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Der Mann, der auf den Papst schoss

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Seit Juni 2000 wegen Mordes in der Türkei in Haft. | Hintergründe des Papst-Anschlags nie aufgeklärt. | Istanbul/Rom. In den nächsten Tagen wird Mehmet Ali Agca, der Mann der am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz auf Papst Johannes Paul II. schoss, zum zweitenmal in seinem Leben das Hochsicherheitsgefängnis Kartal Maltepe in Istanbul verlassen. 1979 war er aus ebendiesem Gefängnis geflüchtet, wo er eine lebenslange Haftstrafe wegen der Ermordung des Chefredakteurs der linksgerichteten Zeitung "Milliyet", Abdi Ipekci, hätte verbüßen sollen. Mitglieder der faschistischen Organisation "Graue Wölfe" hatten dem damals 21-Jährigen zur Flucht nach Bulgarien verholfen. Ab August 1980 bis zum Mordanschlag auf den Papst reiste er mit verschiedenen Reisepässen in der Mittelmeerregion herum, am 10. Mai traf er mit dem Zug aus Mailand in Rom ein, wo er drei Tage später während der Papstaudienz die fatalen Schüsse auf Johannes Paul II. abfeuerte.


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Urteil nach nur dreitägigem Prozess

In einem Schnellverfahren wurde Ali Agca, der nach am Tatort festgenommen worden war, nach nur drei Tagen Prozessdauer am 22. Juli 1981 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Verfahren ließ mehr Fragen offen als es löste und in den nahezu 25 Jahren seither wurden verschiedene Verschwörungstheorien öffentlich erörtert und wieder verworfen, wobei Ali Agca das Seine zur Verwirrung beitrug.

Ali Agca hatte sich zuerst als Mitglied der Befreiungsfront für Palästina ausgegeben. Diese Gruppierung hatte sich aber sofort von ihm distanziert und jegliche Verbindung mit dem Türken dementiert.

Bereits 1982 hatte die amerikanische "Readers Digest"-Reporterin Claire Sterling erstmals von einer sogenannten "bulgarischen Spur" geschrieben. Danach steckten hinter dem Attentat auf den Papst östliche Geheimdienste, die den unbequemen Pontifex Maximus auf Polen loswerden wollten. Am 25. November 1982 wurde der Leiter der römischen Balkan Air-Filiale in Rom, der Bulgare Sergei Ivanov Antonov verhaftet, nach ihm weitere Bulgaren und Türken, die man beschuldigte in das Komplott verwickelt zu sein.

Ali Agca selbst sprach auch von bulgarischen Hintermännern - allerdings erst nach einem Besuch italienischer Geheimdienstleute im Gefängnis. Später bestritt er diese Behauptungen wieder.

Bulgarische Spur nicht beweisbar

Der Prozess gegen die angeblich in das Komplott verwickelten Bulgaren und Türken endete am 29. März 1986 vor dem Berufungsgericht in Rom wegen unzureichender Beweise mit Freisprüchen.

Papst Johannes Paul II., der seinem Attentäter noch während seines Spitalsaufenthalts verziehen und ihn am 27. Dezember 1983 im römischen Gefängnis Rebibbia besucht hatte, sagte während eines Besuches in Bulgarien im Mai 2002, dass er nie an die bulgarische Spur geglaubt habe.

Ali Agca selbst, der bis zu seiner Begnadigung durch Italiens Präsident Carlo Azeglio Ciampi im Juni 2000 nach Rebibbia noch in der römischen Haftanstalt Regina Coeli, sowie in Ascoli Piceno und in Ancona inhaftiert war, wartete im Laufe der Jahre noch mit weiteren Tatvarianten auf. So behauptete er im Lauf der Jahre unter anderem, dass er Hintermänner im Vatikan gehabt habe und dass CIA-Agenten ihn bewogen hätten, östliche Geheimdienste in die Affäre hineinzuziehen.

Das dritte Geheimnis von Fatima

Als Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 den dritten Teil des Geheimnisses von Fatima veröffentlichen ließ, in dem von der Ermordung eines weiß gekleideten Bischofs die Rede war, bezeichnete sich der Papst-Attentäter als "Werkzeug der Vorsehung", das am 64. Jahrestag der Marienerscheinung von Fatima (13. Mai 1917) als "unbewusstes Instrument" gehandelt habe. Er habe den Papst nicht töten wollen.

Nie aufgeklärt wurde der Verdacht, dass Ali Agca nicht allein, sondern mit einem Komplizen gehandelt habe. So hat man auf dem Petersplatz seinerzeit drei Projektile gefunden, aus Ali Agcas Waffe, einer Browning-Pistole wurden aber nur zwei Schüsse abgegeben.

Nach seiner Begnadigung in Italien wurde Ali Agca im Juni 2000 an die Türkei ausgeliefert, wo er noch seine Strafe wegen des Mordes an dem Journalisten Abdi Ipekci abzusitzen hatte. Diese Strafe wurde in einem neuerlichen Verfahren nach seiner Rückkehr in die Türkei auf zehn Jahre herabgesetzt. Aufgrund der türkischen Strafrechtsreform des Vorjahres und seiner guten Führung wird Ali Agca in den nächsten Tagen freigelassen.

Der vatikanische Staatssekretär Angelo Kardinal Sodano wollte zur bevorstehenden Freilassung Ali Agcas keine Stellungnahme abgeben: "Wir haben aus Agenturmeldungen von der möglichen Haftentlassung erfahren, niemand hatte uns darüber informiert", sagte er im Interview mit der römischen Tageszeitung "la Repubblica" am Montag. "Die türkischen Justizbehörden sind allein für den Fall zuständig".

Staatsanwalt fürchtet um Leben Ali Agcas

Der ehemalige römische Staatsanwalt Ferdinando Imposimato, der die Ermittlungen um den Anschlag auf Johannes Paul II. geführt hatte, warnte, dass Agcas Leben nach der Freilassung in Gefahr sei. "Ich bin überzeugt, dass Agca sein Leben riskiert, sollte er freigelassen werden. Er kennt die Wahrheit um das Komplott, das zum Attentat auf Johannes Paul II. geführt hat", so der Ex-Staatsanwalt.

Siehe auch:Was weiß Ali Agca über den Entführungsfall Orlandi?