Boxprofi liegt auf Platz zwei - und soll von Oligarchen gesponsert werden.
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Kiew/Lemberg. Allen Enttäuschungen zum Trotz - Politik bewegt die Ukrainer immer noch. Ruhig und mit akkurat gestutztem Vollbart sitzt Wolodymyr auf seinem Platz im Nachzug von Kiew nach Lemberg. Den Chorleiter, der eben erst mit respekteinflößendem Blick im Waggon für Ruhe gesorgt hat, könnte man für einen Hardrocker halten, wäre da nicht sein betont elegantes Äußeres. Den bulligen Mann scheint nichts aus der Ruhe zu bringen, auch nicht die erregten Ausführungen des Politikberaters Jaroslaw Chernozub. Der hat sich gerade beim Schaffner sein zweites Bier geholt und erzählt einem Bekannten das Neueste: Ein korrupter Kandidat der Partei des Boxers Vitali Klitschko habe in der westukrainischen Stadt Ternopil Druck auf die lokale Presse ausgeübt. Überhaupt, diese Partei: "Polittechnologen, sonst nichts, ein reines Kunstprodukt", ereifert sich Jaroslaw. Da rührt sich Wolodymyr: "Klitschko auch?" - "Natürlich! Was denken Sie!"
Mit oder ohne Polittechnologie - der Einstieg des 41-jährigen Box-Nationalhelden hat dem Wahlkampf fürs ukrainische Parlament jedenfalls Schwung verliehen. Lange bei ohnedies schon mehr als respektablen 10 Prozent gelegen, kletterte Klitschkos "Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen", deren Abkürzung "Udar" ganz einfach "Schlag" bedeutet und Assoziationen mit den erfolgreichen Ringkämpfen des Boxers wecken soll, zuletzt auf gut 20 Prozent. Manche Umfrageinstitute sehen die neue Kraft bereits auf Platz zwei hinter der dominierenden Partei der Regionen von Präsident Wiktor Janukowitsch, die bei etwa 29 Prozent liegt. Der erfolgreiche Boxer ist im ganzen Land bekannt, seine Vita bietet vor allem jungen, aufstiegsorientierten Menschen Hoffnung auf ein besseres Leben. "Es ist Zeit für einen Schlag gegen die Korruption", verkündet Klitschko den zahlreich zu seinen Veranstaltungen strömenden Menschen. Zwar redet er noch etwas unbeholfen, aber seine Vita spricht ohnehin für sich. Bei solcher Konkurrenz läuft die vereinigte Oppositionspartei "Vaterland" der inhaftierten Julia Timoschenko Gefahr, bei der Wahl am kommenden Sonntag hinter dem Boxer auf Rang drei zu landen. Der junge, etwas blasse, aber erfahrene Ex-Außenminister Arseni Jazenjuk, der durch die Ausschaltung Timoschenkos an die Spitze von "Vaterland" gerückt ist, verfügt offenbar nicht über dieselbe charismatische Ausstrahlung wie die Ex-Premierministerin.
Vor allem aber verfügt "Vaterland" nicht über dieselben finanziellen Mittel wie die Konkurrenz im ukrainischen Politspektrum. Selbst im Stadtzentrum von Kiew, wo sich die Wahlkämpfer gegenseitig auf die Füße treten, erblickt man nur selten eines der weißen Zelte oder Plakate der Timoschenko-Partei. Es finden sich sogar erheblich mehr Plakate der Partei "Vorwärts, Ukraine!" von Natalja Korolewska, obwohl die ehemalige Timoschenko-Mitstreiterin die Fünf-Prozent-Hürde wohl nicht überspringen wird. Neben den blauen Wahlhelfern der Partei der Regionen tummeln sich vor allem rot gewandete Werber auf der Flaniermeile Chreschtschatyk: Die Kommunisten, die mit Parolen gegen die Herrschaft der Oligarchen das Land "dem Volk zurückgeben" wollen, und eben die Leute von Klitschkos Udar, die offenbar über genug Geld für einen opulenten Wahlkampf verfügen.
Geld vom Gasmagnaten?
