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Der Mann, auf den der Kanzler hört

Von Walter Hämmerle

Politik
Werner Muhms Mission: "Die Steuergeschenke Grassers an Großindustrie und Stifter" zurückholen. Foto: Strasser

Muhm gilt als Mastermind der SPÖ-Steuerpolitik. | "Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie ist diskreditiert." | "Sozialstaat braucht hohes Steuerniveau." | "Wiener Zeitung": Was ist für Sie der Kern von Politik?


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Werner Muhm: Lassen Sie mich mit einem Zitat der dänischen Schriftstellerin Inger Christensen antworten: "Wenn ein Haus mit einem Bett und Ofen, wenn Kleidung, Essen und Wasser für jeden Bürger der Welt die Antwort ist, was ist dann die Frage?"

Und was sagt das über die Prioritäten in Österreich aus, wenn die Entwicklungshilfe für die Ärmsten der Armen um 30 Prozent gekürzt wird?

Das zeigt, dass in der Politik nach wie vor der Blick auf das Regionale Vorrang hat. Es wird allen Beteiligten erst nach und nach bewusst, dass wir in Europa und der ganzen Welt verknüpft sind. Dennoch ist längst klar, dass die Lösung für die meisten Probleme regional nicht mehr möglich ist, es geht um die Gestaltung der Globalisierung, um eine verstärkte Zusammenarbeit in Europa. Das ist das einzig Positive an dieser Krise, dass an ihrem Ende etwas mehr Europa stehen wird. Deshalb plädiere ich auch für unser europäisches Wohlfahrtsmodell, das hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Innovationskraft mit sozialem Zusammenhalt und Chancengleichheit verbindet und für Nachhaltigkeit und Menschenrechte eintritt. Das könnte ein Modell für die ganze Welt sein.

Sie gelten als der Mann, auf den Bundeskanzler Faymann in wirtschaftlichen Fragen hört. Wie mächtig sind Sie?

Als Direktor der Arbeiterkammer Wien habe ich eine durchaus machtvolle Position, wenngleich die Macht nur übertragen ist und man verantwortungsvoll damit umgehen muss. Ich führe einen Experten- und Dienstleisterstab. In Österreich gibt es nicht viele Brain Trusts, die wie die AK auf unabhängiger Finanzbasis ihre Positionen formulieren können.

Wie oft sprechen Sie mit Kanzler Faymann?

Ungefähr einmal in der Woche, dazwischen telefonieren wir auch.

Sie gelten als Mastermind des prononciert linken SPÖ-Kurses in Steuerfragen.

Ich bin sicher nur eine von mehreren Stimmen, die der Kanzler um ihre Einschätzung fragt. Aber es haben sich die Rahmenbedingungen grundlegend geändert, wir erleben die dramatischste Wirtschaftskrise seit den 1930ern. Für die Sozialdemokratie geht es jetzt darum, die Ursachen der Krise zu benennen. Die sind: Unvernünftige und unregulierte Finanzmärkte; Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung; und Ungleichgewichte im Außenhandel in Europa und in der Welt.

Politisch leidet die SPÖ darunter, dass sie Teile dieser Entwicklung mitgetragen hat. Nicht die Arbeitnehmer, sondern die wirtschaftlichen Eliten haben dieses System an die Wand gefahren .. .

. .. unter tatkräftiger Mitwirkung der Politik .. .

Ja, weil die Politik dem Drängen des Neoliberalismus nachgegeben hat: Flexibilisierung, Deregulierung, Zurückdrängen des Staates und die Durchflutung aller Lebensbereiche mit der Marktwirtschaft. Durch den Zusammenbruch der Finanzmärkte ist offenkundig geworden, was alles an Ungerechtigkeiten möglich war. Das hat verständlicherweise zu enormer Empörung bei den Bürgern geführt. Insofern ist auch die Sozialdemokratie diskreditiert, weil sie - zumindest auf europäischer Ebene - diesen Kurs mitgegangen ist. Denken Sie nur an Tony Blair, Gerhard Schröder .. .

. . . und Viktor Klima nicht zu vergessen.

In Österreich war das nur sehr gedämpft der Fall.

Auf den vermeintlichen Erfolgszug dieser neuen Sozialdemokratie wollte man aber sehr wohl aufspringen.

Ja, nur hat sich das als Irrweg herausgestellt. Jetzt geht es für die Sozialdemokratie darum, glaubwürdige neue Antworten auf die Probleme zu finden. Das bedeutet für mich ein Mehr an europäischer Zusammenarbeit - allerdings in einer Form, die auch die Menschen mit einbindet. Europa war zwar immer ein Elitenprojekt, aber diese Eliten dürfen nicht so weit vorausgehen, dass sie von den Menschen weiter hinten nicht mehr gesehen werden können. Dann erleben die Bürger europäische Entwicklungen wie das Ausnutzen unterschiedlicher Lohn- und Steuerstandards durch Konzerne als Bedrohung und können keinen Vorteil in europäischen Lösungen mehr sehen. Das betrifft auch die übereilte Aufnahme bestimmter Länder in die EU: Wann hat es denn eine wirkliche Diskussion etwa über Rumänien und Bulgarien gegeben?

Wann und wieso ist Faymann vom EU-skeptischen Saulus - Stichwort der Leserbrief an den "Krone"-Herausgeber - zum EU-Fan mutiert?

Faymann stammt natürlich aus der Ebene der Stadtpolitik, hat aber sehr schnell erkannt, dass in vielen Bereichen europäische Lösungen zweckmäßiger sind. Der Kanzler war etwa einer der Ersten, der das Thema Finanztransaktionssteuer auf die europäische Ebene gebracht hat.

Können Aktionäre aus Sicht der Sozialdemokratie überhaupt gute Menschen sein?

Ja, auf jeden Fall. Ich gelte ja als Urgestein der Sozialpartnerschaft. Dazu wird man nur, wenn man auch sein Gegenüber schätzt und dessen Standpunkte respektiert. Die Logik in der Sozialpartnerschaft ist eine andere als in der herkömmlichen Politik, wo die Meinung des Anderen meist abgewertet wird. Allerdings haben sich auch in der Sozialpartnerschaft in den letzten 20 Jahren die Machtverhältnisse grundlegend geändert: Das Kapital ist hochgradig mobil, die Verlagerung von Produktionsstandorten kein Problem mehr. Zudem hat im Jahr 2000 ein Lagerdenken um sich gegriffen, das ich in dieser Form für längst überwunden gehalten habe, Schwarz-Blau war ein schwerer Rückschritt. Wir müssen Win-Win-Situationen für sozialpartnerschaftliches Handeln schaffen.

Kritiker in der ÖVP attestieren Ihnen Sachverstand, sehen Sie jedoch von der Mission beseelt, die Politik von Schwarz-Blau wieder zurückzudrehen. Stimmt das?

Nein, es gab zwar Einschnitte auf Kosten der Schwachen, aber auch Erfolge der Sozialpartner, etwa die Abfertigung Neu, und auch eine Pensionsreform war notwendig, wenngleich nicht so extrem. Das Einzige, was ich tatsächlich zurückdrehen will, sind die Steuergeschenke Grassers an Großindustrie und Stifter. Im Wesentlichen tragen die Arbeitnehmer jetzt fast schon das gesamte Steueraufkommen durch Lohn- und Mehrwertsteuer.

Die Neuverteilung der bestehenden Steuerbelastung ist das eine; eine andere Frage ist, ob das System wirklich beständig mehr Geld zum Verteilen benötigt, oder nicht genug in diesem Topf ist?

Ein Wohlfahrtsstaat braucht zumindest ein mittleres Steuerniveau, alles andere ist eine Illusion. Die skandinavischen Länder zeigen, dass es dort, wo es ein relativ hohes Steuerniveau und eine relativ gleiche Einkommensverteilung gibt, auch Chancengleichheit, Zufriedenheit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gekoppelt mit sozialer Sicherheit gibt.

