Der Ungar Károly Szabó rettete mit waghalsigen Unternehmungen mehreren Juden das Leben. Erst viele Jahre nach seinem Tod dokumentierte sein Sohn die mutigen Aktionen des Vaters.
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Károly Szabó, der geheimnisvolle "Mann im schwarzen Ledermantel", war sowohl bei der jüdischen Gemeinde in Budapest als auch bei den faschistischen "Pfeilkreuzlern" im Ungarn der NS-Zeit ein fester, jedoch mysteriöser Begriff. Selbst die Familie von Szabó wusste nichts von den geheimen Aktivitäten des Ehemanns und Vaters eines zweijährigen Sohns. Er selbst schwieg eisern, auch nach dem Ende des "Dritten Reichs" erzählte er nichts. Am 28. Oktober 1964, im Alter von nur 48 Jahren, verstarb er an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine Geheimnisse nahm er mit ins Grab.
Welche Rolle Szabó 1944/45 tatsächlich gespielt hatte, wäre unbekannt geblieben, wenn sich nicht sein nach Kanada emigrierter Sohn für die Lücke im Lebenslauf seines Vaters interessiert hätte. Jahrzehnte nach dessen Tod begab sich Támas Szabó mit Hilfe einer ungarischen Journalistin auf Spurensuche. Der jüngste politische Rechtsruck Ungarns verlieh den Dokumenten Aktualität und Gewicht. Im April 2010 rückte die antisemitische, rechtsradikale Jobbik-Partei bei den ungarischen Wahlen zur drittstärksten politischen Kraft im Lande auf; internationale Medien schrieben von der "Auferstehung der Pfeilkreuzler", da ihre gewalttätigen Aufmärsche und das Mitführen von NS-Symbolen und ihre am Gedankengut des Nationalsozialismus orientierten Reden düstere Erinnerungen wachriefen.
Ungarn und die Nazis
Faschistische Pfeilkreuzler, auch "Hungaristen" genannt, hatten, im Anschluss an die Besetzung Ungarns am 19. März 1944 bei der Verfolgung von Regimegegnern, Juden, Roma und Sinti eine große Rolle gespielt.
Damals arbeitete der junge Károly Szabó als Schreibmaschinenmechaniker an der schwedischen Botschaft in Budapest. Er erlebte das Unternehmen "Margarethe", den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Ungarn, das zu diesem Zeitpunkt als faktischer Vasallenstaat an der Seite NS-Deutschlands am Zweiten Weltkrieg teilnahm. Nach dem Desaster des Russlandfeldzugs hatte Reichsverweser Admiral Horthy versucht, die Seiten zu wechseln. Es war die Entdeckung seiner geheimen Kontakte zu den Alliierten durch den deutschen Geheimdienst, die schließlich zur Besetzung durch den bisherigen Verbündeten führten.
Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute - die deutschen Invasoren stießen auf keinerlei Widerstand, die Zahl der Anhänger Hitlers war groß - war Szabó ein vehementer Gegner der Nationalsozialisten. Die Tatsache, dass die deutsche Armee, wie es sich an der schwedischen Botschaft bald herumsprach, von einem 200 Mann starken und erprobten Sondereinsatzkommando des Reichssicherheitsdienstes unter der Führung von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann begleitet wurde, erfüllte ihn mit dunkler Vorahnung. Tatsächlich lautete Eichmanns Auftrag: Vorbereitung der "Endlösung" sowie Überwachung der Durchführung durch ungarische Behörden. Die Schätzung der Zahl "rassisch minderwertiger Menschen" ging von einer Million Juden sowie 150.000 Sinti und Roma aus. Unter deutschem Druck erließ eine neue ungarische Regierung 107 Gesetze zur vollständigen Entrechtung der jüdischen Bevölkerung, die, zusammengepfercht in Ghettos, auf ihre Deportation warteten.
Szabó hat die hektischen Anstrengungen seiner Arbeitgeber zum Schutz bedrohter Menschen mit großer Sympathie verfolgt. Nach den ersten Schreckensmeldungen bemühten sich viele Vertreter neutraler Staaten um die Rettung Verfolgter. Es war jedoch Raoul Wallenberg, erster Sekretär an der schwedischen Botschaft, der alle anderen übertraf. Das Ausmaß des täglichen Terrors erschütterte den Diplomaten, der aus einer der reichsten Familien Schwedens stammte, zutiefst. Aus eigener finanzieller Kraft, aber auch mit Unterstützung des US-War Refugee Board ergriff er lebensrettende Maßnahmen, suchte auf Reisen das Gewissen der Weltöffentlichkeit wach zu rütteln. Viele Personen bewahrte er durch Dokumente, die ihnen nach der Ausreise sofortige Aufnahme in Schweden garantierten, vor dem sicheren Tod. Tausende versorgte Wallenberg mit Schutzpässen, die sie - zumindest eine Zeit lang - vor Verfolgung bewahrten. Über dreißig schwedische Schutzhäuser wurden eingerichtet.
Die Eskalation
Ab dem 15. Mai 1944 wurden täglich mehr als 10.000 Menschen aus Ungarn in Konzentrationslager transportiert, ein Großteil von ihnen ermordet: Innerhalb von zwei Monaten über 400.000 Juden, Zehntausende Sinti und Roma. Der schwedische König, der Vatikan, das Internationale Rote Kreuz sowie ungarische protestantische Bischöfe legten dagegen Protest ein. Eine kurze Atempause trat ein, als Reichsverweser Admiral Horthy dem internationalen Druck nachgab und am 9. Juli 1944 den Abtransport der letzten 200.000 Juden einstellen ließ.
