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Der Machtkampf in Brüssel

Von Reinhard Göweil

Politik

Karas und Swoboda kritisieren EU-Regierungschefs deutlich.|Voraussichtlich bis 27. Juni fliegen die Fetzen.


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Brüssel. "Wir spüren in uns die Aufgabe, einen Vorschlag zu machen." Der erstaunliche Satz der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nach dem informellen Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel, das dem Ausgang der Europawahl gewidmet war, offenbart eines deutlich: Die Versammlung der europäischen Alpha-Tiere, Europäischer Rat genannt, spürt, dass das Europa-Parlament dessen Macht mittlerweile offen in Frage stellt.

Es geht also um die Besetzung des EU-Spitzenpersonals, bisher Domäne der Regierungschefs. Nun haben sich die Christ- und Sozialdemokraten, die Grünen, Liberalen und die Linke auf Jean-Claude Juncker geeinigt, was die Regierungschefs als unklug empfanden. Othmar Karas, Vizepräsident des EU-Parlaments und Wahlsieger in Österreich: "Die Äußerungen nach dem informellen Treffen der Staats- und Regierungschefs war enttäuschend. Anders wäre es besser gewesen, aber das ändert am Weg nichts." Etwas härter noch reagierte Hannes Swoboda, Fraktionsleiter der europäischen Sozialdemokraten: "Eigentlich ist diese Reaktion des Rates eine Unverschämtheit. Es haben vor der Wahl alle gewusst, dass der Sieger, also entweder Juncker oder Martin Schulz, die Kommission führen wird. Die Regierungschefs wären gut beraten, den Wahlausgang anzuerkennen."

Alle berufen sich auf den EU-Vertrag
Sowohl Parlament als auch Rat berufen sich dabei auf Artikel 17 des EU-Vertrages, und in dem steht: "Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder. Erhält dieser Kandidat nicht die Mehrheit, so schlägt der Europäische Rat dem Europäischen Parlament innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit einen neuen Kandidaten vor, für dessen Wahl das Europäische Parlament dasselbe Verfahren anwendet."

Diese Konsultationen wird nun Ratspräsident Herman van Rompuy durchführen, doch der siehst sich mittlerweile mit einer neuen Forderung des Parlaments konfrontiert: Das Parlament will in Gestalt ihrer Fraktionsvorsitzenden mit dem nominierten Kommissionspräsidenten das inhaltliche Programm verhandeln. Das sollte eigentlich am 28. Juni der Fall sein, der Termin des offiziellen EU-Gipfels. Genau das wollen die 28 Regierungschefs aber auch tun, wobei sich die dabei uneinig sind. Der Brite David Cameron will die EU zurechtstutzen und Kompetenzen wegnehmen. Ob ihm dabei seine "Allianz" mit dem sehr nationalistisch agierenden Viktor Orban aus Ungarn behilflich ist, wird auch in Ratskreisen bezweifelt.

Erstmals stehen die Regierungschefs dabei einem Parlament gegenüber, in dem zwar die Abgeordneten ihrer jeweiligen Parteien sitzen, die aber – nach außen – deutlich einiger auftreten. So gibt es im Europa-Parlament fraktionsübergreifend etwa die Meinung, dass die EU eine Energie-Union benötigt – ähnlich der Banken-Union. Und dass mit dem Instrument der EU-internen bilateralen Vereinbarungen (das dem Europaparlament das Mitspracherecht nimmt oder beschneidet) Schluss sein muss.

Personalrochaden im Parlament
Die kommenden Wochen werden also in Brüssel ziemlich nervenaufreibend sein, weil als Folge der Wahl das Spitzenpersonal im Parlament ausgetauscht wird. In der kommenden Woche wird der Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten (EVP), Joseph Daul, aufhören. Er dürfte vom deutschen, aus der CSU stammenden Abgeordneten Manfred Weber abgelöst werden. Und auch Hannes Swoboda wird spätestens am 18. Juni abgelöst. Swoboda geht in Pension, als Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten (SPE) könnte er von Martin Schulz abgelöst werden, der dafür als Parlamentspräsident  zurücktritt.  Der SPE-Spitzenkandidat könnte dann inhaltlich die Linie der neuen Kommission beeinflussen.  Swoboda: "Für Herrn Rompuy kann dies alles keine Ausrede sein, wir sind voll funktionsfähig."

Funktionsfähig hielt sich auch der Europäische Rat. Angela Merkel gab beim Rat keine Empfehlung für Juncker ab und hielt sich alle Optionen offen. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann war zwar im Vorfeld für Juncker, aber nach dem Treffen mit den Amts-Kollegen zurückhaltend: "Ein Kandidat braucht eine qualifizierte Mehrheit, die gab es nicht."

Das Brüsseler Machtgefüge zwischen Rat, Parlament und Kommission mag – aus der Distanz – europäische Bürger verwirren, so kompliziert ist es aber nicht. In der Kommission ist die operative Macht konzentriert, ähnlich einer Regierung. Die EU-Kommission wurde bisher kontrolliert vom Rat, also den nationalen Regierungen. Das Parlament ist zwar – wie der Europäische Gerichtshof - für europäisches Recht zuständig, doch in politischen Machtfragen und Vereinbarungen zwischen den EU-Regierungen bisher mehr Beobachter als Gestalter. Der Lissabon-Vertrag der EU gibt dem Parlament nun mehr Einflussmöglichkeit, und es scheint diese Möglichkeit auch nutzen zu wollen. Auf Kosten der Regierungschefs.

Enrico Letta als Joker
Da aber am Ende – wie in jedem demokratischen System – der Kompromiss zum politischen Alltag gehört, könnte folgendes passieren: Jean-Claude Juncker verzichtet auf den Kommissionspräsidenten,  um ein Patt zu verhindern. Dafür wird er Nachfolger des ebenfalls abtretenden Herman van Rompuy als Präsident des Europäischen Rates. Und als Kommissionspräsident könnte als Kompromiss-Kandidat der ehemalige italienische Regierungschef und Sozialdemokrat Enrico Letta auftauchen. Letta hat aus seiner Jugend eine christdemokratische Vergangenheit  und wäre für die EVP ein akzeptabler Kandidat. "Wenn ein Sozialdemokrat EU-Kommissionspräsident werden kann,  wird das die Fraktion im Parlament sicher beeindrucken", sagte ein hochrangiger Parlamentarier zur "Wiener Zeitung". Dafür darf der Rat informell beim Parlamentspräsidenten mitreden, der in der ersten Hälfte der Legislaturperiode ein Liberaler sein könnte. Guy Verhofstadt oder der als Währungs-Kommissar ins Parlament wechselnde Olli Rehn.

Politische Tauschgeschäfte? Ja, das wäre möglich. Dem gelernten Österreicher kommt das sogar irgendwie normal vor…

Angela Merkel bleibt die mächtigste Frau der Welt

Das US-Magazin "Forbes" hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zum vierten Mal in Folge zur mächtigsten Frau der Welt gekürt. Auf dem zweiten Platz landete die Chefin der US-Notenbank Federal Reserve, Janet Yellen. Auf dem dritten Rang lag wie im Vorjahr Melinda Gates, die mit Ehemann und Microsoft-Gründer Bill Gates eine milliardenschwere Stiftung leitet.

Dahinter folgten Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff sowie die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde.