Ein alter (Scherz?)Spruch der österreichischen Hochbürokratie feiert in Brüssel Reinkarnation: "Regierungen kommen und geh'n, die Beamten aber bleiben besteh'n". Was an der Donau bürgerseits | seit vielen Jahrzehnten durchaus auch als Drohung und Grund zur Resignation aufgefaßt werden konnte, hat im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude, dem Sitz des Rats der Europäischen Union, seit September | 1994 regelmäßig alle sechs Monate die Reaktion "Gut so!" hervorgerufen. Denn der Meister des Brüsseler · und auch des Luxemburger · "Ratshauses" der EU, Generalsekretär Jürgen Trumpf, managt mit | seinen nahezu 3.000 Mitarbeitern derzeit bereits seine zehnte EU-Präsidentschaft · eine, bei der der gebürtige Rheinländer seine Muttersprache besonders oft nutzen kann.
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Nicht, daß dem 66jährigen Düsseldorfer, den 28 Jahre im Dienste der Europäischen Integration so fit gehalten haben, daß ihn jeder mindestens um zehn Jahre jünger einschätzt, sich nur in
einer einzigen Sprache wohlfühlte. Polyglott war er schon zu Zeiten, als er als Staatssekretär im Bonner Außenministerium an der Seite von Friedrich Genscher diente und als langjähriger "Ständiger
Vertreter" der Bundesrepublik bei der Union in Brüssel.
Die elf Amtssprachen im Europa der 15 zu managen ist übrigens keine kleine Aufgabe: Mehr als die Hälfte seiner Mitarbeiter sind Übersetzer, die dafür sorgen, daß von Finnland bis Portugal und
Griechenland alle wissen, wovon die Rede ist, wenn ein Dokument des Rates die Zukunft Europas beeinflußt. (Die Simultandolmetscher für die Sitzungen werden übrigens meisten "geleast", man will den
angesichts des Aufgabenumfangs ohnehin erstaunlich geringen Beamtenapparat nicht unnötig aufblasen.)
In Trumpfs Mannschaft sind seit unserem EU-Beitritt auch zahlreiche Österreicher eingetreten. Das alte Lied, das man anfangs oft hörte, · viele der uns "zustehenden" Posten in Brüssel und Luxemburg
könnten nur mit Mühe besetzt werden, weil die Herrschaften aus der Alpenrepublik nur sehr zögerlich ihre Chancen wahrnahmen ·, ist übrigens längst verklungen. "Natürlich gibt es keine Kopfquoten"
stellt Trumpf im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" klar, "aber man kann durchaus sagen, daß gerade aus den Ländern der 95er-Beitrittsrunde und damit auch aus Österreich mittlerweile
überdurchschnittlich viele Experten beim Rat angeheuert haben".
"Facility Manager" im Justus-Lipsius-Gebäude an der Brüsseler Rue de la Loi ist er natürlich auch. Schließlich sind Ratstreffen · wie der quälend lange "historische Euro-Gipfel" Anfang Mai mit seinem
vor lauter Streit um den künftigen ersten Chef der Europäischen Zentralbank laut Protokoll elf Stunden dauernden "informellen Lunch" mit nachfolgendem 17 Minuten langen "formellen Ratsgipfel"
· auch eine gewaltige logistische und organisatorische Aufgabe. Wenn sämtliche Regierungschefs und Finanz- und Außenminister und deren in Hundertschaften angetretene Mitarbeiter samt fast 3.000
Journalisten aus aller Welt das Ratsgebäude bevölkern, dann sind alle Fähigkeiten und Kenntnisse des Namensgebers Justus Lipsius gefragt, jenes klassischen Philologen und Professors aus Overyssche
bei Brüssel, dessen berühmte Ausgaben des Tacitus oder des Seneca an der Schwelle des 17. Jahrhunderts die politische Diskussion an den Universitäten in Jena, Köln, Leiden und Löwen befruchteten.
Bei aller Logistik und Administration, ein "Verwaltungsdirektor" · das wienerische "Hausbesorger" oder "Hausmeister" gefällt ihm gut · ist Jürgen Trumpf keiner. Wer ihn kennengelernt hat, stimmt der
zunächst boulevardesk anmutenden flotten Formulierung zu: Das ist zwar der stillste, aber zugleich auch der mächtigste Beamte Europas (Zitat: Hubert Wachter, im Wiener "NEWS").
Jürgen Trumpfs Expertenmannschaft ist es, die in Wahrheit die "Firma Europa" managt. Denn der Rat ist jenes Organ der Europäischen Union, das "die politische Entscheidungsbefugnis in den Bereichen
innehat, für die die Union zuständig ist". Ferner hat er die Aufgabe, "auf Initiative der Kommission und unter Mitwirkung des Europäischen Parlaments, Rechtsvorschriften in den Gemeinschaftsbereichen
zu erlassen". In Prosa: Was der Rat beschlossen hat, "ist Sache, so wird's dann in ganz Europa gemacht." Bis die Beschlüsse aber beschlußreif sind, ist die "Tätigkeit des Rates dadurch
gekennzeichnet, daß im Wege von Verhandlungen die bestmöglichen Lösungen gesucht werden. Das bedeutet, daß sowohl in der Vorbereitungsphase, das heißt in den Sitzungen der einzelstaatlichen
Sachverständigen und der Ständigen Vertreter (Botschafter), als auch auf den Ministertagungen oft lange, schwierige Beratungen zu führen sind". In Prosa: Wenn die Experten die Sachen gut genug
vorbereiten, dann können sich die Minister früher für das obligate "Familienfoto" aufstellen und zeitiger den Heimflug antreten.
