Das auf Grund des Rundfunk-Volksbegehren 1964 im Jahr 1966 beschlossene Rundfunkgesetz war noch keine 25 Jahre alt, da begann man Anfang der 90-er Jahre auf parlamentarischer Ebene sowie in der Medienbranche intensiv über die Notwendigkeit einer großen ORF-Reform zu debattieren. Die medienpolitischen Vorhaben gehörten rund zehn Jahre lang zu den umstrittensten Themen der SPÖ/ÖVP-Koalition. 1998 konnte man sich auf eine sogenannte "kleine ORF-Reform" | einigen. Die Schaffung der legistischen Grundlagen für die "große ORF-Reform" blieb allerdings der ÖVP/FPÖ-Regierung vorbehalten, die im März 2001 den entscheidenden Durchbruch bekannt gab und gestern - nach Berücksichtigung von Einwänden im Begutachtungsprozess - die entsprechenden Gesetzesvorlagen im Ministerrat einbringen konnte.
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1990: Der Diskussionsprozess beginnt
Bereits im November 1990 monierte die ÖVP, dass die 1973 von Bundeskanzler Bruno Kreisky inszenierte "ORF-Gegenreform" die Rechtsgrundlagen in wichtigen Bereichen "wieder verwässert und bei der Bestellung von Führungsorganen entscheidend verschlechtert" habe. ÖVP-Bundesrat und ORF-Kuratoriumsmitglied Jürgen Weiss forderte eine Rückbesinnung auf das frühere Rundfunkgesetz und das seinerzeitige Rundfunk-Volksbegehren und hatte dabei insbesondere die Rechtsform des ORF als Kapitalgesellschaft unter Beteiligung der Bundesländer und eine Stärkung der Stellung des Generalintendanten im Auge.
In Deutschland setzte zu dieser Zeit gerade die Etablierung großer privater TV-Vollprogramme ein, die über Kabel und Satelliten auch nach Österreich ausgestrahlt wurden. Es ging hierzulande daher vorrangig darum, den öffentlich-rechtlichen ORF im Verdrängungswettbewerb zu stärken, seine Marktführerschaft zu behaupten und gleichzeitig die Liberalisierung des heimischen Fernsehmarktes in Angriff zu nehmen. ÖVP-Klubobmann Heinrich Neisser verwies in einer Aktuellen Stunde im November 1993 darauf, dass es de facto bereits durch das Kabel- und Satellitenfernsehen Medienvielfalt in Österreich gebe, dass sich nun aber die Chance böte, die Medienpolitik grundsätzlich zu überdenken und den neuen Gegebenheiten anzupassen. Im übrigen sie nun auch "der richtige Zeitpunkt zu einer umfassenden ORF-Reform".
Wenige Monate später, im April 1994, gab Bundeskanzler und SPÖ-Bundesvorsitzender Franz Vranitzky die weitere Linie der Bundesregierung vor. Die vom Koalitionspartner ÖVP so vehement geforderte ORF-Reform und damit die Schaffung der legistischen Voraussetzung für ein österreichisches Privatfernsehen wurde auf den Beginn der nächsten Legislaturperiode verschoben: Die Qualität der Lösung müsse Vorrang vor der Zeit haben.
Nicht zufrieden mit dieser Verzögerung zeigte sich in einer Stellungnahme der frühere ÖVP-Mediensprecher Ferdinand Maier, der an 25. April 1994 die Umwandlung des ORF in eine Aktiengesellschaft sowie die Privatisierung des Fernsehens durch eine Öffnung des zweiten ORF-Kanals verlangte. ÖVP-Generalsekretär und -Mediensprecher Wilhelm Molterer sprach sich zwar auch für eine TV-Liberalisierung aus, konnte jedoch der Idee einer Schwächung des
öffentlich-rechtlichen ORF nichts abgewinnen: Seine Partei bekenne sich insbesondere zur föderalistischen Struktur des ORF, an der auch in Zukunft nicht gerüttelt werden dürfe. Beide Kanäle sollten weiterhin vom ORF selbst betrieben werden.
