Zum Hauptinhalt springen

Der Mann mit dem Trachtenhut

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Ein neues Bild von Wien.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In öffentlichen Verkehrsmitteln, auf Plakatwänden, in Zeitungen begegnet einem seit einiger Zeit immer wieder dasselbe Sujet. Ein türkisfarbenes Bild. Unter dem Schriftzug "Der Bauch sagt: Respekt ist Kopfsache" sieht man vier Köpfe: ein Mann mit jüdischer Kippa - ein Schwarzer - eine Frau mit Kopftuch - ein Mann mit Trachtenhut.

Es ist dies das Siegersujet (Agentur Friedl+Partner) des Plakatwettbewerbs, den die Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger initiiert hat. Die Kampagne trug den Titel: "Gemeinsam sind wir mehr" und hatte das Ziel, "ein Zeichen gegen Rassismus und für Zusammenhalt und Vielfalt" zu setzen. Was aber ist das für ein Zeichen?

Der Text des Plakates sagt: Die Unterschiede sind sichtbar - wir tragen sie auf dem Kopf. Und er sagt: Setzen wir unseren Kopf gegen Vorurteile ein. Da wird der Kopf zur Metapher für die Vernunft, die gegen die - so gerne im Bauch lokalisierten - Gefühle in Stellung gebracht werden soll. Dieser Appell sagt uns also: Emotionen werden durch das Äußerliche, durch das, was wir sehen, ausgelöst. Und diese Gefühle bedürfen der Vernunft, der rationalen Einsicht, um sich zu verwandeln - eben in Respekt. Respekt ist also ein durch Vernunft gereinigtes Gefühl. Ganz abgesehen davon, ob es tatsächlich die Vernunft ist, die der negativen Emotionen Herr werden kann, stellt sich auch die Frage: Ist das, was dabei herauskommen soll, tatsächlich Respekt?

Es ist das darunter liegende Bild, das diese Frage beantwortet. Ein großartiges Bild. Es zeigt die vier Köpfe von hinten. Es geht also nicht um die einzelnen Individuen. Diese sind - als Träger von Zeichen, von Merkmalen, die sie unterscheiden - Repräsentanten einer Ethnie, einer Religion, einer Klasse. Interessant ist, dass kein Vertreter jener Gruppe dabei ist, die sich selbst als neutral definiert, weil ihre Normalität der Maßstab ist: der moderne weiße Mann. Modern, weil er eben nicht ethnisch oder religiös markiert ist. Noch interessanter aber ist, dass der Trachtenhutträger Teil der Reihe ist.

Das Wunderbare daran ist, dass dieser Typus hier einer unter anderen ist. Das entspricht ja tatsächlich der heutigen Realität. Aber man muss sich einmal vor Augen halten, was das tatsächlich bedeutet! Noch vor einiger Zeit - und diese Zeit ist noch nicht so lange her -, da war der Mann im Lodenmantel mit Gamsbarthut, da war dieser Typus hegemonial. Er war kulturell und identitätspolitisch vorherrschend. Er war es, der die Normalität bestimmte. Heute ist dieser Herr nicht nur auf dem Plakat eingereiht. Ein Typus unter anderen. Er hat auch real seine Hegemonie verloren. Das zeigt das Bild sehr deutlich. Und sehr einprägsam.

Für den Trachtenhutträger ist der Verlust seiner Vormachtstellung ein schmerzhafter Prozess. Das Nebeneinander auf dem Plakat ist nicht Folge von Respekt. Es ist Folge einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Ihm liegt ein Konflikt, ein Kampf um gesellschaftliche Macht zugrunde. Erst wenn der Trachtenhut eingereiht und nicht mehr vorherrschend ist, ist Vielfalt lebbar. Machen wir uns keine Illusionen. Vielfalt ist kein nettes Zusammensein. Zusammenhalt? Respekt? Schon das faire Nebeneinander auf dem Plakat ist Abbild und Beschwörung in einem. Anders gesagt: Es ist eine Hoffnung.