Wie viel davon der Boxer selbst beigesteuert hat oder von wem das Geld sonst kommt, bleibt bei dem unübersichtlichen ukrainischen Parteienfinanzierungssystem ein Geheimnis. "Man kann es zwar nicht beweisen, aber es gibt Vermutungen, dass ein erheblicher Teil von Klitschkos Wahlkampfbudget von der Rosukrenergo-Gruppe rund um den Oligarchen Dmytro Firtasch finanziert wird", sagt der Politologe Kyryl Savin, der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, die den deutschen Grünen nahesteht. Und Firtasch ist immerhin jener Oligarch, der mit seinem Geld das politische Comeback des Verlierers der Orangen Revolution, des nunmehrigen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, erst ermöglicht hat. Dessen einstiger Hauptfinanzier, der Donbass-Oligarch Rinat Achmetow, hatte sich nach dem Fiasko von 2004 etwas zurückgezogen, woraufhin der Gas-Magnat Firtasch eingesprungen war.
"Heute ist Janukowitsch von seinen einstigen Förderern nicht mehr so abhängig", sagt Savin, während er aus seinem Büro auf den Platz vor der altehrwürdigen Sophienkirche schaut. "Er hat begonnen, sich sein eigenes Reich aufzubauen. Sein ältester Sohn Alexander ist in kurzer Zeit sehr reich geworden. Man spricht in Kiew schon von der "Familie" als der dritten Kraft neben den Leuten um Achmetow und Firtasch - und die ist im Kommen", meint der Politologe.
Dass Klitschko von Firtasch unterstützt wird, glaubt man in Kiew daran festmachen zu können, dass viele der Kandidaten von Udar aus den Firtasch-Strukturen stammen. Sogar Janukowitschs Präsidialamtschef Sergej Lowotschkin, ein Firtasch-Mann, soll bei Klitschko eine Rolle spielen. Dessen Zukunft ist aber ohnehin fraglich. "Es heißt, Janukowitsch habe Lowotschkin damit beauftragt, die so wichtige Anerkennung der Parlamentswahlen im Westen als frei und fair sicherzustellen. Schafft er das nicht, wird er gefeuert", vermutet Savin. Ein Köpferollen in den Machtstrukturen nach der Wahl ist nicht ausgeschlossen.
Gerüchte um Stimmenkauf
Bei der Wahl werden mehr als 5000 internationale Wahlbeobachter erwartet, manche sind schon seit Wochen im Land. Die Opposition spricht trotz dieser genauen Kontrolle bereits im Vorfeld der Wahl von geplanten Manipulationsversuchen. So könnten etwa Wahlprotokolle beim Transport ausgetauscht werden. Auch Stimmenkauf kann vorkommen - etwa so: Jemand erhält eine bestimmte Summe, wenn er mit seinem Handy den "richtig" ausgefüllten Stimmzettel in der Wahlzelle fotografiert und danach präsentiert. Ob sich derartige Praktiken aber auf die Regierenden beschränken, ist zweifelhaft. Schließlich weiß man in Kiew, dass auch die Opposition gegen Geld beispielsweise für sich demonstrieren lässt.
Ob mit Klitschko auch die letzte ukrainische Hoffnungsblase platzt? Der Boxer selbst gibt sich konsequent oppositionell, attackiert Janukowitsch Partei der Regionen, behauptet, sein Wahlkampf werde durch die Obrigkeit behindert. Nach der Wahl will er mit "Vaterland" gemeinsam eine Mehrheit im Parlament bilden.
Das byzantinisch anmutende Intrigenspiel um die Macht in Kiew findet vor dem Hintergrund düsterer Wirtschaftsprognosen statt. Der Hype um die Euro 2012 erwies sich als kurzfristig. Die Nationalwährung Grivna ist unter Druck, laut einer Prognose des ukrainischen Bankenverbandes steht eine Abwertung um 30 Prozent zum Dollar und Euro bis Jahresende bevor. Dazu verlassen ausländische Investoren und Banken das Land, nach der deutschen Commerzbank könnte auch die österreichische Erste Group in baldiger Zukunft ihre ukrainische Tochter abstoßen. Rechnet man noch den Gaskonflikt mit Russland dazu, ergibt sich ein Bild, das wenig Hoffnung gibt.