Für Sondersteuer auf extreme Managergehälter. | Hohe Margen der Finanzbranche schadeten Realwirtschaft. | Konjunktur- Maßnahmen gehen manchmal zu weit. | "Wiener Zeitung": Noch vor wenigen Monaten herrschte bei Unternehmern und Managern Katastrophenstimmung. Mittlerweile macht sich vorsichtiger Optimismus breit, dass die schlimmste Phase der Krise überwunden sein könnte. Ist dieser Optimismus begründet? | Albert Hochleitner: Ich denke, das ist er. Die Wirtschaftskrise hat im Gefolge der Finanzkrise ja sehr abrupt begonnen. Normalerweise konnte man davon ausgehen, dass nach einer langen Phase der Hochkonjunktur ein mittelschwerer Abschwung folgt.
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Durch den Ausbruch der Finanzkrise wurde dieser Abschwung aber dramatischer, als es erwartbar gewesen wäre. Da war natürlich auch viel Psychologie im Spiel. In manchen Branchen wurden Probleme offengelegt, die schon lange bestanden hatten und mit der Krise ursächlich nichts zu tun hatten, beispielsweise Überkapazitäten der Automobilindustrie.
Die aktuellen Insolvenzen und Restrukturierungen in der Autoindustrie wären also früher oder später auch ohne Wirtschaftskrise gekommen?
Mit Sicherheit. Diese Krise ist bloß der äußere Anlass, die Probleme endlich auf den Tisch zu legen. Unter normalen Umständen wäre das wahrscheinlich nicht so rasch und so simultan geschehen. Die Lagerbestände wurden in einer Art und Weise leergefahren wie noch nie. Jetzt kehrt langsam wieder Realismus ein.
Ich glaube, dass wir uns einem einigermaßen normalen Zustand nähern, der sich auf einem Niveau bewegt, das bei etwa 20 Prozent unter dem vor der Krise liegt.
Wie lange wird es dauern, bis das Niveau der Jahre 2006 oder 2007 erreicht sein wird?
Ich schließe mich Prognosen an, die davon ausgehen, dass es ein relativ langer Aufholprozess werden wird. Die mit 60 oder 70 Prozent teils dramatischen Einbrüche bei der Kapazitätsauslastung in der Industrie werden recht bald auf minus 25 Prozent zurückgehen. Der Rest des Anstiegs wird dann vermutlich drei oder vier Jahren brauchen.
Zur Milderung der Krise nimmt die öffentliche Hand enorme Geldbeträge in die Hand. Sind diese Maßnahmen tatsächlich effektiv oder wurde das Geld zum Fenster hinausgeschmissen?
Zuerst musste die Finanzkrise eingedämmt und den Banken geholfen werden, weil es sonst wirklich zu einer Katastrophe gekommen wäre. Und weil man die Geldtaschen schon in der Hand hatte, ist das dann in Richtung Realwirtschaft weitergegangen.
Weil es politisch nicht argumentierbar wäre, die Banken zu stützen, die Industriebetriebe aber ihrem Schicksal zu überlassen?
Ohne Finanzkrise hätte es diese Maßnahmen sicher so nicht gegeben. Ob alle Aktionen von der Verschrottungsprämie bis hin zur Opel-Rettung auch sinnvoll waren, will ich nicht beurteilen. Ich glaube aber doch, dass man teilweise über das Ziel hinaus geschossen hat. Das Problem Opel wäre sicher nicht so abgehandelt worden, wenn in Deutschland nicht Bundestagswahlen vor der Tür gestanden hätten.
Interessanterweise haben da genau jene, die sonst immer der Meinung sind, dass sich der Staat in Sachen Wirtschaft nicht zu Wort zu melden hat, zu den ersten gehört, die staatliche Unterstützungen gefordert haben.
Hoffentlich nimmt man diese neue Erkenntnis mit in die Zukunft und erinnert sich auch in guten Zeiten, dass es einen Staat gibt, der seine Verantwortung wahrzunehmen hat.
Das heißt, die Deregulierung der Märkte und das Zurückdrängen des staatlichen Einflusses ist zu weit gegangen?
Der Markt hat nachweislich versagt. Bei allem, was uns auf den Kopf gefallen ist, war es - ausgehend von der Finanzwirtschaft, mit Fortsetzung in der Realwirtschaft - letzten Endes der Markt, der nicht funktioniert hat.
Die Finanzwirtschaft hat in den vergangenen 10, 15 Jahren die Realwirtschaft massiv beschädigt, indem sie Profitmargen vorgegeben hat, die ein normales Industrieunternehmen eigentlich nie erreichen kann. Da waren Margen von 15, 20 oder 25 Prozent angesagt.
Wenn Sie etwa Siemens, mein früheres Unternehmen, betrachten, dann sind wir mit hängender Zunge diesen Margen nachgelaufen und mussten erkennen, dass wir als produzierendes Unternehmen nicht in der Lage sind, das zu schaffen.
Mit dem Ergebnis, dass wir aus wesentlichen Segmenten ausgestiegen sind, sie verkauft oder drastisch heruntergefahren haben. Ein ausgewogenes Konzernportfolio musste kurzfristigen Renditechancen weichen. Auslöser dieser unseligen Entwicklung war übrigens der "Shareholder-Value"-Ansatz, dem viele Unternehmen in quasi-religiöser Dogmatik gefolgt sind.
Ein Prozess, der noch nicht ganz abgeschlossen ist. Die aktuellen Kündigungen bei Siemens Österreich sind eine Folge daraus.