Aber muss es auch zwangsläufig immer mehr Umverteilungsmasse geben?

Grundsätzlich bekenne ich mich zu einer Steuerquote von zumindest 40 Prozent. Aber natürlich gibt es Bereiche, wo die Treffsicherheit nicht passt. Wir haben mit Frankreich die höchste Familienförderung, und erst langsam dämmert in bürgerlichen Kreisen die Erkenntnis, dass viel mehr Geld für die Familien nicht zwangsläufig zu viel mehr Kindern führt. Statt Direktzahlungen müssen wir mehr in Sachleistungen wie Kinderbetreuungsplätze investieren. Dasselbe gilt auch für Pflege.

Sie betonen den Antagonismus zwischen Vermögenden und Arbeitnehmern. Ist nicht der Gegensatz zwischen geschütztem und ungeschütztem Bereich genauso groß?

Nein, wir bemühen uns um einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff. Das Problem sind Entwicklungen im Arbeitsbereich wie Flexibilisierungen und Prekariate. Die Zukunft des Arbeitnehmers kann ja nicht der moderne Tagelöhner sein, der wäre der flexibelste. Es geht darum, dass soziale Sicherheit als Produktivfaktor gesehen wird.

Demnach wäre der öffentliche Sektor der produktivste Bereich in Österreich.

Hier gibt es auch sehr tüchtige Menschen, in den Spitälern, im Exekutivbereich, im Unterricht und in der Verwaltung. Und wo es hapert, hapert es ja vielleicht an den Vorgesetzten.

In einem Punkt scheint der Kanzler nicht auf Sie zu hören: Sie empfehlen, nicht im Vorhinein über Steuererhöhungen zu reden, sondern diese zu machen, wenn sie notwendig sind. SPÖ und ÖVP hingegen werfen derzeit mit Steuerideen nur so um sich, obwohl erst im Spätherbst entschieden wird.

Wichtig ist, dass sich in dieser Frage die SPÖ-Position durchgesetzt hat, nachdem ja Josef Pröll die längste Zeit gesagt hat, es soll überhaupt keine Steuererhöhungen geben.

Das hat der Kanzler auch gefordert.

Das war aber vor der Wirtschaftskrise, doch nach intensiven Diskussionen innerhalb der Sozialdemokratie mit starker Artikulation der Gewerkschaft ist klar gewesen, dass eine faire Bewältigung der Krise nur mit einer ausgewogenen ausgaben- und einnahmenseitigen Sanierung möglich ist. Die jetzige Diskussion gibt den Bürgern Klarheit: Auf der einen Seite die SPÖ, die auch die Verursacher der Krise und die Vermögenden zur Kassa bitten will; auf der anderen Seite ein eher nebuloses Ökosteuer-Modell der ÖVP, das tendenziell eher die Massen belastet.

Und trotzdem verliert die SPÖ weiter alle Wahlen?

Lassen wir die Kirche im Dorf: Dass Burgstaller Salzburg gehalten hat, war ein bemerkenswerter Erfolg für die SPÖ; die Streitereien in der Kärntner Landespartei wiederum kann man dem Bundeskanzler schwer anlasten. Aber natürlich muss die SPÖ einige Kurskorrekturen glaubwürdig bewerkstelligen - und an diesen wird derzeit auch gearbeitet.

Zur PersonWerner Muhm (60) ist Chef der Wiener Arbeiterkammer. Der gebürtige Wiener studierte Betriebswirtschaft an der Hochschule für Welthandel. Nach Abschluss des Studiums begann er 1975 in der AK, wechselte aber bereits 1976 ins volkswirtschaftliche Referat des ÖGB. Ab 1990 stellvertretender Direktor der AK Wien, seit 2001 deren Direktor.