Im Duell mit amtierendem Weltmeister will Kickbox-Ass seinen Erzfeind besiegen.
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Wien. "Also", sagt Fadi Merza, "ich hoffe das bringt viel Kohle rein." Der Boxer hat soeben für eine Benefiz-Versteigerung ein Paar Boxhandschuhe signiert. Der Organisator, ein lächelnder Mittvierziger, hat schon einige Minuten nervös auf Merza gewartet. Jetzt wirkt er ganz selig. Er sagt: "Wir haben auch eine von David Alaba signierte Kappe." "Super", sagt Merza. Ein Foto noch, Daumen hoch, dann verabschiedet sich der Benefizmensch. Merza sitzt auf den Ellbogen gelehnt in der Lobby des Ironfist Fight Clubs in Meidling. Wenn jugendliche Boxschüler hereinkommen, ihre Mützen tief ins Gesicht gezogen, geben sie jedem am Tisch respektvoll die Hand, solange Merza dabei sitzt.
Er ist in Österreich kein Superstar wie David Alaba, aber doch einigermaßen bekannt. Hier in seinem Gym, wo er jeden Tag trainiert, ist er der Boss. Auf einer lebensgroßen Werbetafel begrüßt er grimmig jeden Besucher des Klubs. Der syrischstämmige Österreicher ist in seinem Sport Vorbild, Idol, Aushängeschild, Weltmeister. Genauer gesagt: Ex-Weltmeister. Das ist derzeit das größte Problem des Mannes, mit dem man selbst möglichst keine Probleme haben sollte.
Mit Knie gegen Kopf als erlaubtes Kampfmittel
Im vergangenen Mai verlor er seinen WM-Titel im Muay-Thai-Stil in einem Routinekampf in Schwechat. Muay Thai gilt als härtester Kickboxstil. Im thailändischen Nationalsport ist nicht nur das Schlagen mit dem Fuß erlaubt, sondern auch mit den Schienbeinen, den Ellbogen und das Festhalten und Hinunterziehen des Kopfes, um mit dem Knie dagegenzutreten. In seinem Fach gilt Merza als einer der Besten der Welt. Aber mit 35 Jahren hat er die natürliche Altersgrenze schon überschritten. Seine 160 Kämpfe haben sich in seiner Nase verewigt, die nach drei Brüchen von der Seite aussieht wie die Meeresklippen von Dover. Bald will er aufhören, "nächstes Jahr wahrscheinlich, ich werde nicht jünger. Die kleinen Wehwehchen heilen langsamer als früher", sagt Merza. Dann wird er sich vielleicht ausschließlich auf seinen Brotjob konzentrieren müssen. Seit acht Jahren arbeitet er als Arabisch-Übersetzer für das Innenministerium in Asylangelegenheiten.
Doch bevor er die Boxhandschuhe endgültig an den Nagel hängt, "will ich noch eine Rechnung begleichen". Die Rechnung ausgestellt hat ihm damals im Mai Fernando Calzetta, ein Kämpfer aus Italien. Obwohl nur ein durchschnittlicher Gegner, musste sich Merza wegen einer Verletzung zu Beginn nach Punkten geschlagen geben. Zu Unrecht, glaubt Merza. Seit zwei Monaten trainiert er für den Rückkampf, das letzte große Duell seiner fast 20-jährigen Karriere - und wahrscheinlich das schwierigste. In der Boxwelt erhält der Verlierer meistens eine zweite Chance, aber niemals eine dritte.
Lowkicks gegen Oberschenkel
Deshalb trainiert Merza vor dem Kampf zweimal täglich. Morgens Kraftkammer und Kondition, abends Schlagtechnik und Sparring. In der Schönbrunner Straße steht Merza und seinem Trainer Marco Fidanzia ein professioneller Boxring zur Verfügung. Heute Abend trainieren sie die Schlagtechnik. Wie im Kampf tänzeln sie durch den Ring. Fidanzia sagt die Schläge an: "Eins, zwei, Kick!" Jedes Mal, wenn Fidanzia einen Kick mit den Schlagpratzen, den flachen Schutzhandschuhen, abfängt, knallt es durch den Saal. Kicks sind Merzas Spezialität. "Besonders für die Lowkicks auf den Oberschenkel bin ich bekannt, weil sie hart und effektiv kommen." Das bekam auch Fernando Calzetta zu spüren. "Wir studieren jeden Gegner vorher auf Video. Lowkicks sind Calzettas Schwäche, weil er sie selten abfängt", sagt Trainer Marco Fidanzia.
"Ich hatte gegen Calzetta alles unter Kontrolle", sagt Merza. In der ersten Runde hatte er bereits vier Lowkicks an dieselbe Stelle am Oberschenkel gesetzt. Sein Gegner zuckte schon vor reinen Schlagandeutungen zurück. Ein sicheres Zeichen dafür, dass jemand Schmerzen hat. "Da habe ich schon gewusst, es kann nicht mehr lange dauern. Bei solchen Schmerzen im Oberschenkel ist es eine Frage von Minuten, bis der endgültige Schlag kommt und er nicht mehr aufsteht." Merza wollte Calzettas Oberschenkel attackieren, bis er grün und blau anschwillt. Doch es kam anders. Der Italiener landete einen Treffer in der Kniekehle, Merza stolperte nach hinten, tat einen schlechten Schritt und hörte einen "Riesenknacks". "Das waren höllische Schmerzen. In dem Moment habe ich gewusst, das etwas passiert ist." Das linke Knie wurde instabil, er konnte sein Gewicht nicht mehr darauf verlagern und keine Kicks mehr setzen.
Aufgeben stand nicht zur Debatte. "Das ist nicht meine Einstellung", sagt Merza. Sein Trainer und Kumpel Fidanzia sagt: "Es gibt auch solche, die aufhören, aber die werden nie etwas erreichen." Krampfhaft brachte er die restlichen vier Runden à drei Minuten mit Faustschlagkombinationen zu Ende. Danach rechneten er und sein Team sicher mit einem Unentschieden. Die Punkterichter sahen es anders: Merza verlor den Kampf vor Heimpublikum nach Punkten und damit auch seinen WM-Titel. Im Krankenhaus wurde Merza ein glatter Kreuzbandriss diagnostiziert.
Training fürden Rückkampf
"Ich habe schon Kämpfe verloren, weil die anderen besser waren. Aber diesmal war es trotz meines Handicaps ausgeglichen, diesmal habe ich zu Unrecht verloren." Merza fühlt sich von den Richtern betrogen. Die Niederlage geht ihm seit dem Moment, als er in Schwechat aus dem Ring stieg, nicht mehr aus dem Kopf. Immer, wenn er zum Training kommt, oder ihn jemand auf das Boxen anspricht, erinnert es ihn an die Niederlage. "Das ist wie ein Knoten im Hals, den du nicht runterschlucken kannst. Dann denke ich mir, das muss einfach noch bereinigt werden. Das geht jetzt schon ein halbes Jahr so."
Merza wird sich noch gedulden müssen. Der Rückkampf war ursprünglich für kommenden Samstag angesetzt. Doch sein Gegner Calzetta verletzte sich seinerseits am Knöchel. Der Kampf musste auf März 2014 verschoben werden, das genaue Datum steht noch nicht fest. Bis dahin wird er fast täglich trainieren, so wie heute. Nach einer Stunde ihm Ring wirkt er abgekämpft. "Das ist die letzte Hürde, bevor ich abtrete", sagt er. "Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Das ist genau das, was noch vor mir liegt."