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Der menschliche Körper - eine perfekte Maschine?

Von Hannes Doblhofer

Wissen

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Fitness, Potenz, Wohlfühlen, einfach: Gesund Leben. Faul- und Fettmacher gefährden den Menschen. Nicht mehr wilde Tiere und Naturgewalten, sondern Fernsehsessel und Bequemlichkeit, Rolltreppen, Süßes und Fettes.

Die Geschichte des Körpers zeigt, wie wir wurden, was wir sind. Erhellendes findet sich in einem vielbeachteten Buch ("Reizbare Maschinen") des Züricher Universitätsprofessors Philipp Sarasin.

Herr Professor, sie argumentieren, dass Lust und Schmerz den menschlichen Körper formen und die "Zeichen der Zeit" in unsere Leiber eingeschrieben sind?

Ein einfaches Beispiel, ein Mensch vor 200 Jahren wäre heute eine auffällige Erscheinung. Man würde unsere Vorfahren schon wegen ihrer Körpergerüche als auffällig aussondern, die Hygienevorstellungen waren ganz andere. Heute würden wir sagen "er stinkt"! Unsere Vorfahren hatten andere Ernährungsgewohnheiten, ihr "Nervenkostüm" wäre den Reizen unserer Zeit nicht gewachsen gewesen.

Ein Mensch vor mehreren Generationen hatte mehr Muskeln, war aber insgesamt kleiner als wir. Sein Gedächtnis war um vieles ausgeprägter, die Merkfähigkeit. Viele Gedächtnisleistungen haben wir ja an die Computer ausgelagert.

Alle Epochen zeigen unterschiedliche Körper schreiben Sie. Im Blick auf die heutige Fitness- und Wellnessbewegung sind diese Forschungen spannend?

Ja, ich zeige Unterschiede am Beispiel der schon damals existierenden Hygiene- und Gesundheitsratgebern. Ich habe Publikationen untersucht, erstaunlich ist, dass es damals noch keine Vorstellung von einem "normalen Körper" gab. Es gab also weniger Normierung als heute, wo wir in einem fort hören, wie wir auszusehen haben und wo an uns was nicht so ist, wie es eigentlich sein sollte.

Der Normierungsdruck ist jetzt größer als zuvor?

Es gab viele verschiedene Gesundheitsbilder, der individuelle Freiheitsgrad war größer. Der entscheidende Druck kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als erstmals von einem "Volkskörper" gesprochen wurde. Im Naziregime wurden Normierungen festgelegt mit den bekannten Folgen. Jetzt sind wir soweit, das von "Risikokörpern" gesprochen wird, es gibt Diskussionen, wer den Versicherungen "zuviel" Kosten verursacht und ob Menschen mit dieser oder jener Konstitution überhaupt zu versichern sind.

Wir steuern, wenn nichts anderes passiert auf eine bedenkliche Entwicklung, dass Menschen die sich nicht normgerecht verhalten, was ihren Konsum und sonstige Lebensweisen betrifft, als "Versicherungsrisiko" gelten.

Dazu kommt, die Hygieneschriften des späten 18. und 19. Jahrhunderts kamen ohne Bilder aus. Wir leben heute in einer Bilderflut und sind daher einem ungeheuren medialen Normdruck in Richtung "perfekter Körper" ausgesetzt.

Sie meinen es gäbe ein Diktat "gestylter Individuen"?

Die uns gezeigten Beispiele sind immer besser und utopisch entrückt im Vergleich zur Realität des Alltags. Dabei wissen wir nicht ob diese Bilder im Photoshop eines Computerprogramms oder im Silikonstudio einer chirurgischen Klinik entstanden sind. Es macht auch keinen Unterschied, nur die Wirkung auf unsere Wahrnehmung ist extrem. Die medialen Bedingungen waren noch nie so "optimal" für Signale, wie wir zu sein haben.

Eine Körperkorrekturvariante, das ist überall zu sehen - sind kleine kosmetische Reparaturen, modifizierte Ohren etwa. Das scheint es ein Merkmal des zeitgenössischen Körpers zu sein, nur keine abstehenden Ohren wir sind auf dem Weg zum "stromlinienförmigen Menschen".

Wer heute nicht so aussieht wie die Bilderbuchmenschen, wer anders daherkommt, "hat ein Problem". Der Waschbrettbauch und modellierte Muskeln sind angesagt. Es ist auch prinzipiell nichts dagegen zu sagen, abgesehen davon, dass Traum und Albtraum sich oft sehr nahe sind.

