenn Sie den Automobilumschlag nehmen: Da haben wir den Mangel mit Halbleitern. Da wurden Häfen als Abstellfläche genutzt, um die nicht fertiggebauten Autos erst einmal zu parken." So staut sich auch die Abfertigung anderer Waren.
Zu allem Überfluss kam vor einem Jahr der Angriff Russlands auf die Ukraine hinzu, was nicht nur zu handelspolitischen Verwerfungen führte, sondern auch zu Unklarheit. "Ladungen blieben beim Zoll liegen, wo man überlegen musste: Ist das mit Sanktionen belegt?" Während mittlerweile die meisten Fragen rund um die Implikationen der Sanktionen geklärt sind, hallen die Effekte nach. "Es gilt immer noch, die Pandemie zu bewältigen und die Krise in der Ukraine zu finanzieren", erklärt der Hamburger Hafenmanager. Weiterhin gehe es um Personalmangel und Einnahmeausfälle.
Das Smartphone aber ist am Tag nach dem Eingang der Bestellung aus dem Distrikt Longgang in Shenzhen, wo der Hersteller sitzt, mit dem Lkw zum 30 Kilometer südlich gelegenen Hafen Yantian gefahren worden. Von hier aus soll die große Reise starten. Nur entsteht hier auch das erste Problem: Das Schiff, das laut Plan Europa ansteuern wird, ist nicht da. Zwar sind die harten Lockdowns in China, die lange Zeit den Handelsverkehr aufgehalten haben, seit Ende letzten Jahres gelockert. Aber auch Wetter, plötzliche Nachfrageveränderungen oder globale Ereignisse können zu Störungen führen.
Wenn der Container auf die Abholung warten muss
Sechs Tage wartet der Container, in dem das Smartphone verstaut ist, in Yantian auf Abholung. Es hätte schlimmer kommen können. Als es endlich losgeht, verläuft die Fahrt reibungslos: Die 18.758 Kilometer lange Strecke von Yantian nach Hamburg legt das Schiff in 36 Tagen zurück, am 11. Januar erreicht es das reservierte Terminal in Norddeutschland. Dabei treten Probleme in der Lieferkette vor allem an den Kettengliedern auf, also den Übergangsstellen. So auch in Hamburg. Zwar gibt es keine Verzögerung bei der Entladung der Ware. In Hamburg arbeitet wieder genügend Personal, zudem sind die Flächen, die für die Abfertigung benötigt werden, nicht mehr vollends mit Autos vollgestellt. Aber der Lkw, der das Smartphone nach Niedersachsen bringen sollte, ist verspätet. Ein typischer Grund wäre der akute Arbeitskräftemangel an Lkw-Fahrern in Deutschland. Die Daten von Project 44 geben dies im Detail nicht her.
Am 15. Jänner, mit einem weiteren Tag Verspätung, kommt das Smartphone im Lager eines Großhändlers an, der das Produkt schnellstmöglich an den Einzelhändler weiterleiten soll. Aber auch hier kommt es zu Verzögerungen, durch Personalmangel. Seit den pandemiebedingten Lockdowns haben sich die Personalengpässe in diversen Branchen noch erhöht. Auch die Logistik, wo zeitweise diverse Aktivitäten ruhen mussten, ist hiervon betroffen. Die Lieferung des Smartphones ist bereits deutlich mehr als eine Woche verzögert, da trifft es am 31. Jänner endlich in Nienburg an der Weser ein. Der Händler aus Langenhagen kann das Produkt damit an seine Kundin verkaufen.
Die Nachfrage hat stark nachgelassen
Was in prä-pandemischen Zeiten für Aufregung gesorgt hätte, gilt heute schon als Erfolg. Mitte Februar erklärte Samsung, einer der größten Smartphonehersteller der Welt, die Lieferketten seien nun zu "100 Prozent stabil". So erwarte man erneute Zuwächse im Geschäft, wenn in diesem Jahr das neue Galaxy S23 weltweit auf den Markt kommt. Wobei die relative Entlastung der Lieferketten, die sich derzeit offenbart, nicht nur daher rührt, dass einige Probleme nachgelassen und sich zudem diverse Marktteilnehmer mit Widrigkeiten arrangiert haben.
Zuletzt hat auch die Nachfrage nach Technologieprodukten wie Smartphones stark nachgelassen, sodass es hier einfach weniger zu liefern gibt. Erst wenn sich dies wieder ändert, stehen die globalen Handelsketten vor ihrem wahren Lackmustest.