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Der Mensch als Manager des Ichs

Von Christoph Rella

Wirtschaft
Wer den Herausforderungen des Berufs nicht gewachsen ist, droht in die Depression abzugleiten.
© bilderbox.at

Arbeiten bedeutet, sich zu vermarkten.
| Chefs wollen vor allem Eigeninitiative.
| Wertewandel kam mit 68er-Bewegung.


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Wien. Sind die heutigen Arbeitnehmer nah am Wasser gebaut? Es gibt wohl kaum einen Betriebsrat, der nicht schon einmal einen weinenden Mitarbeiter bei sich im Büro sitzen gehabt hat. Weil es einfach nicht mehr ging.

Diese Erfahrung hat etwa Milan Petrovic, Personalvertreter bei der Telekom Austria, gemacht. Zuletzt hatte sich ein A1-Außendienstmitarbeiter bei ihm beklagt, die immer höheren Anforderungen seines Chefs nicht mehr erfüllen zu können. "Er hat gesagt, dass er die geforderten Umsätze nicht mehr schafft und dass ihm deswegen die Kündigung drohe", erzählt Petrovic. "Er war völlig am Ende." Nicht anders erging es einer Verkäuferin eines Mode-Hauses, deren Vorgesetzter immer wieder Kritik an ihrem Kleidungsstil geübt hatte. Dabei sollen Aussagen wie "Du siehst heute wieder mal scheiße aus" gefallen sein. Die verzweifelte Frau hielt einige Zeit durch. Als sie sich dann gegen die Angriffe wehrte, wurde sie auf die Straße gesetzt.

Für den Wiener Trendforscher Bernhard Heinzlmaier ist das nichts Neues. "Arbeitnehmer sind heute dem permanenten Druck ausgesetzt, aus der eigenen Verantwortung heraus Initiativen zu entwickeln", betonte er im Rahmen eines Vortrages in Wien. Demnach müsse der Mensch zum "Unternehmer seiner selbst" werden und sich damit als selbständiger Mitarbeiter - im Gegensatz zu früher - auch selbst disziplinieren. Laut Heinzmaier würden auf diese Weise Ich-AGs herangezüchtet, die "ständig am Kurswert ihrer eigenen Person arbeiten".

Depression als Folge

"Wer das nicht aushält, verfällt bald in die Depression und damit in die völlige Antriebslosigkeit", fügt der Experte hinzu. Diese sei überhaupt schon, wie früher etwa die Neurose, zur Volkskrankheit geworden (siehe Bericht unten).

Warum das so ist? Früher sei die Wirtschaft in den sozialen Beziehungen eingebettet gewesen. "Jetzt ist es genau umgekehrt", erklärte Heinzlmaier und macht dafür insbesondere den Staat verantwortlich. Fazit: "Die Politik verliert die Kontrolle über die Ökonomie."

Ihren Ausgang gefunden habe diese Entwicklung in der 68er-Bewegung des vorangegangenen Jahrhunderts. "Da wurde das materialistische Konzept unserer Elterngeneration durch ein post-materialistisches ersetzt", betonte Heinzlmaier. Die Jüngeren strebten demnach nicht mehr nach Status, Sicherheit und Erfolg, sondern nach individueller Selbstverwirklichung, "anstelle des Haben-Menschen ist der Seins-Mensch getreten".

Dass sich diese Generation in einer Arbeitswelt, wo mehr denn je Einsatz und Erfolg gefragt sind, schwer tut, leuchtet ein. "Die Unternehmer fordern von den Beschäftigten immer mehr Leistung, bieten aber im Gegenzug immer weniger Anerkennung und Wertschätzung an", urteilte auch die Arbeiterkammer auf Basis einer kürzlich erschienenen Umfrage. Demnach gab jeder vierte Arbeitnehmer an, dass es in Sachen Respekt und Wertschätzung in den Firmen "in die falsche Richtung läuft". Auch werde es eher schwieriger als leichter, Familie und Beruf zu vereinbaren, konstatierte die Arbeiterkammer.

Wert ist nur ein Wunsch

Bernhard Heinzlmaier wundert das nicht. "Damit zeigt sich einmal mehr, dass die Arbeit nach wie vor im Zentrum steht und sich die Leute über sie definieren", sagte er. Und: Dass Familie und Beruf nicht auf einen Nenner gebracht werden könnten, beweise "die ökonomische Realität", in der die Menschen heute leben - und wo Werte keine Bedeutung mehr besäßen, betonte der Trendforscher.

"Werte sind wie Luftballons, die zu besonderen Anlässen aufgeblasen und losgelassen werden", sagte er. "Sie spiegeln nicht die Realität, sondern nur Wünsche wider." Das Missverhältnis werde unter anderem daran sichtbar, dass Primärtugenden wie Toleranz oder Hilfsbereitschaft von den Sekundärtugenden Pünktlichkeit und Ordnung abgelöst würden. Heinzlmaier dazu: "Oskar Lafountaine hat einmal gesagt: Mit Sekundärtugenden kann man auch ein KZ betreiben."