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Der Messerstich

Von Daniel Bischof

Eine Frau, die mit einem Messer auf ihren Mann eingestochen hat, wurde rechtskräftig freigesprochen. Sie habe in Notwehr gehandelt, hielt der Schöffensenat fest.


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Wien. Nur eine Armlänge trennt einen Mann und eine Frau, die zusammen auf der Anklagebank sitzen. Einst stand man sich nahe, man war ein Paar, zeugte einen Sohn. An diesem Freitagvormittag aber, im Gerichtssaal 105 des Wiener Straflandesgerichts, überwiegt das Misstrauen. Mehrmals schüttelt die Frau ungläubig den Kopf, als sie ihren ehemaligen Partner sprechen hört. Mit einem intensiven Blick fixiert sie ihn. Der Mann hingegen, meist blickt er zu Boden. Doch als sich der Verteidiger seiner Ex-Frau zu seinem Schlussplädoyer erhebt, wackelt auch er empört mit seinem Kopf hin und her.

Nicht nur Misstrauen und Beschuldigungen sollen die Beziehung des Paars geprägt haben, auch zu Gewalttätigkeiten soll es gekommen sein. Der Mann soll seine Ex-Partnerin über Jahre regelmäßig geschlagen und verletzt haben. Er ist deshalb wegen fortgesetzter Gewaltausübung angeklagt. Am 18. April 2016 eskalierte die Situation im gemeinsamen Haushalt. Die Frau stach mit einem Messer auf den Mann ein. Er überlebte die lebensgefährliche Verletzung.

Die Staatsanwaltschaft legt der Frau das Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung zur Last. Ursprünglich wurde gegen die Frau wegen versuchten Mordes ermittelt. Vier Monate saß sie in Untersuchungshaft. Bereits beim Prozessauftakt im Jänner 2017 gestand die 28-jährige dem Schöffensenat (Vorsitz: Richter Philipp Schnabel), zugestochen zu haben. Sie habe allerdings in Notwehr gehandelt, ihr Mann habe sie zuvor am Zopf gehalten und ihr mit der Faust in den Rücken geschlagen. Sie habe nicht mehr gewusst, wie sie sich helfen solle. In die Ecke gedrängt, habe sie dann zugestochen, gab sie an.

Seine Frau sei am Tag der Messerattacke eifersüchtig und aggressiv gewesen, sagte hingegen der Mann zu Prozessbeginn. Schnurstracks sei sie mit dem Messer auf ihn zugestürmt. Am Freitag gestand der 30-jährige, dass er sich aufgrund der Provokationen seiner Ex-Frau leider zu mancher Gewaltausübung hinreißen habe lassen. Nun absolviere er eine Gewalttherapie. Am Tag des Messerstichs habe er sie aber nicht geschlagen. Der Angriff sei aus dem Nichts gekommen. "Sie war voller Hass erfüllt. Sie wollte mich damals vernichten." Er legte dem Gericht mehrere SMS vor, in dem die Frau ihn einige Tage vor der Tat wüst beschimpfte.

Eine Polizistin, welche die Frau in der Nacht des Messerstichs unbekleidet visitierte, gab als Zeugin an, dass der Rücken der Frau mit Verletzungen, einem "riesengroßen, vielfarbigen Fleck" übersehen gewesen sei. Aufgrund der unterschiedlichen Farben der Flecken habe sie feststellen können, dass es sich sowohl um alte als auch neue Verletzungen gehandelt habe, so die Polizistin.

Es sei schwierig, aufgrund der Farbe den Zeitpunkt der Verletzungen herzuleiten, sagte die Gerichtsmedizinerin Elisabeth Friedrich. "Das ist schwer zu sagen bei Hämatomen." Friedrich hat zwei Gutachten zu den Verletzungen des Mannes und zum möglichen Tatablauf erstellt. Sie hielt fest, dass der Mann eine Stichverletzung in der rechten Achselhöhle erlitten habe. Die Verletzung habe stark geblutet, da eine Arterie fast durchtrennt worden sei. Es habe sich um eine lebensgefährliche Verletzung gehandelt. Da der Mann rechtzeitig medizinisch versorgt wurde – die Frau rief nach dem Stich die Rettung – überlebte er.

