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Der Mann, der Pakistan zu ändern versucht

Von WZ-Korrespondent Shams ul-Haq

Politik

Oberster Richter wurde Galionsfigur der Opposition. | Vom Freund zum Gegner Musharrafs. | Islamabad. Als Staatschef Pervez Musharraf am 7. Mai 2005 den Juristen Iftikhar Chaudhry zum Vorsitzenden Richter am Obersten Gerichtshof bestellte, waren sie noch Freunde. Mittlerweile ist der am 12. Dezember 1948 in Quetta geborene Richter zum erbitterten Feind des pakistanischen Machthabers und eine Galionsfigur der Opposition geworden.


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Am Anfang war der Kontakt zwischen beiden noch gut, man lud sich gegenseitig zum Essen ein und spielten auch die eine oder andere Partie Golf zusammen. Chaudhry versuchte, wann immer es möglich war, seine Entscheidungen zu Gunsten von Musharraf zu treffen.

Der Streit entbrannte, als beide der Hochzeit eines hohen Richters des Obersten Gerichtshofs beiwohnten. Unter den Gästen befanden sich zahlreiche Journalisten, ebenso Botschafter anderer Länder. Auf die Frage hin, ob es korrekt wäre, dass Musharraf gleichzeitig das Amt des Armeechefs wie auch des Präsidenten ausübe, antwortete Chaudhry: "Es liegt momentan noch kein Verfahren über einen Verstoß gegen die Verfassung vor, wenn ein solches existieren würde, würde ich im Sinne der Verfassung urteilen." Diese Aussage wurde groß in den pakistanischen Medien thematisiert, was als Beginn einer bis heute andauernden Fehde gilt.

Jurist im Zwielicht

Der Star-Jurist scheute in seiner Amtszeit aber auch sonst keinen Konflikt und machte sich so bei den Einflussreichen und Mächtigen unbeliebt. Allerdings soll auch Chaudhry sein Amt missbraucht haben. So half er bei der Beförderung seines Sohnes bei der Polizei. Vor allem aber traf er mehrmals Entscheidungen, die dem pakistanischen Präsidenten missfielen. So führte er im Fall der Privatisierung der Stahlindustrie sogar den Premierminister vor. Der Plan wurde von seinen Kollegen und ihm wegen Korruptionsverdachts gestoppt. In einer Affäre um vermisste Personen, welche angeblich von fremden Geheimdiensten entführt worden waren, zitierte Chaudhry Militär und Innenministerium vor die Richterbank.

Schließlich prangerte Musharraf selbst Chaudhrys luxuriösen Dienstwagen an, den er über sein Amt erworben hatte. Damit begründete er die Absetzung des Richters am 9. März dieses Jahres. Was als Befreiungsschlag gedacht war, wurde für Musharraf zum Problem. Chaudhry wusste sich zu wehren, indem er durchs Land tourte und die Massen mobilisierte. "Es ist eine Zeit der Prüfung, die mir Gott auferlegt hat. Ich werde mich der Situation in der Weise stellen, wie der Schöpfer es wünscht", erklärte er.

Unter Hausarrest

Die Anwälte des Landes unterstützten ihn von Anfang an, später kamen Tausende und Zehntausende, um dem Richter zuzujubeln - und nach Demokratie zu rufen. Auch wenn ihm oft Gewalt angedroht wurde, blieb Chaudhry unbehelligt.

Im Sommer holte das Oberste Gericht seinen Chief Justice wieder zurück ins Amt. Der Oberste Gerichtshof erreichte dadurch Anerkennung wie nie zuvor. Die politische Opposition, deren Parteien Musharraf über die Jahre erfolgreich kleingehalten hatte, wurde nun gewissermaßen vom Gericht vertreten. Die Unabhängigkeit der Richter wurde zur Hoffnung vieler frustrierter Demokraten sowie anti-militärischer und säkularer Kreise.

Unsichere Wahlen

Zuletzt versuchte Chaudhry über seine Position, die am 6. Oktober erfolgte Wiederwahl Musharrafs für nichtig zu erklären. Bis zum 15. November hätte das Verfassungsgericht darüber entscheiden müssen, weil zu diesem Termin die Amtszeit des Präsidenten wie auch des Parlaments endet. Musharraf rief in letzter Konsequenz allerdings den Notstand aus. Chaudhry wurde nach der Verhängung des Ausnahmezustands abgesetzt und steht nun unter Hausarrest. Dienstags gelang es ihm, in einer Telefonansprache an die protestierenden Anwälte in Islamabad Musharraf offen zu kritisieren und die Wiederherstellung der Verfassung zu fordern.

Auch die Wahlen im Januar stehen unter keinem guten Stern. Noch kann niemand absehen, ob die kommenden Wahlen frei und fair verlaufen werden. Die Gefahr einer Manipulation ist enorm. Zudem wächst der Einfluss der islamistischen Parteien, die Kontakte zu Al Kaida und zu den Taliban pflegen, dies allerdings nicht offiziell zugeben. Musharraf hat diese Parteien ehemals gebraucht, um im Parlament Mehrheiten zu erzielen. Und die Islamisten brauchen das Parlament, um mit Ämtern und Privilegien versorgt zu sein und gleichzeitig Einfluss ausüben zu können. Besonders brisant ist die Rolle der Mullahs, die vor den armen Bevölkerungsschichten, meist Analphabeten, zum Jihad aufrufen und den Islam für ihre Zwecke missbrauchen.

Die politische Krise und die anhaltende Gewalt zwangen Pakistans Militärführung, Zehntausende Soldaten von der Grenze Indiens abzuziehen, um sie in anderen Landesteilen einzusetzen. Die indische Regierung verstärkte daraufhin die Truppen im pakistanischen Grenzgebiet. Außerdem benötigt Pakistan momentan etwa zwölf Brigaden, das sind rund 28.000 Soldaten, um im Westen des Landes die Sicherheit aufrecht zu erhalten, wo islamistische Kämpfer agieren.