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Der Machtkampf der Weltregionen

Von Reinhard Göweil

Wirtschaft

USA nominieren Kandidaten aus den Schwellenländern. | Frankfurt fürchtet Einflussnahme von USA oder Peking auf Wechselkurse. | Europa: "Kein Grund, bewährte Formel zu ändern." | Washington. Ein stiller Krieg findet derzeit zwischen der EU, den USA und den neuen Industrie-Giganten China, Brasilien und Indien statt. Schlachtfeld ist der Internationale Währungsfonds (IWF), die mächtige Krisenfeuerwehr für überschuldete Staaten. | Lagarde verspürt Rückenwind beim Wettlauf um IWF-Chefsessel | Privatgefängnis für 200.000 Dollar | Ohne mehr Reform-Eifer kein Geld


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Die Verhaftung und der mittlerweile erfolgte Rücktritt des charismatischen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn hat in der Institution ein Gezerre der Welt-Regionen in Gang gesetzt. Der Währungsfonds verfügt über eine "Kriegskasse" in Höhe von 1000 Milliarden Dollar. Die Frage ist, wie diese Summe eingesetzt wird, um die Schuldenlast zu mildern, unter der viele Länder leiden.

Die Affäre um Strauss-Kahn, der in einem New Yorker Hotel ein Zimmermädchen zu sexuellen Handlungen genötigt haben soll, ist für sich schon ein Krimi. Das Tauziehen im Hintergrund nicht minder. Die Europäer wollten den Rücktritt Strauss-Kahns ursprünglich hinauszögern. US-Finanzminister Timothy Geithner machte den Sack zu, nach seiner unverblümten Forderung erfolgte der Rücktritt des 62-jährigen Franzosen, der 2012 als Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialisten auch Nicolas Sarkozy herausfordern wollte.

Mexiko oder Türkeiunter US-Einfluss

Nun haben sich die "global players" in Stellung gebracht. China hatte erklärt, dass die althergebrachte Formel, wonach ein Europäer die Spitzenposition im Währungsfonds einnimmt (die USA stellen dafür den Chef der Schwesterorganisation Weltbank, die in Entwicklungsländern die wirtschaftliche Entwicklung fördern soll), nicht mehr automatisch gelte. Brasilien stimmte zu. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso erklärte in Brüssel, dass "rasch ein Nachfolger gefunden werden muss und es keinen Grund gibt, die bewährte Formel zu ändern." Beide Organisationen würden erfolgreich arbeiten.

Vor allem über US-Medien werden andere Kandidaten in Stellung gebracht wie der ehemalige türkische Finanzminister Kemal Dervis, Trevor Manuel aus Südafrika oder Agustin Carstens (Mexico). All diesen Kandidaten ist eines gemeinsam: Sie stehen deutlich stärker unter amerikanischen Einfluss als unter europäischen.

Europa bringt nun - neben anderen - die französische Finanzministerin Christine Lagarde ins Spiel. "Es muss schnell gehen, wenn Europa diese Position halten will", sagte ein EZB-Banker am Freitag in Frankfurt.

Die US-Regierung wird wohl Widerstand gegen Christine Lagarde leisten. Die USA halten 17 Prozent am Währungsfonds - Europa verfügt insgesamt über 29 Prozent der Anteile. Allerdings sind deren Pakete zwischen den Ländern aufgesplittert. Die EU-Länder sind im Währungsfonds in unterschiedliche Stimmrechtsgruppen aufgeteilt - abhängig von der Größe des Landes. Eine gemeinsame Sprache fand Europa bisher im IWF nicht.

Doch die Zeit drängt: 2012 wird die jüngste Reform umgesetzt werden und den "Schwellenländern" wird mehr Einfluss eingeräumt. Die "Bric" (Brasilien, Russland, Indien, China) werden dann 14,2 Prozent am IWF halten - und mehr Mitsprache bei den Personalentscheidungen fordern.

Garantie für die Zukunft der Euro-Peripherie

Hintergrund des Mega-Postenschachers ist also die Frage, wer in Zukunft die Politik des Währungsfonds bestimmt. Lagarde - die mittlerweile von allen EU-Regierungen unterstützt wird - wäre wohl der Garant, dass der Währungsfonds weiterhin seinen Teil bei der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise spielt. Immerhin entfällt ein Drittel des 500-Milliarden-Euro-Rettungsschirms auf den Fonds.

Die USA wollen aber nicht noch mehr Geld nach Europa schicken. Sie glauben nicht an eine Sanierung Griechenlands. Der IWF-Prüfer, der in Athen den Fortschritt des Sanierungsprogramm erkundete, forderte die Regierung dort öffentlich auf, mehr zu tun - und bezweifelte damit indirekt, dass es die Griechen schaffen. Ein ungewöhnlicher Vorgang.

