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Der magische Moment

Von Klaus Huhold

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Roger Milla und James Rodríguez: Weltmeisterschaften schaffen Stars. Und ihr Erscheinen kann sich in einem Augenblick verdichten.


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US Valenciennes, SEC Bastia und Montpellier La Pallaide SC. So wirklich glorreich war seine Vereinskarriere nicht. Vor der WM hatte er seine Laufbahn eigentlich schon beendet, Offizielle hatten ihn aber gebeten, noch einmal für sein Land anzutreten.

Roger Milla galt vor der Weltmeisterschaft 1990 als ein Spieler, der zwar immer schon hochveranlagt, aber ohne groß hervorzustechen durch Frankreich getingelt und mit 38 Jahren bereits zu alt für ein großes Turnier war. Doch in Italien schlug seine große Stunde. Mit vier Toren hatte er erheblichen Anteil daran, dass es Kamerun bis ins Viertelfinale schaffte, und der Stürmer, der nach seinen Treffern an der Cornerfahne tanzte, wurde zum Gesicht des afrikanischen Sensationsteams.

Auch der Kolumbianer James (ausgesprochen Chames) Rodríguez tanzt nach seinen Toren gerne, es soll sich um eine Art Salsa handeln, den er da mit seinen Mitspielern zelebriert. Und auch er stand vor der Weltmeisterschaft, als alle Welt über Neymar, Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo debattierte, nicht auf der Liste der potenziellen Stars dieses Turniers.

Gut, in seiner Heimat hielten sie diesen Burschen aus der Stadt Cúcuta, der schon als Teenager Profi wurde, schon lange für ein großes Versprechen. Beim FC Porto und nun beim AS Monaco soll er auch nie der Schlechteste gewesen sein. Rodríguez galt zwar als herausragendes Talent, aber es wurde nicht viel mehr von ihm erwartet, als dass er mit guten Spielen noch weiter auf sich aufmerksam machen wird.

Nun steht er nach fünf Toren in vier Matches plötzlich ganz oben. "Maradona, Messi, Suárez, James Rodríguez: Sie können Sachen, die sie speziell machen", sagte Uruguays Coach Óscar Tabárez, nachdem sein Team Kolumbien 0:2 unterlegen war. Rodríguez sei "der beste Spieler der WM", beschied der erfahrene Coach.

Freilich sollte man den Vergleich zwischen Milla und Rodríguez nicht überstrapazieren. Milla war 38 Jahre alt, Rodríguez ist 22 Jahre jung. Für den Kameruner war die WM noch ein Glanzpunkt in einer zuvor eher durchwachsenen Karriere, für den Kolumbianer könnte sie das Tor zum Weltstar aufstoßen.

Doch gleichen sich ihre Geschichten auch. Sie wurden beide durch die Strahlkraft einer WM zu Helden - wenn hunderte Millionen Menschen vor den Fernsehapparaten sitzen und Zeugen eines Spiels werden.

Bei Milla verdichtete ein Moment seine Darbietungen und sein Auftreten, der ins kollektive Gedächtnis einging. Als er dem dribbelnden kolumbianischen Torhüter René Higuita frech den Ball stibitzte, mit einem Grinsen in das leere Tore schob und dann seinen Tanz an der Cornerfahne zum Besten gab. Auch Rodríguez könnte seinen großen Moment nun gehabt haben, und der war wahrlich magisch: Das 1:0 gegen Uruguay, als er den Ball mit der Brust annahm, sich um die eigene Achse drehte und volley unter die Latte abzog, zeigte seine ganze Kunst, es war ein perfekter Bewegungsablauf, ein artistisches Fest der Ballbeherrschung.

Der Zauberer mit dem Milchgesicht kann noch für weitere Glanztaten sorgen. Allerdings ist das auch der Fluch der plötzlichen Aufmerksamkeit. Im Viertelfinale gegen Brasilien wird nun erneut eine herausragende Leistung von ihm erwartet, die Begegnung wird schon zum Duell zwischen Rodríguez und Neymar ausgerufen. Dass der Kolumbianer einfach nur sein Talent aufblitzen lässt, das reicht nun nicht mehr.