1996: Regierungsübereinkommen
Am 22. Februar 1996 schien es dann so weit zu sein. Bei den gerade laufenden Regierungsverhandlungen sei im medienpolitischen Bereich eine Einigung über die ORF-Reform erzielt worden. Bei einer Änderung des Rundfunkgesetzes sollte der ORF in eine "adäquate Gesellschaftsform" umgewandelt werden, die "modernen Anforderungen" entsprechen müsse (Vranitzky-Kabinettschef Karl Krammer). Darüber hinaus sollte das "duale" Finanzierungsprinzip des ORF (Gebühren/Werbung) abgesichert werden, indem dem öffentlich-rechtliche Rundfunk die Möglichkeit eröffnet werden, in neuen Geschäftsfeldern - im Rahmen des Unternehmensziels - tätig zu werden. Beim Privatradio einigte man sich darauf, dass in allen Bundesländern zumindest ein regionales Privatradio oder lokale Privatradios rasch ihren Betrieb aufnehmen sollten. Für die terrestrische Verbreitung von Privatfernsehen sei ebenfalls die adäquate gesetzliche Grundlage zu schaffen. Sechs Monate später war bei den Alpbacher Gesprächen zwar viel von öffentlich geäußertem Problembewusstsein über die immer schwieriger werdende Wettbewerbslage des ORF und die Notwendigkeit einer raschen Reform die Rede, zugleich aber verlautete, dass die beiden Koalitionspartner in Sachen ORF-Reform kaum über das Anfangsgeplänkel hinausgekommen seien. Die ÖVP zeigte sich unzufrieden mit dem SPÖ-Junktim zwischen den praktisch bereits ausverhandelten Gesetzen zu Regionalradio und Kabelfernsehen einerseits und der noch in vielen Punkten strittigen ORF-Reform andererseits. Die SPÖ aber pochte auf die Koalitionsvereinbarung, wonach es neben Regionalradio und Kabel auch eine politische Einigung über den ORF geben solle. Weiter in Diskussion war zu diesem Zeitpunkt die Gesellschaftsform des ORF, wobei es Konflikte zwischen möglichen Bund- und Länder-Beteiligungen gab sowie abweichende Meinungen über die von der ÖVP angestrebte verstärkte Regionalisierung. Die SPÖ hielt dagegen, dass man "globalen Herausforderungen" nicht mit "immer zentraleren Antworten" begegnen könne.
Neue Impulse gab es im Herbst 1996. Rechtsexperte Peter Doralt plädierte vor ÖVP-Kuratoren für eine Dreiviertelmehrheit des Bundes im in eine Aktiengesellschaft umzuwandelnden ORF - anstatt der von der ÖVP gewünschten 50:50-Aufteilung zwischen Bund und Ländern - und für einen 18-köpfigen Aufsichtsrat. Dem von den Grünen propagierten Stiftungsmodell erteilte er eine Absage. Anfang des folgenden Jahres, am 23. Jänner 1997, wandte sich auch Franz Vranitzky in seiner Abschiedsrede gegen eine Regelung von 50 Prozent Bundes- und 50 Prozent Länderanteil.
Aktiengesellschaft oder Stiftung?
