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"Der Militärrat muss weg"

Von Ines Scholz

Politik

Muslimbrüder haben sich mit Militär arrangiert - die Revolutionäre nicht.


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Kairo. Über Kairo weht wieder ein Hauch von Revolution. 25 Protestmärsche und ein Generalstreik sind für heute, Samstag, angekündigt. Schon am Freitag haben sich nach den Gebeten auf dem Tahrir-Platz im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt tausende Menschen zu einem Demonstrationszug formiert. "Der Militärrat muss weg", skandierten sie. Vor den wichtigsten Regierungsgebäuden und öffentlichen Einrichtungen wurden Soldaten und Militärpolizei postiert.

Der Anlass: Genau ein Jahr ist es her, dass Ägyptens Langzeitpräsident Hosni Mubarak vor den Massenprotesten kapitulierte und über seinen damaligen Vize Omar Suleiman seinen Rücktritt verkünden ließ. Doch zu feiern gibt es wenig. Der Freudentaumel der Revolutionäre über die abgeschüttelte Diktatur währte nur kurz. Schon bald war die demokratische Opposition erneut willkürlichen Verhaftungen, Folter und anderen Repressionen ausgesetzt. Ihre Exponenten landeten weiterhin vor berüchtigten Militärtribunalen, und auch die Pressezensur ließ der aus Mubarak-Getreuen zusammengesetzte Oberste Militärrat, der sofort die Macht im Land übernommen hatte und sich seither an ihr festkrallt, unangetastet.

Gegen ihn richtet sich am Jahrestag seiner Machtergreifung auch die geballte Wut der vorwiegend jungen Demonstranten, die sich um die Früchte ihrer Revolution geprellt sehen. Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, der Vorsitzende des Rates, solle die für die erste Juni-Woche anberaumten Präsidentschaftswahlen vorziehen, die Macht an eine zivile Übergangsregierung übertragen - und abdanken, lautet ihre Forderung. Mit Aktionen des zivilen Ungehorsams und ihrem Aufruf zu einem landesweiten Generalstreik wollen sie ihrem Anliegen Nachdruck verleihen. Der Militärrat stellte allerdings schon im Vorfeld klar, dass er die Zügel "erst nach der Wahl" an eine zivile Staatsführung abgeben werde. Und selbst danach, so befürchten die säkular-progressiven Kräfte, werden die Militärs, die rund 70 Prozent der ägyptischen Wirtschaft kontrollieren, im Hintergrund die Fäden ziehen.

Die unter Mubarak verfolgten Muslimbrüder haben sich indes nach dem haushohen Sieg ihrer islamisch-konservativen Partei der Freiheit und Gerechtigkeit bei der Parlamentswahl mit dem Militärrat teilweise arrangiert. Zwar verlangen sie ebenfalls die rasche Ernennung einer Zivilregierung, weil ihnen der Premiersposten winkt, das postrevolutionäre Aufbegehren und vor allem der Generalstreik ist ihnen aber ein Dorn im Auge. "Der 11. Februar ist ein Tag des Aufbaus und nicht der Zerstörung", dozierte Mohsen Radi, ein Parteivertreter. Und: "Die Legitimität ist nicht mehr bei den Demonstranten auf dem Platz, sondern im Parlament."

Moralische Rückendeckung erhielten die Muslimbrüder von der höchsten religiösen Instanz der Sunniten, der Al-Azhar-Universität, die davor warnte, die dramatische Wirtschaftslage des Landes noch weiter zu strapazieren. Papst Shenouda III., Oberhaupt der koptischen Kirche, der zehn Prozent der 80 Millionen Ägypter angehören, bezeichnete zivilen Ungehorsam gar als religiöse Schandtat. Jeder habe die Pflicht, dem Staatsführer zu folgen, erklärte Shenouda. Die Unzufriedenen hält das freilich nicht ab.