Zum Hauptinhalt springen

Der launische Weg in die Zukunft

Von Eva Stanzl

Wissen
Futuristisches Hubschrauber-Auto: Humorige Vision zur Zukunft aus den 1930er Jahren. Foto: Corbis

Die Artenschranke durchbrechen, die Gegenwart auslöschen - welche Idee setzt sich durch? | Umgesetzt wird, was dringend gebraucht wird. | Wien. Atomstrom-getriebene Eisenbahnen, Haushaltsroboter, die Kinder großziehen, und Bildtelefonie in jedem Haus: So stellten sich Visionäre der 1960er Jahren das Leben heute vor. Wünsche an die Zukunft handelten damals von einem besserem Leben durch technischen Fortschritt und von einer Welt, in der Ernährungs-, Energie- und Gesundheitsprobleme gelöst wären. In der Nachkriegszeit glaubte man an den Wandel zum Positiven: Der Weg von der absoluten Armut ins Wirtschaftswunder innerhalb von einem Jahrzehnt weckte die Zukunftseuphorie. Ähnlich erschien zum Zeitpunkt der Industrie-Revolution alles machbar.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Befragt man die Bevölkerung heute zur ihren Visionen, erhält man vermutlich andere Antworten. Natürlich gäbe es so wie früher individuelle Präferenzen wie "keine Blasmusik mehr im Radio", oder "Österreich soll wieder gegen Deutschland im Fußball gewinnen". Fundierte Gedanken über die Zukunft würden aber wohl eher Ängste beinhalten bezüglich des Zustands der Welt oder der eigenen Situation. In diesem Sinn stünden wohl der Weltfriede, der Klimaschutz, ein Sieg im Kampf gegen Krebs oder der Fortbestand von Sozialsystemen an der Spitze der Liste.

Was aber, wenn führende Wissenschafter philosophische Betrachtungen liefern über Entdeckungen, die unsere Zukunft verändern könnten? Würden auch sie Sorge und Pessimismus ausstrahlen - besonders, da sich der Stand des Wissens stets vertieft? John Brockmann, ehemaliger Aktionskünstler, Herausgeber der Internetzeitschrift "Edge" und Leiter einer Literaturagentur in New York, hat solche Betrachtungen eingeholt. In dem von ihm herausgegebenen Band "Welche Idee wird alles verändern?" (Fischer) blickt die Wissenschaft nüchtern in die Zukunft. Statt farbenprächtige Aussichten an die Wand zu malen, loten die Autoren die Möglichkeiten vorhandener Innovationen aus. Von Ängsten ist keine Spur, von Utopie aber auch nicht.

"Vor allem die wissenschaftliche Untersuchung wird alles verändern", hält US-Philosoph Daniel C. Dennet einleitend fest. Und Paul Zachary Myers, Biologe an der Universität Minnesota, relativiert das Konzept der Zukunftsvision an sich: "Die Frage wodurch wird sich alles ändern, ist im falschen tempus formuliert. Sie müsste lauten: Wodurch ändert sich alles gerade jetzt?" Aus heutiger Perspektive scheinen jedoch selbst manche dieser pragmatischen Ansätze nicht weniger kühn, um nicht zu sagen diabolisch, als die Erfindung der Dampflokomotive zu Zeiten Peter Roseggers.

Die Evolution neu schreiben

Scott Sampson, Professor für Geologie und Geophysik an der Universität Utah, erwartet eine veränderte wissenschaftliche Betrachtung der Evolution. Kein simpler Wandel im Laufe der Zeit, kein eng gefasstes darwinistisches Konzept der Abstammung mit Abwandlung, sondern einen Prozess der evolutionären Integration: "Kleinere Ganzheiten werden zu Teilen größerer Ganzheiten und bilden eine dramatische Komplexität, eine geschachtelte, vielschichtige Hierarchie."

Das heißt: "In den letzten 14 Milliarden Jahren konnten sich immer wieder Energie-Zusammenballungen bilden und selbst organisieren, Inseln der Ordnung in einem Meer aus Chaos", betont Sampson. Heraus kamen Galaxien, Bakterien, Grauwale oder eine Biosphäre. Das Epos der Evolution sei somit kein unausweichlicher Marsch, sondern eine "launische, kreative Entwicklung, in deren Verlauf man die Zukunft nicht vorhersagen kann".

Der Mensch ahmt die launische Entwicklung mit komplexen technischen Systemen nach. Termitenhügel liefern Ideen für Kühlungssysteme und eine vertiefte Kenntnis der Photosynthese könnte das Geheimnis lüften, wie die Menschheit unbegrenzte Energiequellen anzapfen kann. Technologien passen sich als Reaktion auf veränderte Bedingungen an, ja sie könnten selbst eine Evolution durchmachen.