Unter dem neuen SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima wurde ein weiterer Anlauf zur ORF-Reform gestartet. An der Rechtsform Aktiengesellschaft schienen inzwischen beide Koalitionspartner Geschmack gefunden zu haben, Widerstand fand allerdings der kurzfristig ins Spiel gebrachte Klima-Vorschlag eines teilweisen Börsenganges, also die Idee einer Minderheits-Privatisierung des ORF. ÖVP-Generalsekretär Othmar Karas bekräftigte aber, sobald die SPÖ die Umsetzung des Regionalradio-, Kabel-TV- und Satellitenrundfunkgesetzes nicht mehr blockiere, sei man gerne bereit, im Rahmen einer großen ORF-Reform sowohl über neue Strukturen des Österreichischen Rundfunks als auch über eine Präzisierung und Neu-Definition des ORF-Programmauftrages nachzudenken. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Andreas Rudas bestätigte im Mai 1997, dass er eine ORF-AG ppräferiere, ÖVP-Mediensprecher und Landwirtschaftsminister Wilhelm Molterer beharrte auf der 50:50-Aufteilung einer Aktiengesellschaft und auf die Entsendung von neun Ländervertretern im Aufsichtsrat.
1997: Medienpolitische Stagnation?
Die Regierung Klima war im Juli 1997 ein halbes Jahr im Amt, eine Einigung über die ORF Reform ließ weiter auf sich warten. Nur bezüglich des Privatradiogesetzes kam es zu einer Einigung. Der amtierende ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler machte seinen Weiterverbleib an der ORF-Spitze davon abhängig, dass der Gesetzgeber tatsächlich eine Reform wolle.
Anfang 1998 betonte die ÖVP, dass für sie die Schaffung legistischer Voraussetzungen für das Privat-TV gegenüber der ORF-Reform Vorrang habe. Die ÖVP wünschte sich außerdem eine Verkleinerung des ORF-Kuratoriums von 35 auf 27 Personen, wobei jeweils ein Drittel der Aufsichtsräte von der Regierung (Parlament), den Ländern bzw. dem Betriebsrat/der Publikumsvertretung gestellt werden könnten. Da eine Realisierung dieses Vorschlags der ÖVP Vorteile verschafft hätte, folgte seine Ablehnung durch die SPÖ auf dem Fuß. Die ÖVP brachte erstmals auch die Installierung einer "unabhängigen Medienbehörde" aufs Tapet.
Der Weg für eine Umwandlung des ORF in eine Aktiengesellschaft schien mit einem Mal wieder in weite Ferne gerückt. VP-Abegordneter und ORF-Kurator Helmut Kuckacka und ÖVP-Mediensprecher Wilhelm Molterer äußerten sich skeptisch bis ablehnend zu dieser von der SPÖ favorisierten Rechtsform. Der Koalitionspartner reagierte umgehend mit einer Zitaten-Dokumentation, die den Nachweis erbringen sollte, dass die ÖVP sich lange Zeit für einen ORF-AG ausgesprochen haben. Auch die Grünen signalisierten grünes Licht für eine AG-Lösung, wandten sich gleichzeitig - wie auch die SPÖ, die den 100-prozentigen Besitz des ORF durch die öffentliche hand auch mittels Verfassungsbestimmungen festschreiben wollte - gegen jegliche Privatisierung des Unternehmens.
1998: Der Weg ist frei - nur für Privatradios
Im April 1998 betonte Bundeskanzler Viktor Klima, dass nunmehr, nach der erfolgten Inbetriebnahme erster privater Radiosender die Verpflichtung zur ORF-Reform weiter bestünde. Bei einem eilig einberufenen "Mediengipfel" propagierte der Präsident des Verbands der Österreichischen Zeitungsverleger (VÖZ), Max Dasch, den sogenannten "Plan von Lech", der regionale Programmfenster inmitten eines von einem deutschen Privatsender oder vom ORF gestalteten Programmmantels vorsah. Bei der Diskussion wurde auch laut über eine Neuformulierung des Programmauftrags des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nachgedacht, um die Gebührenfinanzierung plausibel erhalten zu können.
ÖVP-Klubobmann Andreas Khol stellte eine ORF-Reform noch im Mai dieses Jahres in Aussicht. Bundeskanzler Klima reagierte "vorsichtig optimistisch" auf diese Ankündigung und forderte die ÖVP auf, auf den Boden des Koalitionsübereinkommens zurückzukehren und sich auf die ORF-Umwandlung in eine AG zu einigen. Ein Beschluss schon im Mai 1998 wäre zwar "erfreulich", aber wohl nicht sehr realistisch. Seiner Einschätzung nach könne eine politische Einigung in den nächsten beiden Monaten zustande kommen, dann wären die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen.