 "Abwehr- oder Angriffshaltung"

Sie habe sich gewundert, dass die Stichwunde bei der Achselhöhle gewesen sei. Sie schließe daraus, dass der Mann die Hand hochgehalten haben muss, als er gestochen wurde. Ob er die Hand in einer "Abwehr- oder Angriffshaltung" gehalten habe, könne man medizinisch aber nicht klären. Die 28-Jährige hatte behauptet, der Mann habe sie attackiert. Der Mann bestreitet das, er habe seine Arme gerade nach oben gestreckt, um die Situation zu deeskalieren. "Beide Tatversionen sind medizinisch haltbar", sagte Friedrich.

Um die unterschiedlichen Versionen zu untersuchen, wurde auch eine Tatrekonstruktion gemacht. Das Video davon wurde im Gerichtssaal vorgespielt. Darin sieht man, wie die beiden Angeklagten in ihrer Wohnung, wo der Messerstich erfolgte, stehen. Von den Ermittlern werden sie genauestens zum Tatablauf befragt. Sie müssen nachstellen, wo sie gestanden sind, wie das Messer gehalten wurde, was sie gemacht haben. Verständnisfragen prasseln auf die Vernommenen ein, man hört den Hund des jungen Ex-Paars im Hintergrund jaulen.

 "Ab wie vielen Schlägen darf sich eine Frau zu wehren beginnen?"

Die rechtliche Knackfrage des Prozesses ist nämlich, ob die Frau in Notwehr gehandelt hat. Eine Notwehrsituation liegt dann vor, wenn ein gegenwärtiger oder unmittelbar drohender rechtswidriger Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen vorliegt. Nicht rechtswidrig handelt, wer sich der notwendigen Verteidigung bedient, um diesen Angriff von sich oder einem anderen abzuwehren.

"Ab wie vielen Schlägen darf sich eine Frau zu wehren beginnen?", fragte Christian Werner, der Verteidiger der Frau, rhetorisch in seinem Schlussplädoyer. Es liege eindeutig eine Notwehrsituation vor. Davon könne keine Rede sei, meinte hingegen Kristina Venturini, die Verteidigerin des Mannes. Sie könne nicht stehen lassen, dass "nur die Frau die Heilige ist und der Mann der böse Gewalttäter". Die Frau habe sich widersprochen.

Eine knappe halbe Stunde beriet sich der Senat. Den Aussagen des Mannes schenkte er keinen Glauben. Er sprach die Frau vom Vorwurf der absichtlich schweren Körperverletzung frei, da sie in Notwehr gehandelt habe. Der Freispruch ist bereits rechtskräftig. "Es sprechen sehr viele Dinge für die Verantwortung der Angeklagten, stellte Richter Schnabel fest. Er bezog sich unter anderem auf die Angaben der Polizistin. Nachweislich habe die Frau "jahrelang Verletzungen erleiden müssen". Sie habe "das zur Verfügung stehende Mittel gewählt, das den Angriff verlässlich abwehrt". Eine Notwehrüberschreitung liege nicht vor.

Der Mann wurde zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Sie wird unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Seiner Ex-Frau muss er 500 Euro zahlen. Zahlreiche Beweisergebnisse würden für die fortgesetzte Gewaltausübung gegen die Frau sprechen. "Wir haben Nachbarn, wir haben viele Leute, die immer wieder etwas gesehen haben." Auch habe ein Hausarzt die Verletzungen der Frau immer wieder dokumentiert. Der Mann bat um eine dreitägige Bedenkzeit. Der Schuldspruch ist damit noch nicht rechtskräftig.