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Damit Joe Biden die US-Präsidentschaftswahl gewinnt, haben die Parteiflügel der Demokraten Frieden geschlossen - vorerst.
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Hope and Change waren die zwei tragenden Begriffe in Barack Obamas Wahlkampagne 2008. Hoffnung und Wandel verkörperte der juvenile Präsidentschaftskandidat, frischer Wind sollte einkehren nach dem Scherbenhaufen der beiden Amtszeiten von George W. Bush. Der hatte die USA nicht nur in den desaströsen Irak-Krieg geführt. Sein Krisenmanagement nach dem Hurrikan "Katrina" hinterließ bei den vorwiegend schwarzen Opfern auch den Eindruck, die Regierung lasse sie im Stich. Der Wandel sollte aber auch parteiintern ausstrahlen, war doch Obamas Rivalin um das Präsidentenamt eine gewisse Hillary Clinton. Wie bei den Bushs aufseiten der Republikaner drohten bei den Demokraten die Präsidentschaftskandidaturen zum Familienerbe zu verkommen.
Allzu viel Wandel birgt aber die Sorge vor mangelnder Erfahrung. Also wählte Obama, damals 47, den 65-jährigen Joe Biden als Vize. Während Obama erst vier Jahre im Senat saß, diente Biden bereits 35 Jahre in der Kongresskammer für den nordöstlichen Bundesstaat Delaware und leitete den außenpolitischen Ausschuss. Mit nicht einmal 30 Jahren hatte er als bisher jüngster US-Politiker 1972 einen Senatssitz erobert, bereits 1988 bewarb sich Biden erstmals um das Präsidentschaftsamt - scheiterte aber ebenso im parteiinternen Vorwahlkampf wie zwei Dekaden später. 2008 war es noch kein Modebegriff, heute würde man sagen: Biden ist seit Jahrzehnten Teil des Establishments bei den Demokraten.
Kein Einschmeicheln mehr bei Diktatoren
Ausgerechnet er verkörpert nun wieder die Hoffnung, und zwar auf ein Ende der Ära Trump. Wandel bedeutet heute, dass die USA wieder ein verlässlicher Partner werden sollen: "Das Erste, was ich tun muss, und ich scherze nicht: Wenn ich gewählt werde, muss ich mit den Staatschefs telefonieren und sagen, dass Amerika wieder da ist, Sie können auf uns zählen", verspricht Biden mit Blick auf sein Steckenpferd Außenpolitik. Auch die "Zeiten des Einschmeichelns bei Diktatoren" seien vorbei.
Wer eine Vision für die Vereinigten Staaten sucht, ist bei ihm fehl am Platz. Und das Publikum kann er auch nur bedingt mitreißen. Nicht von ungefähr spottet Donald Trump über "Sleepy Joe" und "Slow Joe". Biden neigt zur Fahrigkeit, oder wie der Komiker Jim Carey in einer Parodie Biden kürzlich in den Mund legte: "Ich habe 46 Gedanken im Kopf." Er gilt als unbeherrscht, weswegen er von Trump im ersten TV-Duell unentwegt unterbrochen wurde, damit Biden vor laufender Kamera die Fassung verliert. Diese Taktik ging nach hinten los: Das Verhalten Trumps goutierten viele unentschlossene Wählern nicht. Und als Biden schließlich entnervt Trump zuraunte, endlich den Mund zu halten ("will you shut up man"), kam dieser Sager in den sozialen Medien gut an, bei jener jungen Klientel, die mit Biden sonst fremdelt.
Hier schlagen die demokratischen Herzen zumeist für Bernie Sanders. Der selbsternannte Sozialist zog aber nach einem fulminanten Beginn im Vorwahlkampf den Kürzeren - wie bereits vier Jahre zuvor gegen Hillary Clinton. Biden siegte auch, weil sich mehrere Bewerber des Mitte-Lagers zurückzogen und die späte Kandidatur des Milliardärs Mike Bloomberg zum Rohrkrepierer wurde. Wieder setzte sich mit Biden der Kandidat des Parteiestablishments durch.
Schwer vermittelbar in der Mittelschicht und in Florida
Sanders’ linker Kurs - im europäischen Vergleich sind es klassisch sozialdemokratische Positionen mit öffentlicher Krankenversicherung für alle, höherer Besteuerung Wohlhabender und kostenlosen öffentliche Universitäten - lässt sich in den US-Vorstädten schwer verkaufen, also dort, wo ein Gutteil der Wechselwähler aus der Mittelschicht daheim ist. Im wichtigsten der umkämpften Bundesstaaten, in Florida, hätte der sozialistische Senator einen schweren Stand in der exilkubischen Community gehabt. Dafür wäre Sanders’ Kritik an der US-Wirtschaftspolitik seit Ronald Reagan im Industriegürtel des Rust Belt vermutlich auf offene Ohren gestoßen.
Biden versucht, diese offene Flanke unter anderem mit einem Infrastrukturprogramm über 400 Milliarden Dollar abzudecken. Dass er die USA bis 2050 klimaneutral machen will, geht den Parteilinken aber viel zu langsam. Neben Sanders ist Alexandria Ocasio-Cortez Galionsfigur dieses Flügels. "Biden hat klargemacht, dass er nicht für ein Verbot von Fracking ist." Nach dessen Sieg gegen Trump wolle sie wieder für eine Kursänderung lobbyieren, sagt die New Yorker Kongressabgeordnete zu CNN. Entscheidender Nachsatz: "Erst müssen wir uns darauf konzentrieren, das Weiße Haus zu erobern."
Forderung nach "progressiven Führungsfiguren" im Kabinett
Ocasio-Cortez weiß, dass eine Wiederholung von 2016 verheerend wäre. Der interne Wahlkampf zwischen Sanders und Clinton sorgte für verbrannte Erde, viele Anhänger des Senators blieben der Präsidentschaftswahl fern oder stimmten vereinzelt sogar für Trump. Der nunmehrige Amtsinhaber verfügt über eine solide Wählerbasis, aller Ausfälle und zum Trotz sind seine Beliebtheitswerte nie unter die 40-Prozent-Marke gefallen. Wollen die Demokraten das Weiße Haus zurückerobern, müssen der Mitte-Flügel und die sogenannten Progressiven gemeinsam für Biden kämpfen. Junge Wähler - gemeint ist Sanders’ Basis - seien "realistisch und pragmatisch" in ihrer Wahlentscheidung, erklärt Ocasio-Cortez.
Ohne Gegenleistung findet die Eintracht aber wohl bald ein Ende. Gefragt, ob Sanders ein Ministeramt in Bidens Kabinett übernehmen solle, meint Ocasio-Cortez: "Es ist entscheidend, dass seine Regierung progressive Führungsfiguren beinhaltet." Von großer Bedeutung ist dabei aber auch, ob die Demokraten die Mehrheit im Senat erobern können. Dort werden 35 der 100 dortigen Sitze am Dienstag neu vergeben, dazu alle im Repräsentantenhaus, wo die Demokraten bereits die Mehrheit stellen. Sind Weißes Haus und Kongress in einer Parteihand, ist die Chance auf Wandel groß. Womit wir wieder bei der Hoffnung wären.