Eine echte Umschuldung Griechenlands würde die EU und den Euro aber auf Jahre hinaus mit sich selbst beschäftigen. Der befürchtete Kollaps von Teilen des europäischen Bankensystems würde den großen US-Banken zudem wohl das eine oder andere "Multi-Milliarden-Schnäppchen" am kaufkräftigen europäischen Markt ins Haus schwappen. Auch China steht wohl für umfangreiche Banken- und Unternehmens-Übernahmen bereit und hintertreibt ebenso die europäischen Bemühungen, sich den IWF-Vorsitz erneut zu sichern.

Sollte Griechenland seine Schulden nicht mehr bezahlen können, würden über kurz oder lang auch in Frankreich und Deutschland große Banken zum Verkauf stehen. Über diese Banken - so ist aus Frankfurter Bankenkreisen zu hören - würden die USA (und China) auch den Euro-Handel in die Hand bekommen. Europa hätte dann zwar eine gemeinsame Währung, der Wechselkurs des Euro könnte aber erheblich in Washington und Peking gesteuert werden.

Gleichzeitig würde eine derartige Turbulenz in Europa von der erheblichen Schuldenkrise in den USA ablenken. Die Vereinigten Staaten haben ihre gesetzlich markierte Schulden-Obergrenze erreicht, mit 14,3 Billionen Dollar. Dazu kommen massive Schulden der US-Bundesstaaten von 125 Milliarden Dollar. Nevada, Oregon sind am Rande der Zahlungsfähigkeit, große US-Bundesstaaten wie Texas und Kalifornien stecken in tiefen Finanzproblemen. Da es sich dabei um keine souveränen Staaten handelt, ist ihnen der Weg zum Internationalen Währungsfonds versperrt.

Doch die US-Schuldenkrise könnte leicht auf Mittel- und Südamerika sowie in den pazifischen Raum ausstrahlen. Die Regierung in Washington hat durchaus großes Interesse, dass die beträchtlichen Mittel des Internationalen Währungsfonds auch für solche Länder im Ernstfall zur Verfügung stehen.

Europas Uneinigkeit als Trumpf für die USA

Außerhalb der Grenzen könnten die USA ihr neoliberales Wirtschafts-Modell erneut implementieren. Der Währungsfonds knüpft an die günstigen Hilfskredite Sanierungsprogramme. Ein Bestandteil sind umfangreiche Privatisierungen und günstige Unternehmenssteuern. Für US-Investmentbanken sind solche Privatisierungsprogramme ein warmer Regen, sie verdienen daran an Gebühren, die zirka drei bis fünf Prozent der Privatisierungserlöse ausmachen. Und jene Investmentfonds, die als Kapitaleigner einsteigen, können sich bei späteren Börsegängen hohe Gewinne ausrechnen. Gewinne, die sie am US-Markt auf absehbare Zeit nicht machen, die US-Wirtschaft rappelt sich nur mühsam wieder hoch.

Die in Europa angedachten Restriktionen für derivative Finanzprodukte, beispielsweise im Rohstoffsektor, würden den großen US-Handelshäusern erhebliche Geschäftsrückgänge bescheren. "Je uneiniger Europa ist, desto besser für die USA", fasst es ein EZB-Banker, der namentlich nicht genannt werden wollte, zusammen. Denn die kumulierten Staatsschulden in der EU unterscheidet sich von jener der USA kaum. 7,9 Billionen Euro macht sie in der Eurozone aus (die allerdings auch eine geringere Wirtschaftsleistung aufweist als die USA). In allen 27 EU-Ländern liegen die Schulden bei 9,8 Billionen Euro.

Ruf von Strauss-Kahn jedenfalls ruiniert

Dieser Machtkampf um die wirtschaftspolitische Vorherrschaft in der Welt bietet wohl auch den Nährboden für die Verschwörungstheorien, die sich rund um die Verhaftung von Strauss-Kahn ranken. Im "Handelsblatt" wundert sich ein Kommentator, warum über die französische Internet-Plattform "Atlantico.fr" täglich Details der "versuchten Vergewaltigung" (so der Vorwurf gegen Strauss-Kahn) verbreitet werden: "Atlantico" wird vom früheren Wahlkampf-Manager von Sarkozy betrieben. Eine der Theorien lautet, dass rechte französische und amerikanische Politiker dem als "Womanizer" bekannten Strauss-Kahn eine Falle stellten. Dass das Foto eines vollkommen heruntergekommenen Strauss-Kahn, das aus dem Gefängnis "Rikers Island" seinen Weg in die Medien gefunden hat, passt da ins Bild. Die Empörung in Europa ist groß - Strauss-Kahn konnte damit all seine Ambitionen endgültig begraben.