Das ist der Folgeschaden, der damit zusammenhängt, dass Siemens heute eine viel schmälere Basis hat als früher. Und natürlich gibt es Bereiche im Unternehmen, die auf eine breite Basis angewiesen waren.
Wenn also die Softwareentwicklung größtenteils für bestimmte Bereiche im eigenen Haus tätig war, braucht man sie auch nicht mehr, wenn diese Unternehmensbereiche nicht mehr existieren.
So ist es. Da hätte es einer Strategieänderung bedurft, die nicht oder zu spät angegangen wurde. Das primäre Problem ist aber nicht nur, dass wir die Margen der Finanzwirtschaft nicht erzielen konnten, sondern dass diese Margen mit Risiken verknüpft waren, deren Auswirkungen beinahe das ganze System zum Einsturz gebracht hätten. Und am Ende dieser Entwicklung ist jetzt wieder die Realwirtschaft die Leidtragende: Weil das Misstrauen innerhalb der Bankenwelt so groß ist, bekommt die Wirtschaft kein oder zu teures Geld.
Aber gerade die Industrie erhält nun mit den Kreditgarantien staatliche Hilfe. Wie ist es zu argumentieren, dass ein großes Industrieunternehmen solche Garantieren erhält, ein kleiner Handelsbetrieb aber nicht? Da sind im Augenblick einige Dämme am Brechen. In Zukunft wird es schwierig sein, den anderen zu sagen, für Euch haben wir leider nichts mehr. Ich würde es für sinnvoll halten, wenn der Staat in der jetzigen Situation die Infrastruktur des Standortes Österreich modernisieren würde. Solche Investitionen würden uns für die Zukunft stärken.
Können Sie die Kritik an der Entlohnung und den Boni von Bank- und Industriemanagern nachvollziehen?
Vor der Krise, als riesige Gewinne gemacht wurden, ist die Gier enorm gestiegen. Die Entlohnung mancher Topmanager ist einfach unanständig. So viel kann niemand im eigentlichen Sinne des Wortes "verdienen".
Wenn man dann noch die Abfertigungen gescheiterter Manager betrachtet, muss das gerade in der jetzigen Situation die Mitarbeiter frustrieren. Ich füge hinzu, dass es solche Auswüchse hierzulande kaum gibt.
International wird darüber diskutiert, solche Bezüge und Boni zu begrenzen.
Ich glaube, dass es sehr schwierig sein wird, diesem Unfug Einhalt zu gebieten. Schließlich handelt es sich in der Mehrzahl um autonome Kapitalgesellschaften. Ich wäre eher dafür, dass man an das Gewissen der Betroffenen appelliert und versucht, eine gewisse Selbstbeschränkung zu etablieren. Und wenn das auch nichts bringt, dann helfen nur steuerliche Maßnahmen. Wenn man über die Reduktion des Spitzensteuersatzes diskutiert, sind damit ja hoffentlich nicht diese Extremeinkommen gemeint: Extreme Gehälter kann man durchaus mit extremen Steuern belegen.
Strabag-Chef Hans-Peter Haselsteiner hat eine Sondersteuer von 80 Prozent für überzogene Managergehälter vorgeschlagen.
Ich möchte mich da nicht auf einen Prozentsatz festlegen, bin aber nicht weit von Haselsteiner entfernt.
Was war die Ursache für jene Korruptionsaffäre, die den Siemens-Konzern erschüttert hat: der Druck, die Profitmargen zu erreichen, oder schlichte Gier?
Wahrscheinlich ein wenig von beidem. Ich kenne Siemens wirklich schon lange und möchte betonen, dass Siemens nie ein korruptes Unternehmen gewesen ist. Ich will die Vorfälle nicht kleinreden und weiß, dass hier Dinge geschehen sind, die im höchsten Maße bedauerlich sind.. .
... und auch keine Einzelfälle waren, sondern hinter denen anscheinend ein durchaus abgefeimtes und über Landesgrenzen hinwegreichendes System gesteckt hat.
Ich kann das im Detail nicht beurteilen. Ich weiß bloß, dass Siemens Österreich nicht involviert war.
Und ohne die Angelegenheit herunter spielen zu wollen: Die kolportierten 400 Millionen Euro Schwarzgeld sind in Relation zu einem 80-Milliarden-Unternehmen zu sehen. Das sind gerade 0,5 Prozent eines Jahresumsatzes, verteilt über viele Jahre. Ich will nicht falsch verstanden werden: Jeder Euro Korruption ist zuviel. Aber die Dimensionen darzustellen muss erlaubt sein.
Und am Ende der Affäre kann man feststellen, dass Siemens schwer angeschlagen ist, während andere sich selbstzufrieden und pharisäerisch - sicher aber nicht besser oder gar sauberer - zurücklehnen.
Zur Person
Albert Hochleitner wurde am 4. Juli 1940 in Wien geboren und studierte technische Physik an der Technischen Universität (TU) Wien. Nach seiner Sponsion trat Hochleitner in die damaligen Wiener Schwachstromwerke und damit in den Siemens-Konzern ein. 1984 wurde er zum Alleinvorstand des Zählerherstellers Uher bestellt und 1988 übernahm er die Leitung des in Würzburg angesiedelten Geschäftsbereichs Elektromotoren der Siemens Automobiltechnik.
1992 wurde Hochleitner in den Vorstand von Siemens Österreich berufen und 1994 zum Generaldirektor bestellt. Seit 2005 gehört er dem Aufsichtsrat von Siemens Österreich an und fungiert als Obmann des Fachverbandes der Elektro- und Elektronikindustrie sowie als Ehrenpräsident der Industriellenvereinigung Wien.