Industrielle Nahrung und Softdrinks beeinflussen zu Lasten der Gesundheit das natürliche Hunger- und Sättigungssystem.
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Wien. Einer der weltweit größten Getränkehersteller kann sich damit rühmen, dass pro Sekunde 19.400 seiner Softdrinks konsumiert werden. Dass die schmackhaften Limonaden, ebenso wie Fast Food und industrialisierte Nahrung, das natürliche Hunger- und Sättigungsgefühl des Körpers unterminieren, bleibt relativ unbeachtet. Die Auswirkungen sind Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Adipositas und Co., die sich weiter im Vormarsch befinden.
Diese Entwicklung zeigt der Wiener Gastroenterologe Ludwig Kramer auf. In den letzten 50 Jahren habe die Energiedichte der Ernährung stark zugenommen. Vor allem flüssige Kohlenhydrate, wie in Soft- und Energydrinks, aber auch industriell gefertigte Nahrung würden die Sättigungsreflexe überlisten und lassen damit den Konsumenten Tag für Tag mehr Energie als notwendig aufnehmen.
Die Wurzeln des Übels
Das dem Menschen von der Natur mitgegebene Hunger- und Sättigungssystem stellt für den Körper eine ausreichende Ernährung sicher, aber auch die Anlage von Vorräten für Notzeiten. Überdies bietet es einen Schutz vor zu hohen Fettreserven.
Für gewöhnlich stellt sich lange, bevor Nahrung im Körper aufgenommen wird, dank bestimmter Gewebshormone ein Sättigungsgefühl ein, erklärt Kramer. Denn kommt Nahrung in den Magen, zerkleinern spezielle Muskelschichten das Gegessene, wobei kleinere Nahrungsbestandteile durch den Pförtner in den ersten Teil des Dünndarms weitergeleitet werden. Für größere Bestandteile heißt es dann noch warten. Vor allem Kohlenhydrate in flüssiger Form würden aber ungehindert im Dünndarm, dem Hauptort der Verdauung, landen und damit quasi ungebremst in den Körper übertreten.
Eine Wurzel des Übels liege laut Kramer in der breiten Verwendung von Fructose. Fruchtzucker macht das Obst süß. Da Äpfel und Co. als gesund gelten, wird auch der Fructose diese Eigenschaft angeheftet. Doch der Körper verarbeitet sie gänzlich anders als Glucose (Traubenzucker).
Während nämlich Glucose vom Organismus sehr gut verwertet wird und über das Blut im gesamten Körper - so etwa auch im Gehirn - für Energie sorgt, wandert die Fructose auf direktem Weg in die Leber. Dort führt sie zu erhöhter Harnsäurebildung sowie zu einem erhöhten Cholesterinspiegel und hemmt überdies das Hormon Leptin - einen der wichtigsten Stoffe für die Regulierung des Sättigungsgefühls. Im Obst selbst stelle Fructose wegen der zusätzlichen Stoffe wie Ballaststoffe kein Problem dar, sehr wohl jedoch als isoliertes Süßungsmittel oder auch als Fruchtsaft, wo sie als Motor für entzündliche Erkrankungen gelte.
Da Fruchtzucker überdies eine deutlich höhere Süßkraft als Glucose besitzt, gilt er für die Industrie als besonders billiger und damit beliebter Grundstoff. Vorwiegend kommt er gemischt mit Maissirup als HFCS (High Fructose Corn Syrup) in Limonaden, aber auch in Konserven oder der Packerlsuppe und vielem mehr zum Einsatz. "Nimmt man Kindern Softdrinks und Fruchtsäfte weg, verhindert man die Jugendadipositas", betont Kramer.
Auch andere Zusätze wie die als Verdickungsmittel eingesetzte Carboxymethylcellulose, Geschmacksverstärker, Aroma- und Konservierungsstoffe sowie Reste von Seife, die durch nötige Reinigungsvorgänge im Verarbeitungsprozess haften bleiben, würden sich in der Nahrung wiederfinden und dem Körper nach und nach Schaden zufügen. Mit dem Argument der Harmlosigkeit könne man "relativ viele Chemikalien, die Funktionen mit noch unabsehbaren Folgen haben, in die Nahrung einbringen", so Kramer.
Die Lebensmittelkonzerne bewegten sich oft moralisch wie ethisch auf dünnem Eis, stellen auch die Autoren Marita Vollborn und Vlad Georgescu in ihrer Neuerscheinung "Food Mafia" (Campus) der Industrie ein schlechtes Zeugnis aus. "Vor allem die rapide Ausbreitung von Zivilisationskrankheiten, die eine starke ernährungsphysiologische Komponente haben, bereitet Medizinern zunehmend Sorgen und belastet die Gesundheitssysteme", heißt es darin. Die Konzerne würden die Gesundheitspolitik untergraben und ähnliche Methoden wie die Tabakindustrie anwenden.
Ludwig Kramer rät auf jeden Fall zu regionaler Ernährung, die sich in den regionalen Gerichten widerspiegelt. Man müsste das Kunststück vollbringen, den Faktor Natürlichkeit, der evolutionären Angepasstheit der Ernährung, in eine Ernährungspyramide mit einfließen zu lassen. Möglichst wenig industrielle Eingriffe, möglichst wenig von dem Körper evolutionär nicht bekannten Chemikalien. Weiters müsste der Anteil flüssiger Energieträger zugunsten von Wasser reduziert werden. Auch der Faktor Energiedichte sollte Platz finden. Hohe Energiedichte führe dazu, dass man automatisch mehr zu sich nimmt.
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