Doch nicht nur das. Gentechnisch modifizierte Kinder, die unter Wasser atmen können oder über radikal verbesserte geistige Fähigkeiten verfügen, könnten die Gesetze der Evolution neu schreiben. Und neu definieren, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, betont Corey S. Powell, Chefredakteur des Magazins "Discovery". Derzeit stehen ethische Bedenken solchen Tendenzen zwar entgegen. Doch experimentiert wird heftig: "Durch einfachen Austausch des Erbguts in einer Zelle konnten wir eine Spezies in eine andere verwandeln. Wir brauchen nur eine digitale genetische Informationen und chemische Substanzen; dann können wir eine neue Software des Lebendigen schreiben", betont der Genetiker Craig Venter.

Geht es nach Sherry Turkle, Psychologin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), könnten auch Roboter bald "lebendig" sein. Oder zumindest als lebendig empfunden werden. Unser Austausch mit den Kameraden aus Blech werde in der Tat bald "so umfangreich sein, dass die Roboter als Gefährten wahrgenommen werden", schreibt Turkle.

Eine technische Form der Geselligkeit kam 1997 als Tamagotchi auf den Markt. Das Wesen auf dem winzigen Bildschirm forderte von seinem Besitzer, gefüttert und unterhalten zu werden: Die Versorgung, schreibt die Psychologin, sei eine der "Killerapplikationen" der digitalen Welt. Die damit verbundenen Zeichen - etwa der Blickkontakt - signalisieren uns die Idee von "Seele". Künftig würde die digitale Geselligkeit daher auch die Gestalt von Kindermädchen, Lehrern, Therapeuten oder Altenpflegern annehmen.

Vergangenheit zurückholen

Bis wir aber Roboter als so etwas wie Lebewesen einstufen, könnte es noch dauern. Derzeit werden in mühsamer Kleinarbeit gerade einmal Prototypen von Robotern hergestellt, die in der Lage sind, neue Tätigkeiten zu lernen. Jüngst etwa präsentierte die Technische Universität Wien den Roboter "James", der Tätigkeiten im Haushalt erlernen kann, aber von Gefühlen noch weit entfernt ist.

Eine Spur ähnlich ist die Lage bei Quantencomputern. Diese eröffnen zwar Welten, die zuvor undenkbar waren. Doch weiß kaum jemand, wann. Selbst angesichts rasanter Fortschritte in der Computertechnik "werden Quantencomputer voraussichtlich innerhalb der nächsten 40 Jahre noch nicht verfügbar sein", sagt Seth Lloyd, Ingenieur für Quantenmechanik am MIT.

Im Bereich des Allerkleinsten seien die Gesetze der Physik zwar reversibel: Was vorwärts abläuft, kann auch rückwärts ablaufen. In derzeit gängigen Computern entfalten sich jedoch andere Gesetze der Physik. Richtig programmiert, könnten Quantencomputer jedoch etwa finanzielle Transaktionen zurücknehmen, die in betrügerischer Absicht stattfanden. Oder bei einem Kollaps des Finanzmarkts die besseren, früheren Verhältnisse des Wohlstands wiederherstellen, so Seth.

Besuch aus der Zukunft

Ob eine Technik umgesetzt wird, hängt nicht nur von den Leistungen der Apparate ab, sondern auch davon, wie die Menschen ihre Kosten und ihren Nutzen einschätzen. Der Architekt Buckminster Fuller etwa machte zwar Furore mit seinen geodätischen Kuppeln, die Ausstellungen und Science-Fiction-Filme schmückten. Doch Städte unter Kuppeldächern gab es nie. Auch hat kaum jemand eine Internet-Gefriertruhe zu Hause, und wer erinnert sich noch an das papierlose Büro?

Als geniale Erfindung erwies sich dagegen "Minitel", ein seit 1982 bestehender Onlinedienst, den die französische Post im Zuge der Modernisierung ihrer Leitungen einführte. Zum Telefon bekamen Kunden einen Terminal mit Bildschirm und Keyboard, über den sie Nummern, Adressen und die Fahrpläne der öffentlichen Verkehrsmittel abrufen konnten. Später kamen Online-Shopping und Service-Leistungen dazu. Ab Anfang der 1990er Jahre bekam Minitel zwar Konkurrenz durch das World Wide Web, doch dem Netz ist es noch heute zu verdanken, dass das Internet in Frankreich besser funktioniert als in anderen Ländern. Welche Vision wahr wird, liegt also auch darin, wie sehr etwas zu einem Zeitpunkt gebraucht wird.

"Was alles verändern wird? Die Entdeckung, dass wir bereits Besuch von jemandem aus der Zukunft erhalten haben", schreibt Stefano Boeri, Architekt am Politecnico in Mailand und Redakteur bei "Abitare". Der Komponist Brian Eno sieht es anders: "Was alles verändern könnte, ist ein Gefühl, dass alles schlechter wird." Eine Welt, in der es nichts mehr zu entdecken gibt und Projekte aufgegeben werden, weil sie sich erst in ferner Zukunft auszahlen, gehe auf ihren Untergang zu.

Außer sie trifft auf Nachbarn, wie der Medienanalyst Douglas Rushkoff postuliert: "Die Begegnung zwischen der Menschheit und intelligentem Leben aus einem anderen Universum beinhalte eine Veränderung über die Selbstbezogenheit hinaus."