Das Reden über "wie sollte ich eigentlich aussehen" scheint Diskursthema Nr. 1. zu sein. Unsere Oberfläche wird immer wichtiger?

In den Fußgängerzonen begegnen wir in den Schaufensterinszenierungen auch den "Volkskörpern" und ihren Uniformen. Sache ist nur, dass der Großteil ja gar nicht hineinpassen.

Ich lebe in Zürich und das sind die großen Modelabels mit Geschäften von der Größe ehemaliger Autosalons präsent. Es ist eine Art "Prada"-Rassismus, den wir beobachten können.

Es geht um Modelle des Menschen die, was ihre Körpermaße betrifft, oft in einem Grenzbereich angesiedelt sind. Solche Menschen sind immer im Training, eigentlich sind sie Maschinenmenschen, denn vom wenig Essen und herumrennen wird Mann und Frau nicht so, wie es vorgezeigt wird.

Aber was zeigt sich auf der Ebene der genetischen Disposition? "Wohlfühlen" ist das Diktat, der Körper soll kraftvoll fit dargestellt werden. Im Hintergrund steht eine "weiße Eugenik" - es sollen nur mehr "perfekte" und gesunde Volkskörper überleben, die technischen Eingriffe und Diagnosemöglichkeiten sind schon real.

Was passiert schon konkret?

Heute ist es peinlich, ein z. B. mongoloides Kind zu haben. Überhaupt, alle "Störungen" weisen darauf hin, dass die Eltern und auch die Experten in irgend einer Weise "versagt" haben. Es könnte der Fall sein, dass Krankenkassen sagen "wir bezahlen das nicht mehr". Der Druck abzutreiben wird steigen. Alles was von der Norm abweicht hat in unserer "toleranten" Gesellschaft keinen Platz mehr, man kann es ja "wegmachen" - solche Diskussionen werden geführt. Hier ist ein massiver Normdruck entstanden.

Sie beschreiben Menschen als "reizbare Maschinen". Sind wir schon überreizt?

Das ist eine Metapher und bezieht sich auf Körpertheorien des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Maschinenmodell war damals ein Erklärungsmuster. Die Hygieniker waren Materialisten, Körper und Geist das Resultat der Einflüsse die auf ihn eindrängten.

Das Reizbare entstandt aus der Reizphysiologie des 18. Jahrhunderts. Aufgabe des Menschen, so die Argumentation, sei es, diese Reize zu dosieren, ein Gleichgewicht herzustellen. Ende des 19. Jahrhunderts kommt diese große Welle der neurasthenischen Erkrankungen, denen sich auch S. Freud widmete und die als Überreizungen diagnostiziert wurden.

Die historische Entwicklung zeigt, dass der Körper unglaublich anpassungsfähig ist. Wir können heute vieles gleichzeitig tun, Lesen, Musik hören, Kommunizieren, immer unterwegs sein.

Ein Mensch des 18. Jahrhunderts hätte das als absolut letal empfunden, wir aber passen uns an, auch wenn wir leiden. Das gesellschaftliche Niveau der Reizverarbeitung steigt mit der Werkzeugentwicklung.

Gibt es Unterschiede bei Männern und Frauen, müssen beide den gleichen Normen genügen?

Im 18. Jahrhundert hatten die Frauen ein Korsett zu tragen, mussten also ihren Körper formen und bis heute "schön schlank" sein. Absurd! Lange Zeit konnten die Männer eher ihren Bauch wachsen lassen, aber das ist vorbei.

Nun haben auch sie auf ihren Körper zu achten, die Industrie der Schönheitschirurgie ist bei den Männern seit fünf Jahren aktiv wie nie zuvor!

Welchen Utopien gibt es?

Was wir wissen und beobachten können ist eine posthumane Technisierung des Körpers, es wird immer mehr Mensch-Maschinen-Kopplungen geben. Wir lagern zunehmend Gedächtnis auf Maschinen, auf die Computer aus, auch die Sinnesorgane sind davon betroffen. Es ist eine Entwicklung die gleichsam eine weltweite Differenz zwischen Gesellschaften und Klassen verschärft.

Jene, die sich das schon, oder nicht leisten können. Wenn man davon ausgeht, dass sich Afrika nicht einmal das Kondom leisten kann wird deutlich, um was es hier in Zukunft gehen wird an neuer Differenz.

Buchtipp:

Philipp Sarasin "Reizbare

Maschinen". Eine Geschichte des Körpers 1765 bis 1914, Suhrkamp Verlag, stw 1524, Euro 17.