Wie schwierig das oft werden kann, zeigt sich am Beispiel einer Aufgabe, die während der österreichischen Präsidentschaft bis zum Wiener Gipfel gelöst werden sollte: Die Bestellung eines "Hohen
Vertreters der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)" der Union. Dieser Quasi-"Außenminister" der EU soll die Anliegen Europas in der übrigen Welt kompetent und gewichtig vertreten. Aber
schon seine Bezeichnung als "Außenminister" wird von vielen vehement abgelehnt, weil sie darin einen unziemlichen Vorgriff auf eine mögliche Europaregierung sehen · und Außenpolitik, die will man
schließlich selber, fürs eigene Land machen.
Welche Kompetenzen also soll er bekommen, wie soll er aussehen, der Herr "Hohe Vertreter"? Gegensätze , wohin man schaut: Die einen meinen, er sollte aus einem großen Land kommen, damit hinter seinen
Aussagen auch zusätzlich das entsprechende Gewicht seiner Nation steht. Die anderen meinen, ganz im Gegenteil, er kann nur aus einem kleinen Land kommen, das nicht mit irgendwelchem historischem
Ballast befrachtet und mit aller Welt gut Freund ist. Und dann kommt auch noch die gute, alte Parteipolitik ins Spiel, oder in Europa besser Blockpolitik: Sozialdemokrat oder Konservativer oder
Liberaler oder . . .?
Namen potentieller Kandidaten werden auch hinter vorgehaltener Hand kaum genannt · ein Brite ist im Spiel, Europaabgeordneter der Tories, ein Franzose, früher enger Mitarbeiter Mitterands,
ein Italiener, Felipe Gonzales oder eher doch nicht, oder einer der 15 "Ständigen Vertreter" der Mitgliedsländer in Brüssel, ein "elder statesman" oder ein jüngerer Experte · das Spiel ist
fortsetzbar ad libidum. Aber Vorsicht, es gilt die alte Spielregel: "Wer den Kopf herausstreckt, ist ihn womöglich gleich los . . ."
Jürgen Trumpf, dessen Fünfjahresturnus im kommenden Jahr zu Ende geht, steht nicht zur Verfügung · obwohl es einige gibt, die sich gerade ihn in dieser Position gut vorstellen könnten: Deutscher,
aber als Rheinländer immer mit einem Fuß in Frankreich und Belgien und Holland zu Hause, Erfahrung im Brüsseler Dschungel, Erfahrung mit Umwälzungen wie der deutschen Wiedervereinigung,
Sozialdemokrat in der Wolle, aber von Helmut Kohl gefördert . . . Er winkt ab. Was er sich vorstellen kann, ist, zwei Jahre als Generalsekretär anzuhängen, und den "Neuen" sozusagen "begleitend
einzuführen".
Die Vorbereitung der Österreicher für ihre Präsidentschaft hält Trumpf für "erstklassig". "Die können zuhören, sind kreativ, administrativ top und können mit den unterschiedlichen Interessen sehr
geschickt umgehen." Im ersten Drittel der Wiener Präsidentschaft hat alles geklappt, jetzt, nach dem Sommer, geht es mit einer Ratstagung nach der anderen erst so richtig los.
Es gibt nur einen einzigen Rat. Der setzt sich aber je nach den Themen, die auf der Tagesordnung stehen, unterschiedlich zusammen. Geht's um Geld, heißt er ECOFIN, und die Finanzminister sitzen
beisammen, formell oder informell, wie z. B. demnächst, von 25. bis 27. September, in der Wiener Hofburg. Da sind auch die Chefs der europäischen Notenbanken dabei. Geht es um Umwelt oder Gesundheit,
dann treffen die Umwelt- oder Gesundheitsminister zusammen · wie zuletzt von 17. bis 19. Juli in Graz (informell) und am 23. und 24. Juli in Stadtschlaining. Höhepunkt und Abschluß jeder
Präsidentschaft ist das "Gipfeltreffen", der "Europäische Rat der Regierungschefs", im Fall der rotweißroten Präsidentschaft die große Konferenz in der Wiener Hofburg am 11. und 12. Dezember 1998.
Jürgen Trumpf wird nicht immer anwesend sein. Präsent ist er aber stets. Als einem, der schon viele Veränderungen mitgestaltet hat, die in den Geschichtsbüchern überdauern werden - siehe deutsche
Ostpolitik und Wiedervereinigung oder die Ausrufung von "Euroland" · war es ihm gleich zu Beginn der österreichischen Präsidentschaft ein besonderes Anliegen, bei Außenminister Wolfgang Schüssels
erweiterter "tour des capitales" zumindest teilweise dabei zu sein. Daß der frischgebackene Wiener EU-Präsident die Idee hatte, auch die Hauptstädte jener Beitrittskandidaten in die
Antrittsbesuchstour einzubeziehen, die zur ersten Erweiterungsrunde gehören sollen, hielt er für ausgezeichnet. Daß er dann in Laibach im Protokoll der slowenischen Gastgeber als "Generalsekretär des
österreichischen Außenamts" geführt wurde, nahm er schmunzelnd hin: "So wächst Europa halt zusammen".