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Der Migrant, das unbekannte Wesen

Von Toumaj Khakpour

Politik
Migranten oder nicht Migranten - laut einer Studie sind sie in der Wahl der Fortbewegungsmittel doch nicht gleich. Der Migrationshintergrund sei ein wesentlicher Faktor, wird behauptet.
© Fotolia

Der ÖAMTC veröffentlicht erste Studie zum Thema "Migrationshintergrund und Alltagsmobilität".


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Wien. Was die Integrationspolitik versucht zusammenzubringen, wird nicht selten durch prinzipiell gut gemeinte Studien wieder separiert: Der ÖAMTC hat am Mittwoch die Studie "Migrationshintergrund & Alltagsmobilität" präsentiert. Darin wird die Frage gestellt, ob Migranten anders mobil sind und welche Unterschiede zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund vorhanden sein könnten.

Laut Studie senkt der Migrationshintergrund die Wahrscheinlichkeit der Autobenutzung zugunsten der Nutzungsintensität des öffentlichen Nahverkehrs. Laut Erhebung sollen demnach 36 Prozent der migrantischen Bevölkerung die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Umgekehrt würden nur 23 Prozent der autochthonen Bevölkerung mit den Öffis fahren. Und: "Es gibt offensichtlich einen autonomen Faktor ,Migrationshintergrund‘ bei der Erklärung des Mobilitätsverhaltens, der sich nicht restlos durch sozioökonomische und demographische Variablen verdrängen lässt", behaupten die Autoren. Daher bleibe der Migrationshintergrund als wichtiger Faktor zum Thema Mobilität bestehen, egal welche anderen Einflüsse noch dazukommen mögen.

Dasselbe soll bei der Nutzung von Autos der Fall sein: Während 64 Prozent der Österreicher ohne Migrationshintergrund das Auto täglich oder mehrmals pro Woche verwenden, fahren 54 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund täglich oder mehrmals mit dem Auto, so die Studie. "Bei genauerer Betrachtung sehen wir auch hier Unterschiede nach dem Migrationshintergrund", streicht Studienautorin Ursula Reeger hervor. Der "deutliche Unterschied", der zehn Prozent beträgt, würde auf die Verschiedenheiten hindeuten, findet die Migrationsforscherin. Die Studie, die sie zusammen mit Heinz Fassmann, Professor für Angewandte Geographie und Raumforschung sowie auch Vorsitzender des Expertenrates für Integration im Innenministerium, ins Leben gerufen hat, lehnt sich an die Arbeiten des in Dortmund ansässigen ILS (Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung) an, welches sich mit Fragen der Alltagsmobilität von Migranten beschäftigt.

Mobilität als Bestandteil "gelungener Integration"

Beim Expertengespräch im 4. Stock des ÖAMTC-Generalsekretariats wurden klare Trennlinien zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen ohne ausgemacht: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Migranten mit den Öffis fahren, ist um 14 Prozent höher als bei Nicht-Migranten", hält Migrationsforscherin Seeger fest. Bei der Autonutzung zeigt sich ein anderes Bild: "Migranten haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, ein Auto zu benutzen, als Nicht-Migranten."

Und weshalb werden Migranten in eine eigene Gruppe gefasst? "Wir haben den Nachholbedarf in Bezug auf das Mobilitätsverhalten von Migranten erkannt und wollen diesem Verhalten auf den Grund gehen, weil Mobilität ein wesentlicher Bestandteil für eine gelungene Integration ist", erklärt dazu Christoph Mondl, ÖAMTC Verbandsdirektor-Stellvertreter.

Ferner soll das Repertoire an Veranstaltungen und Workshops von Seiten des ÖAMTC kontinuierlich weiterentwickelt werden. Noch in diesem Jahr sollen Fahrradkurse speziell für Migranten stattfinden - dieses Pilotprojekt initiiert der Club zusammen mit der Mobilitätsagentur und der Radlobby Wien.

Und warum speziell Kurse für Migranten? Erstens hänge dies mit der vorgegebenen örtlichen Struktur zusammen, und zum Zweiten habe das Fahrrad in jeder Kultur eine andere Bedeutung, führt Mondl in der Expertenrunde aus. "Bei uns in Europa ist das Fahrradfahren so alt wie das Fahrrad selbst, nur gibt es auch andere Teile Europas, beziehungsweise andere Teile der Welt, wo das Fahrrad ein unübliches Fortbewegungsmittel ist", fügt er hinzu. Hier will Mondl ansetzen, die "Distanzen überwinden", wie er sagt.

Darüber hinaus sollen "Verkehrssicherheitsworkshops" für Migranten dazu beitragen, ein besseres Gespür für die Sicherheit auf den Straßen zu bekommen, etwa im Rahmen des Projekts "Mama lernt Deutsch", dem Deutschkursprojekt der Stadt Wien. Dabei sollen beispielsweise auch "ethnische Vereine" mithelfen, wie Mondl meint. "Man fährt jährlich nach Hause in die Türkei, man durchfährt mehrere Länder und muss eigentlich darüber Bescheid wissen, was es dort gerade für Vorschriften gibt, was die Usancen sind und so weiter."

"Geht um die gesellschaftliche Verantwortung"

Die wesentliche Frage, nämlich wie viele Migranten tatsächlich noch tagelang mit dem Auto anstatt dem schon viel billigeren Flugzeugen in die Türkei reisen, bleibt offen. Mondl sagt, dass es bei den genannten Aktionen vor allem um die "gesellschaftliche Verantwortung" geht, bei der sich Österreichs größter Mobilitätsclub in die Pflicht nimmt.

Die Erhebung basiert im Übrigen auf einer "Analyse der vorhandenen Literatur sowie auf einer statistischen Auswertung des Mikrozensus 3/2011", der ein zusätzliches Fragenprogramm zu drei zentralen Fragen zum täglichen Mobilitätsverhalten und zur Einstellung gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln enthält und sich an Personen ab einem Alter von 15 Jahren richtet. Der Mikrozensus ist eine kontinuierliche Stichprobenerhebung der bei Personen in Privathaushalten durchgeführt wird. Etwas mehr als 7000 Personen haben an dieser Befragung teilgenommen. Diese erste Studie soll als Basis für weitere Forschungen dienen. "Spätestens nächstes Jahr werden wir mehr wissen", sagt Mondl.