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Die Wissenschaft bringt laufend neue Erkenntnisse. Da der Mensch aber gerne an Überzeugungen festhält, begegnet er der Forschung mit Skepsis.
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Früher wurde das Impfen wenig hinterfragt. Die Gesellschaft war sich im Grunde im Klaren, dass sie lieber keine Kinderlähmung, keine Pocken und weder Masern noch Röteln erleiden will. Es hat sich geändert. Ein Fünftel der Österreicherinnen und Österreicher ist nicht gegen die pandemisch grassierende Infektionskrankheit Covid-19 geimpft, was ihnen selbst und allen anderen insgesamt schadet, und eine beträchtliche Anzahl geht gegen erwiesene Fakten sogar auf die Straße.
Warum der Sinneswandel? US-Psychologen sind der Frage nachgegangen und kommen zu dem Schluss, dass der Mensch nur ungern umdenkt und nach Kräften an erworbenen Überzeugungen festhält. Man könnte sagen, der Homo sapiens ist in der Tendenz ein konservatives Tier, das sich durch neue Erkenntnisse weniger erfreut als gestört fühlt und den die Informationsflut überfordert. Das Team um Aviva Philipp-Muller von der Ohio State University macht vier Faktoren im Denken aus, in denen Wissenschaftsfeindlichkeit wurzelt. Interessanterweise ermöglichen es uns dieselben Fähigkeiten, unsere Überzeugungen zu einer Vielzahl von Themen zu ändern.
Konflikt im Kopf
Ausschlaggebend sind in beiden Fällen: die Annahme, dass wissenschaftliche Quellen unglaubwürdig sind; die Identifikation mit Gruppen, die wissenschaftsfeindliche Haltungen propagieren; die Tatsache, dass neue Erkenntnisse oftmals vorhandenen Überzeugungen widersprechen; und ein Missverhältnis zwischen der Art ihrer Präsentation und dem eigenen Denkstil.
"Alle vier Faktoren haben eines gemeinsam: Sie zeigen, was passiert, wenn wissenschaftliche Informationen im Widerspruch zu bereits erworbenen Überzeugungen, Gedanken und Glaubenshaltungen stehen", wird Ko-Autor Richard Petty, Professor für Psychologie an der Ohio State, in einer Aussendung der Universität zitiert: "Wir Menschen tun uns schwer, diese Art von Konflikt zu bewältigen. Leichter fällt es uns, wissenschaftliche Informationen, die nicht zu unseren Überzeugungen passen, abzulehnen."
Negieren ist eines, Feindschaft ein anderes. Warum es dazu kommt, dass bewiesene Fakten als Unfug oder gar Lügen bezeichnet werden, erklären Philipp-Muller, Petty und Kollegen mit zwei zusammenhängenden gesellschaftlichen Entwicklungen: Auf der einen Seite stehen soziale Medien mit ihrer Vielzahl von Nachrichtenquellen, aus denen jeder und jede die eigene Version und Interpretation der Fakten beziehen kann, auf der anderen die zunehmende Bedeutung von politischen Ideologien. Zwar haben die Menschen seit jeher politische Ansichten. "Doch früher waren Wissenschaft und wissenschaftliche Überzeugungen von der Politik getrennt", erläutert Petty. Dies sei heute nicht mehr der Fall. Politik sei, auch durch ihre Präsenz in den Medien, so etwas wie ein Teil der Identität vieler Menschen. Politische Ideologien wiederum würden bestimmte Reaktionen auf wissenschaftliche Erkenntnisse bewirken, die dann selbst wieder politisiert würden. Ein gutes Beispiel sei die Debatte rund um den den Klimawandel, so Petty.
Politische Ideologien
"Manche Menschen lehnen neue wissenschaftliche Informationen auch deswegen ab, weil es einfacher ist, als bestehende politische Überzeugungen zu verändern", fügt Studienleiterin Philipp-Muller hinzu. Politik könne grundlegende mentale Prozesse auszulösen oder verstärken, die alle der vier genannten Denkprozesse, die Wissenschaftsfeindlichkeit begünstigen, triggern.
Beispiel Glaubwürdigkeit von Quellen: Bekannt ist, dass wir Personen der gleichen politischen Ansichten als kompetenter und sachkundiger einschätzen. Da aber Liberale und Konservative in sozialen Medien unterschiedliche Nachrichtenquellen heranziehen, setzen sie zwangsläufig verschiedenen Quellen wissenschaftlicher Informationen und Fehlinformationen - Debatte und kritische Selbstreflexion bleiben aus.
Einen Weg aus dem Dilemma sehen die Forschenden darin, bei der Wissenschaftsvermittlung Verständnis für unterschiedliche Standpunkte an den Tag zu legen. "Pro-Wissenschafts-Botschaften könnten anerkennen, dass es berechtigte Bedenken gibt, aber erklären, warum die wissenschaftliche Position vorzuziehen ist", erklärt Philipp-Muller. "Oft ist es einfach zu wenig, eine simple, präzise Botschaft abzusondern", sagt Petty: Wir müssen auf der Basis von Evidenz die Skepsis abbauen."