Den Vorwurf, es handle sich bei der ORF-Reform um eine endlose Geschichte, ließ Klima nicht gelten. Seit seiner Amtsübernahme Ende Jänner 1997 seien im Medienbereich mit dem Regionalradiogesetz, Kabelrundfunk- und Satellitengesetz sowie mit dem Telekommunikationsgesetz wichtige Schritte gesetzt worden. Wäre es nach ihm gegangen, hätte es bereits Ende 1997 eine akkordierte ORF-Reform gegeben, die ÖVP habe jedoch blockiert.
Drei Monate später konnte von der in Aussicht gestellten Einigung keine Rede sein. SPÖ-Staatssekretär Peter Wittmann wollte sich denn auch Mitte Juni 1998 bei der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage des LIF auf keinerlei Zeithorizont für die ORF-Reform mehr festlegen. Die SPÖ bestehe aber nicht mehr auf eine AG-Lösung, sondern sei für jede Form einer Kapitalgesellschaft offen, die mehr Flexibilität, klare Managementstrukturen und die Möglichkeit zusätzlicher Geschäftsfelder biete.
Die "kleine ORF-Reform" ist durch
Noch im Herbst 1998 klagte SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka über den "Krebsgang" des Koalitionspartners in Sachen ORF-Reform. Bei einer Nicht-Einigung mit der ÖVP sei seiner Einschätzung nach eine Reform frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 2000 möglich. Doch schon ein Monat später, Anfang Oktober, einigte sich die Koalition überraschend nicht nur auf eine neues terrestrisches Privatfernseh-Gessetz, sondern auch auf eine sogenannte "kleine ORF-Reform" sowie in Grundsätzen auch über die künftige Rechtsform des ORF, der nun unter dem Dach einer Stiftung organisiert werden sollte.
Die "kleine ORF-Reform" bestand in erster Linie in einer Anpassung des ORF an die reformierte EU-Fernsehrichtlinie (Jugendschutz, Werbe-Regelungen, Verbot von Teleshopping u. a.). Als Starttermin für heimisches Privat-TV wurde das Jahr 2000 angepeilt. Gegen eine "angemessene Entschädigung" sollten zur Ausstrahlung auch die Sendeanlagen des ORF benutzt werden. Für die Einführung des digitalen Rundfunks sollten dann bei der in Aussicht gestellten großen ORF-Reform die Weichen gestellt werden. Vizekanzler Schüssel begrüßte die Einigung als wichtigen Schritt für die Liberalisierung der Medienlandschaft, bei dem der öffentlich-rechtliche Auftrag nicht vernachlässigt wurde.
Im Dezember 1998 verlautete Kanzler-Sprecher Josef Kalina, dass ein Privat-TV-Gesetz nicht unbedingt zeitgleich mit der (kleinen) ORF-Reform, aber jedenfalls noch in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden sollte. Ende des Jahres nahmen die Novellen zum Rundfunk- und Regionalradiogesetz im Bundesrat die letzte parlamentarische Hürde. Generalintendant Gerhard Weis zeigte sich über die "kleine ORF-Reform" erfreut, betonte aber die Wichtigkeit einer großen ORF-Reform. Zu einer solchen sollte es in der SPÖ-ÖVP-Koalition aber auch im folgenden Jahr nicht mehr kommen. Beide Seiten warfen einander vor, am Stillstand der Medienpolitik schuld zu sein.
Die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für eine große ORF-Reform blieb, ebenso wie die Finalisierung des letztendlich von der Vorgänger-Regierung doch noch zurück gestellten Privatfernsehgesetzes, der ÖVP-FPÖ-Regierung überlassen.