Wenn Wiens Bürgermeister Michael Häupl nicht lediglich ein politisches Spielchen treibt, steuert Österreich tatsächlich auf eine späte Premiere zu. Rot-Grün war in Europa in den 1980er und frühen 1990er Jahren radikale Avantgarde, später Normalität - und vorübergehend auch schon wieder Auslaufmodell. Nur hierzulande taugt die Konstellation bis heute zur Erzeugung wohliger Schauermärchen - man denke nur an die legendären Hasch-Trafiken -, zur Mobilisierung konservativ gepolter Stammwähler aller Parteien.
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Nüchterner betrachtet bedeutet der erste offizielle Eheschluss zwischen SPÖ und Grünen die Chance auf einen Politisierungsschub in Österreichs fast zu Beton erstarrter Politlandschaft.
Die Hoffnungen darauf sollten jedoch nicht allzu hoch geschraubt werden. Schwarz-Blau hat mit der Weisheit des Rückblicks in erster Linie die politischen Gegner politisiert. Es mag mit dem Nulldefizit zwar eine Idee nachhaltig sanierter Staatsfinanzen hinter diesem Projekt gegeben haben. Die Praxis konnte damit jedoch nicht mithalten. Das beweist nicht zuletzt das aktuelle Ringen um ein weiteres Spar- und Steuererhöhungspaket, von den Machenschaften von Grasser und Co ganz zu schweigen.
Schwarz-Grün war hipp in den 00er Jahren, die Chance im Bund verstrich 2002 ungenützt. In Oberösterreich, Graz oder Bregenz funktioniert das Projekt leidlich, allerdings ist von einem großen gesellschaftspolitischen Anspruch nichts zu spüren.
Und welche politische Vision soll schon hinter dem ewigen Rot-Schwarz dieser Republik noch stehen? Das hat nichts mit einer in schreibenden Kreisen durchaus weit verbreiteten Langeweile angesichts der politischen Mühen eines weitgehend unspektakulären innenpolitischen Alltags zu tun. Aber sehr viel mit der gemeinsamen Unfähigkeit von SPÖ und ÖVP, den Bürgern ein Gefühl für Sinn und Zweck einer großen Koalition zu vermitteln.
Jetzt also bekommt Rot-Grün seine von vielen Intellektuellen so inniglich herbeigesehnte Chance, der politischen Agenda neue Impulse zu geben.
Auf dem Papier gäbe es dafür auch in der Stadtpolitik reichlich Platz zum Austoben - von Bildung über Integration, Verkehr und Stadtplanung bis hin zur Bürgerbeteiligung. Wenn SPÖ und Grüne ihre eigenen Visionen ernst nehmen, wird das nicht ohne erbitterten Widerstand vonstatten gehen.
Gut so. Demokratie lebt vom offen und demokratisch ausgetragenen Konflikt. Auf das Veränderungen überhaupt möglich werden. Diese Ur-Weisheit ist in Österreich allerdings längst nicht mehr Allgemeingut.
Genau deshalb ist zu befürchten, dass auch Rot-Grün vor zu viel Mut zurückschreckt und sich viel alter Wein in den neuen Schläuchen finden wird. Das wäre ungeachtet aller Ideologie schade, weil Österreich wieder um eine politische Illusion ärmer wäre. Langsam gingen uns dann nämlich die Alternativen aus.