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Der Marathonlauf gegen das Virus

Von Heiner Boberski

Gastkommentare

Auf der langen Corona-Strecke müssen wir uns ständig umstellen.


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Wir wissen es seit einem Jahr: Die Bekämpfung einer Pandemie ist wie ein Marathon. Wer diesen Sport aktiv betreibt, hat dafür trainiert. Er weiß, worauf er sich einlässt. Aber sehr viele haben keine Erfahrung mit solchen Ausdauerleistungen. Ebenso sind die meisten Politiker nicht mit plötzlich ausbrechenden Pandemien vertraut. Wenn Regierungen dann effizient agieren wollen, haben sie oft kein Gefühl für den langen Atem, den man für einen Marathon benötigt. Sie legen Zwischenspurts ein, wenn man sie dazu anfeuert, und müssen dann wieder Gehpausen einlegen, wofür sie Kritik und Hohn ernten.

Das Problem ist: Im Corona-Marathon gibt es kein Publikum, sondern letztlich sollten alle gut das Ziel erreichen. Dazu kommt, dass man den Streckenverlauf mit seinen Windungen und Höhenunterschieden vorher nicht kennt, dass Markierungen und Kilometertafeln fehlen und das Wetter ständig wechselt. Zudem sind auch Personen unterwegs, die uns behindern oder anrempeln, uns einreden wollen, dass es gar keinen Marathon gibt, dass die Richtung nicht stimmt und man an den Labestellen vergiftet wird.

Derzeit geht uns Marathonläufern die Luft aus. Die Infektionszahlen steigen, die Intensivstationen steuern auf eine Katastrophe zu, und viele Politiker drehen sich wie Fähnchen im Wind der Meinungsumfragen. Die Regierung drückt sich um klare Ansagen, will dem lächerlichen Vorwurf einer "Corona-Diktatur" nur ja keine Nahrung geben und riskiert, dass der Marathon noch länger dauert. Vielleicht wird aber langfristig jene Partei profitieren, die konsequent auf eine nachhaltige Senkung der Infektionszahlen statt auf - in der Regel nur kurzfristige - Öffnungen hinarbeitet. Denn ständige Tempowechsel tun auch keinem Marathonläufer gut. Natürlich kann man für alles, was in Sachen Pandemie falsch läuft, jemanden verantwortlich machen. Sind es die Politiker, die Behörden oder nicht doch mehr die notorischen Maskenverweigerer? Der wahre Gegner ist jedenfalls das Virus, das Covid-19 verursacht.

Die richtigen Lehren ziehen

Corona ist eine demokratiepolitische Zumutung, wie die deutsche Kanzlerin richtig bemerkt hat. Und der nicht immer sattelfeste deutsche Gesundheitsminister hat insofern Recht, dass wir einander danach viel zu verzeihen haben werden. Man kann lange Listen erstellen, welche Fehler begangen wurden - von Politikern auf allen Ebenen, aber auch von vielen anderen Personen. Wenn die Umstände ungewöhnlich sind, läuft auch beim Marathon vieles falsch - bei der Wahl des Tempos, der Schuhe oder der Kleidung, beim Essen oder Trinken. Entscheidend ist hier wie dort, dass man aus den Erfahrungen flink die richtigen Lehren zieht.

Ja, es gab in den bisherigen Phasen der Pandemie zuerst zu wenige Masken und zu wenige Tests, es gibt jetzt noch zu wenig Impfstoff, um rasch alle, die dazu bereit sind, impfen zu können. Aber sollten wir nicht heilfroh sein, dass die Wissenschaft überhaupt so rasch mehrere Vakzine entwickelt hat, dass man darüber streiten kann, welche wirksamer und sicherer sind als andere? Ohne diese Leistungen der Forschung kämen wir dem Marathonziel viel langsamer näher.

Eine Parole lautet: Testen, testen, testen! Aber die Kenntnis von Zahlen ist zu wenig. Auch beim Marathonlauf kann es sich lohnen, auf die Pulsuhr zu schauen. Doch würde man stark ansteigende Herzfrequenzwerte nur beobachten und nicht mit einer Temporeduktion darauf reagieren, sondern womöglich noch schneller weiterhecheln, ginge das sicher ins Auge.

Eine Pandemie kann man nicht abwählen. Eine Klimakatastrophe übrigens auch nicht. Man kann lediglich Parteien stärken oder schwächen, deren Vorgehen gegenüber solchen Krisen einem zusagt. Jene zu stärken, die Krisen schlicht leugnen oder verharmlosen, sollte man sich gut überlegen. Wenn gerade keine Wahlen anstehen, sind freilich nicht Stimmzettel die Waffen der Bürger, sondern andere Mittel: Demonstrationen, Stimmungsmache in den Medien, vor allem im Internet, Gerüchte in Umlauf setzen, Wahrheiten, Halbwahrheiten und komplette Fake News.

"Kurz muss weg!" oder "Merkel muss weg!" lauten dann simple Botschaften. In fast allen Ländern wird auf die jeweilige Regierung geschimpft. Das kann daran liegen, dass die meisten Regierungen mit der Krise überfordert sind, aber auch daran, dass in vielen Ländern ein zu großer Teil der Bevölkerung nicht begreift, was zur Bewältigung einer Pandemie wirklich nötig ist: die Bereitschaft zum Verzicht auf alle nicht unbedingt nötigen persönlichen Kontakte, um die Infektionszahl möglichst niedrig zu halten, bis Impfstoffe und Medikamente die Krise beenden können. Diese Bereitschaft lässt sich nicht verordnen, sie beruht auf der - leider oft nicht im nötigen Maß vorhandenen - Solidarität der Bevölkerung.

Maßnahmen praktizieren

Wer sich aus Pandemiemüdigkeit oder um der Regierung etwas zu Fleiß zu tun, nicht an die Corona-Regeln halten will, sollte bedenken, dass er die Gefahr erhöht, dass aus dem Marathon ein Ultramarathon wird, womit dem ganzen Land - von der Wirtschaft bis zur Kultur - immenser Schaden erwächst. Nicht der verordnete, sondern der wirklich praktizierte Lockdown - der dann auch deutlich kürzer ausfiele - ist der Schlüssel zum Erfolg. Es genügt nicht, wenn es FFP2-Masken gibt, sie müssen auch bei jeder Ansteckungsgefahr getragen werden. Es reicht nicht, wenn der Impfstoff vorhanden ist, er muss auch rasch und zur Gänze verimpft werden, und zwar vorrangig an die Menschen, die am meisten gefährdet sind, nicht an jene, die sich geschickt vordrängen.

Es ist traurig, dass bereits an die 10.000 Menschen in Österreich auf der Strecke geblieben sind. Der Corona-Marathon ist erst zu Ende, wenn der Großteil der Bevölkerung immun gegen das Virus und seine Mutationen ist. Die sportliche Fairness gebietet: Jenen, die schon geimpft sind, sollte man erst dann Privilegien einräumen, wenn auch alle anderen Menschen bereits die Chance auf eine Impfung hatten. Das Impfangebot gehört möglichst rasch so weit ausgebaut, dass wir noch im Sommer in einem langgezogenen Spurt ans Ende der Zielgerade gelangen.