Nach dem Sturz von Horthy und der Machtübernahme der von den Deutschen favorisierten "Pfeilkreuzler" unter Ferenc Szalasi wurden die Deportationen jedoch sofort wieder aufgenommen. Im Gegensatz zur Horthy-Zeit schreckte man nun vor Angriffen auf schwedische Schutzhäuser nicht zurück. Mord-Kommandos von Pfeilkreuzlern überfielen auch die Inhaber von Schutzpässen und führten sie zur Hinrichtung.
Im Gestapo-Kostüm
In dieser verzweifelten Situation sollte die Stunde von Károly Szabó schlagen. Wallenberg, dessen Kontakte zum alten Horthy-Regime nutzlos geworden waren, beriet sich voll Verzweiflung mit seinem Freund, dem Psychoanalytiker Otto Fleischmann. Gemeinsam entwarf man einen tollkühnen Plan, in dem Szabó - er hatte sich bereits als loyaler Helfer im schwedischen Schutzprogramm ausgezeichnet - die führende Rolle zugedacht war. Eine große Rolle spielte dabei das Aussehen des Technikers: groß, blond und blauäugig. Dazu kam sein sehr energisches, selbstsicheres Auftreten. Für die "Pfeilkreuzler" war er ein "echter Germane" mit dem Gehabe eines Vertreters der "Herrenrasse". Von Vorteil war auch, dass Szabó über seinen Jugendfreund Pál Szalai Verbindungen zu jenen Kreisen der ungarischen Polizei besaß, die nicht mit den Nationalsozialisten kollaborierten.
Es fiel Otto Fleischmann - er sollte nach dem Krieg in Wien leben und internationalen Ruf erlangen - nicht schwer, Károly Szabó zu rekrutieren und ihn für die Rolle des Gestapo-Offiziers entsprechend psychologisch zu schulen. Es war eine tragische Ironie des Schicksals, dass der erste Rettungseinsatz des in einen langen schwarzen Ledermantel gekleideten Szabó, dem jüdischen Fleischmann selbst galt.
Viele andere Aktionen folgten. Stets erschien der falsche Gestapo-Agent bei den "Pfeilkreuzlern" und forderte im Namen der deutschen Besatzer ganz "offiziell" die Herausgabe verhafteter, zur Erschießung bestimmter Juden. "Er brüllte herrisch um sich und wedelte dabei mit irgendwelchen Papieren", berichteten Überlebende seinem Sohn, der in der ganzen Welt nach Zeitzeugen suchte. Tamas Szabó wunderte sich. Als kleines Kind hatte er seinen Vater nur als liebevollen und sanften Familienmenschen erlebt.
Der größte Coup
Am 8. Jänner 1945 hatten "Pfeilkreuzler" ein Haus erstürmt, das unter dem Schutz der schwedischen Botschaft stand. Sie waren gerade dabei, die Insassen - 154 Juden, darunter viele Kinder - in Gruppen zum Donauufer zur Exekution zu treiben, als ein Lastwagen mit Polizisten unter der Führung eines SS-Mannes neben ihnen Halt machte. Der Kommandierende im langen Ledermantel forderte und erreichte die Herausgabe der Menschen und brachte sie unversehrt in Sicherheit.
Ein Abendessen, das Wallenberg am 12. Jänner 1945 in der schwedischen Botschaft gab und zu dem er auch Károly Szabó lud, sollte dem "Judenretter in Gestapouniform" viele Jahre danach zum Verhängnis werden. Raoul Wallenberg ist am 13. Jänner 1945 spurlos verschwunden. Die Sowjets hatten ihn nach Moskau verschleppt, wo er in den Kerkern der Lubjanka - wie sich erst später herausstellte - 1947 den Tod fand. Der Fall erregte internationales Aufsehen. Da die anklagenden Stimmen nicht verstummten und Schweden Aufklärung forderte, suchte die Sowjetführung nach einem geeigneten Sündenbock. Sie fand ihn in Szabó, der Wallenberg als Letzter gesehen hatte.
Am 8. April 1953 verschwand Károly Szabó spurlos auf dem Weg zur Arbeit. Er wurde sechs Monate gefangen gehalten und schwer gefoltert. In einem öffentlichen Schauprozess nach stalinistischem Muster sollte er als Hauptangeklagter des Mordes an Wallenberg überführt werden. Nur der Tod sowohl von Stalin als auch seines Geheimdienstchefs Beria, haben die Ausführung dieses teuflischen Plans verhindert. Aus der Haft entlassen, litt Szabó bis zu seinem frühen Ableben an den Folgen der Misshandlungen.
"Mein Vater war ein Held und Opfer einer perfiden Intrige", stellte sein Sohn fest, der dessen postume Würdigung erreichte. Am 4. August 2010 fand eine Feier zum Gedenken an Szabó statt. Und am 12. November 2012 wurde er von Israel als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet.
Anna Maria Sigmund ist Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und Autorin zahlreicher historischer Bücher, darunter "‚Das Geschlechtsleben bestimmen wir‘. Sexualität im Dritten Reich".