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Lesers Lebenswerk pendelt zwischen Sozialdemokratie und Katholizismus.
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Wien. "Sozialismus bedeutet die Aufhebung des Unterschieds zwischen Arm und Reich. Heute dagegen züchtet die SPÖ Millionäre und ist auch noch stolz darauf!" Für den Sozialphilosophen Norbert Leser hat die Partei deshalb jede Glaubwürdigkeit im Kampf gegen Ungleichheit verloren. Dass die SPÖ aber doch für eine Vermögenssteuer, vulgo auch Millionärssteuer genannt, eintritt? Für Leser alles bloß Symbolik.
An eine Erneuerung der Sozialdemokratie aufgrund der verheerenden Folgen der Wirtschaftskrise glaubt Leser nicht. Eher schon ans Gegenteil: Die explodierenden Arbeitslosenzahlen könnten rechten Populisten an die Macht verhelfen, so seine Sorge.
Leicht hat es der gebürtige Oberwarter, der am heutigen Freitag seinen 80. Geburtstag feiert, seiner SPÖ nie gemacht. Seine Habilitation von 1969 "Zwischen Reformismus und Bolschewismus" ist längst ein Standardwerk zur Geschichte der Sozialdemokratie. In den letzten Jahren überwog die Kritik: Bundespräsident Heinz Fischer bezeichnete er als "bösen Geist der SPÖ", Kanzler Werner Faymann als "Ausgeburt des Apparats", an dessen Vorgänger Alfred Gusenbauer, der nun in der Wirtschaft sein Glück findet, lässt er detto kein gutes Haar. Was Leser vermisst: eine moralische Instanz als Person oder Gremium, das den ärgsten Auswüchsen einen Riegel vorschiebt.
Ob es denn wirklich so schlecht stehe, um das Land und seine größte Partei? "Ja", erwidert der 80-Jährige entschieden, "und ich bin nicht der einzige Frustrierte." Aber warum dann keine Menschenmassen auf den Straßen, die gegen die herrschenden Zustände demonstrieren? "Weil sich in Österreich schon lange niemand mehr um die öffentlichen Angelegenheiten kümmert."
"Einige setzen alles daran, die Kirche zu zerstören"
Leser hat auch eine Erklärung für diese Apathie der Bürger - und kommt so auf sein zweites großes Thema neben der kritischen Begleitung der Sozialdemokratie zu sprechen: Gott und Glaube im Allgemeinen und die katholische Kirche im Besonderen. "Dass von einigen Kreisen alles darangesetzt wird, die Kirche als moralische Instanz zu zerstören - und diese auch selbst durch Verfehlungen daran mitarbeitet" - das ist für den gläubigen Sozialphilosophen die Wurzel des gesellschaftlichen Desinteresses.
Leser ist entschlossen, gegen diesen Trend zu halten. Sein jüngstes Buch ("Gott lässt grüßen - Wider die Anmaßung des Reduktionismus und Evolutionismus", Ibera Verlag), das er selbst als Krönung seines Lebenswerks betrachtet, ist deshalb eine Streitschrift für den Glauben geworden. Was Leser einfach nicht verstehen kann, ist, "dass Agnostiker und Atheisten auch noch stolz darauf sind, nicht zu glauben". Als Gegenbeispiel führt er den von ihm verehrten Bruno Kreisky an, der - selbst agnostischer Jude - immer bedauert habe, dass ihm die Gnade des Glaubens nicht gegeben sei. Ganz offensichtlich hat sich Leser seinen letzten Kampf für die Atheisten aufgehoben.
Leser ist überzeugt, dass die Glaubenden "die besseren Argumente haben" als die Atheisten; dass in den öffentlichen Debatten oftmals der gegenteilige Eindruck entsteht, führt er auf eine kleine, aber einflussreiche Clique von Meinungsmachern zurück. Dabei würden noch immer laut Umfragen rund 14 Prozent der Bevölkerung regelmäßig die Kirche besuchen. "Welche Organisation in diesem Land, sieht man von der Wiener SPÖ am 1. Mai ab, vermag sonst noch solche Menschenmengen zu bewegen?", fragt Leser - und meint es natürlich rhetorisch.
Alles ist besser als eine Neuauflage von Rot-Schwarz
Was die unmittelbare politische Zukunft des Landes angeht, so rechnet Leser nicht mit einer Fortsetzung der Koalition. "Die große Koalition hat ihre historische Mission abgearbeitet, der Knochen ist zu dünn geworden, alles Fleisch ist abgenagt."
Dabei konzediert selbst er, dass die Geschichte der Zweiten Republik bis dato eine Erfolgsgeschichte gewesen ist. Allerdings sei, durch die lange Vorherrschaft von SPÖ und ÖVP, mittlerweile die Demokratie in eine Krise geraten, die bei einer Neuauflage der großen Koalition aus dem Ruder zu laufen drohe. "Alles andere ist besser", so Leser, der das Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP für irreparabel beschädigt erachtet und den Vorrat an politischen Gemeinsamkeiten für aufgebraucht.
Ist wirklich alles andere besser? "Ja", eine zu große Anzahl an Bürgern sei "angefressen", hält der Sozialphilosoph dagegen. Womöglich sorge Frank Stronach dabei ganz unfreiwillig und völlig unbeabsichtigt für die Ermöglichung neuer Konstellationen. "Seiner SPÖ" würde er dabei die Chance auf "Regeneration in der Opposition" wünschen.